Kapitel 1

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Tick.Tack.Tick.Tack.

Mein Blick ist starr auf die Uhr an der Wand gerichtet. Im Sekundentakt bewegen sich meine Augen mit dem Zeiger mit. Ich weiß nicht, wie lange oder überhaupt wie oft ich das in den letzten Jahren schon getan habe. Irgendwann hatte ich einfach aufgehört darüber nachzudenken, denn ein Leben in einem  Käfig, wie ich das kleine Fleckchen Erde auf dem ich lebte bezeichnete, konnte so oder so nicht viel spannender werden.Nicht, dass sich mein Leben bis jetzt nur auf wenigen Quadratmetern, einen einzigen Raum,meinen Käfig beschränkt hätte. Aber ich wünschte es wäre nicht so gewesen. Diese wenigen schmutzigen Quadratmeter, die so gut wie alles in meinem Leben widerspiegeln, sind mittlerweile nur noch schwer zu ertragen. Zumindest 17 lange Jahre habe ich es ausgehalten.  Soweit ich denken kann jedenfalls.Aber langsam kann ich einfach nicht mehr aushalten.

Die meiste Zeit sitze ich einfach nur da und starre die Wand an. Auch bekannt als die Endlosstarre. Das ist meine Dauerbeschäftigung an den Tagen, die einfach kein Ende finden oder auch einfach ein trauriger Dauerzustand. Aber heute ist es anders als sonst. Heute freue ich mich, die Wand und am meisten meine Uhr anstarren zu können. Es müssten schon einige Stunden vergangen sein. Eigentlich würde mich die Zeit nicht interessieren, wäre da nicht die erste richtige Botschaft der ,,Stimmen'' gewesen, die mich schon mein ganzes Leben versorgen. Sie machten mich zu der Träumerin die ich heute bin, denn ihre Worte führten mich in eine Traumwelt. Ich konnte vergessen wo ich war. Zum Essen legten sie mir öfter irgendwelche Schriften hinzu. Doch warum sie das taten und warum ich dazu in der Lage war diese Schriften zu verstehen und die vielen einzelnen Striche, Bögen und Zeichen zu entziffern, ist mir unerklärt. Jedenfalls hatten sie vor einiger Zeit damit aufgehört. Die letzten Ziffern, die ich entschlüsselt habe waren ein Versprechen, was auch immer das sein sollte. Sie sagten, dass ich nicht mehr allein sein werde. Die Einsamkeit sollte ein Ende finden.

Es war ein großer Schock für mich diese Botschaft zu erhalten. Nicht nur, weil ich die ,,Stimmen'', so wie ich sie immer nannte, vorher noch nie bewusst wahrgenommen hatte, sondern auch weil ich noch nie einem ,,anderem Ich'' begegnet bin. Was ja, nachdem ihr meinen Lebenslauf kennt, nicht sonderlich schwer ist. Ich weiß nicht wie ich damit umgehen soll. Ja, eigentlich sollte mir in den jetzigen Umständen ein Stein vom Herz fallen, aber egal was ich mir auch einzureden versuche, ich kann mich einfach nicht dafür begeistern. Ich hatte all die Jahre das Gefühl, dass sich bei mir  irgendwann alle Symptome einer allgemeinen Totalstörung aufweisen lassen. Ich glaubte, dass ich verrückt werden würde. Aber es gab nur mich, und daran hatte ich mich gewöhnt.

,,Die Stimmen'' wussten nie, was sie machen sollten, wenn ich tagelang einfach nur reglos auf meinem Bett saß und meiner Dauerbeschäftigung nachging. Sie sprachen nicht mit mir aus einem Grund, den ich wohl nie erfahren werde. So wie ich so vieles in meinem Leben nicht erfahren werde. In ihren Augen bin ich wohl genauso starr und leblos wie alles um mich herum. Ich kann dazu nur sagen, dass ich mich angepasst habe, denn wer mag schon allein sein. So gesellte ich mich einfach zur Gattung der Uhren. Nach außen ist sie leblos und träge, doch das Innere arbeitet auf Hochtrieb. Ja,das passt zu mir. Und so ergab sich, was sich ergeben musste: Irgendwann musste ich wirklich den Anschein gemacht haben , als hätte ich einen Totalschaden. Aber ich kann zumindest mich selbst beruhigen und sagen,dass es nicht so ist ist. So eine Verwandlung wäre auch schwer gewesen. Aber das konnten ,,die Stimmen'' ja schlecht erahnen .

Ich hatte nie die Chance, sie richtig kennen zu lernen. Stattdessen machen sie es anders. Sie kommunizieren auf eine andere Art und Weise mit mir. Sie starren mich an, so wie ich die Wand anstarre. Das scheint ihr einziger Weg zu sein,den sie für möglich halten, um nun mit mir Kontakt aufzunehmen. 
Ihre Augen sind überall im Raum. Diese kleinen Maschinen, sie verfolgen mich. Recken ihre Hälse auf mich, um mich bloß immer kontrollieren zu können .                                                
Dennoch beachte ich sie kaum. Meinen eigenen Starrprozess habe ich bis jetzt immer bevorzugt. Wenigstens kann ich ihn selbst kontrollieren.

Gleichzeitig muss ich dennoch das einzige sein , was ,,die Stimmen'' interessiert. Denn auch sie starren mich jede einzelne Sekunde an. Dabei hätte ich eigentlich fast gedacht, dass ich wenigstens den ,,Anstarrmechanismus'' für mich selbst habe. Doch auch in dieser Hinsicht waren sie mir im Vorteil. 6 flinke Maschinen, die wahrscheinlich einen ausgereifteren Verstand besitzen als ich. Deswegen spreche ich mir selbst keinerlei große Bedeutung zu, denn allein das Verhältnis ist schon nicht fair.

Trotz Allem gehören auch diese Maschinen zu mir. Als ich noch klein war, war ihr Surren mein nächtliches Lied, wo ich doch keine Lieder gesungen bekam. Und am Morgen war ihr Surren mein Wecker, wenn bereits einzelne Sonnenstrahlen durch die Gitterstäbe in meinen Käfig fielen. Sie waren das einzige was mich manchmal von meinem Standpunkt entfernte, dass es nichts anderes als den Käfig gäbe. Und vielleicht hielten mich noch die wenigen Sonnenstrahlen bei Sinnen, die ab und zu in meinen Käfig fielen. Das war und ist immer mein Leben gewesen und nun weiß  ich zum ersten Mal nicht, was mich erwartet, denn es ist real.

Die ewige Stille soll ein Ende haben. Ich werde nicht mehr länger alleine sein.

The CageWo Geschichten leben. Entdecke jetzt