Kapitel 4

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Entweder ist er tot oder er schläft. Wieder weiß ich es nicht genau.

Schlaff liegt er da, seine Augen sind geschlossen.

Bei meinem Anblick hatte er wieder verzweifelt angefangen zu schreien, bis ihm schließlich die Augen zufielen. Seitdem ist er in eine Art Starre gefallen. Schockstarre oder so, zumindest so ähnlich.

Er bewegt sich kaum noch und ob er noch atmet kann ich aus der Entfernung schwer erkennen.

Dennoch hielt ich erst einmal weiterhin Abstand von ihm, denn bei meinem Glück würde es nur noch fehlen, dass er aus seiner Starre erwacht, wenn sich nur noch Zentimeter von unseren Körpern trennen würden.

Er könnte wieder anfangen zu schreien und um sich schlagen oder vielleicht sogar sich selbst umbringen oder auch mich.  Wobei das Letztere nicht allzu schlimm wäre, da sowieso keiner wegen mir trauern würde. Denn außer mich selbst habe ich ja keinen. Ich könnte also einen seelenruhigen Tod erleiden, ohne dass es jemanden wehtun würde.

Die Frage warum er mich denn so verabscheut schiebe ich in meinem Kopf trotzdem weiter nach hinten, denn jetzt gibt es mal mehr zu tun als nur nachzudenken. Nachgedacht habe ich immerhin schon genug in meinem Leben, denn was soll man sonst machen, wenn es einem so vorkommt, als hätte ein Tag zu viele Stunden? Zu viele Stunden, die nur mit Denken gefüllt werden können.

Leise schleiche ich mich an ihn heran. Sein ganzer Körper ist von offenen Wunden übersät und er stinkt fürchterlich. Sein Geruch ist schwer zu definieren, aber er riecht wie die verschimmelten Fleischreste, die ich vor kurzem versteckt unter einem großen Stein unter meinem Bett gefunden habe. Eigentlich hatte ich sie mir aufbewahrt, falls die Stimmen mich mal vergessen sollten. Es wäre zwar nicht viel gewesen, aber zwei Tage hätte ich damit ohne weiteres aushalten können. Immerhin genug um mich auf den Tod vorzubereiten. Aber die Stimmen hatten mich nie vergessen und so blieben die Fleischreste wo sie waren, denn zurückgeben wollte ich sie auch nicht. Irgendwann hatte ich sie dann vergessen, bis ich eines Morgens mit einem stechenden Geruch in der Nase aufwachte. Ich habe den ganzen Morgen und Mittag damit verbracht dem merkwürdigen Geruch auf den Grund zu gehen. Dann fiel es mir wieder ein und wohl oder übel musste ich die verschimmelten Fleischreste zurückgeben, denn der Geruch wurde immer schlimmer. Mir wurde so übel davon, dass es mir einige Tage später immer noch schlecht ging. 

Was sich die Stimmen wohl gedacht haben müssen, als sie diesen Augenschmaus zu Gesicht bekommen haben. Zumindest haben sie sich nicht anders verhalten als sonst, unauffällig als würden sie gar nicht existieren. 

Auch sein verwundeter Körper gleicht einem wahren Augenschmaus. Unzählige Wunden warten darauf gereinigt zu werden. So wie die Einkerbungen in der Tür sind auch hier einige Wunden tiefer als andere. Er muss wohl unter schrecklichen Schmerzen leiden und besonders seine Fäuste scheinen vor Schmerz zu brennen. Sachte tauche ich das sauberste Tuch was ich habe in einen Eimer voll kaltem Wasser, welches mir aus einem kleinen Hahn in der hintersten Ecke des Käfigs jederzeit zur Verfügung steht. An Durst hätte ich also nie sterben können, es sei denn sie hätten die Wasserzufuhr gekappt, aber auch das ist wohl noch nie ihre Absicht gewesen. Auch als ich noch jünger war und oft mit dem Wasser spielte, wodurch sogar riesige Pfützen entstanden, gewährten sie es mir. Doch im Laufe der Jahre wurde ich immer vorsichtiger, was das Verschwenden von Sachen betraf. Man kann sich ja nie sicher sein, ob etwas bald ein Ende hat oder nicht.

Er zuckt auf, als ich versuche eine seiner vielen Wunden mit dem Tuch zu reinigen. Sein Gesicht verzerrt sich bei der kleinsten Berührung zu einem jämmerlichen Stöhnen. Die Blutungen haben immer noch nicht vollständig gestoppt, doch an manchen Stellen ist das Blut schon getrocknet und es bildet sich eine Kruste.

***


Es dauert lange bis ich alle Wunden halbwegs versorgt habe.  Tage sind bereits vergangen, ohne dass er aufgewacht ist. In dieser Zeit hatte ich zumindest versucht ihn einigermaßen gut zu versorgen. Wenigstens essen und trinken konnte er in den letzten beiden Tagen wieder. Aber sein Bewusstsein scheint immer noch fernab von hier, in einer anderen Dimension zu sein. Immer wenn ich seine Wunden sauber mache und er meine Anwesenheit spürt fängt er an zu zittern und unschlüssiges Zeug zu reden.

Nächtelang wiederholte er ununterbrochen diesen einen Satz und fast hätte ich mich dabei erwischt, es ihm einfacher zu machen. Ich hätte sein Leiden fast beendet, aber ich konnte einfach nicht, denn das bin nicht ich.

 Ich verstehe nicht was er verlangt, wenn seine Worte immer dieselben sind. Sie stapeln sich wie eine schwere Last auf mich. Sie sind wie hunderte Knoten in einem Seil, die man lösen muss bevor man es benutzen kann. Vielleicht muss ich ihm einfach nur weiterhin zuhören und diese Knoten in meinem Kopf werden sich auflösen. Vielleicht.

Ich muss ihm helfen wieder bei sich zu kommen um ihn zu fragen, was er mit diesem Satz meint. 

The CageWo Geschichten leben. Entdecke jetzt