Kapitel 5

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In den vergangenen Tagen hat sich sein Zustand immer weiter stabilisiert, weshalb ich nun davon ausgehe, dass er entweder morgen oder vielleicht auch erst übermorgen wieder zu sich kommt. Die letzten Stunden haben mich noch mehr mitgenommen, als ich es zuerst dachte. Eigentlich vertrat ich den festen Standpunkt, dass mir im Laufe der Zeit schon ein Plan einfallen würde, der die Kluft zwischen uns nicht noch erweitern würde. Ich meine mehr als hassen kann er mich schlecht. Mein Käfig- beziehungsweise nun ,,unser'' Käfig- schreit förmlich danach, nicht noch weiter zum Frack zu werden. Also müsste ich ihn irgendwie daran hindern wieder einen Ausbruch zu erleiden. Der Käfig kann zwar nicht gemütlicher, aber immerhin nicht weiter ein Schlachtort sein. Aber das war nicht das eigentliche Problem dieser Situation, sondern die deutlich überwiegendere Argumentation lag darin, dass ich ihn überhaupt nicht kannte. Dass ich jetzt erst zu dieser Erkenntnis komme irritiert mich noch mehr. Ich hatte mich die ganze Zeit nur mit dem Stand der Lage befasst und hab kein einziges Mal daran gedacht welche Probleme es überhaupt gibt. Klar, die Kommunikation zwischen uns bestand bis jetzt nur aus Panikattacken seinerseits und ein Ichwilldashiereigentlichallesnichtmehr meinerseits. Aber trotzdem hätte man doch schnell auf dieses Problem stoßen können- schnell, bei mir im Sinne von 8 langen Tagen. Natürlich nur, wenn meine Uhr richtig geht, was sich nach all den Jahren hier natürlich nicht beweisen lässt. Es wäre auch komisch, könnte ich auf die Uhr vertrauen, wenn die Sonne manchmal untergeht und der Zeiger der Uhr gerade einmal auf 15.40 Uhr zeigt.

Ich denke ich war einfach zu sehr darin vertieft seine Körperfunktionen am Leben zu halten und bloß nichts falsch zu machen, womit er mich später verurteilen könnte. Eigentlich wünschte ich mir mittlerweile sogar, dass er wieder einen klaren Verstand bekam. Wirklich nichts in meinem Leben war je anstrengender, als einen anderen Menschen am Leben zu halten, der vielleicht lieber in seiner Welt versunken blieb. Ich kann mich noch an die endlosen Tage hier unten erinnern, wo ich es mir wahrhaftig wünschte. Ich wünschte mir endlich etwas Neues kennen zu lernen, etwas anderes zu tun als immer nur Tag für Tag den selben Tagesplan einzuhalten. Ich war angewidert davon, angewidert von dem Ticken der Uhr, dem Rost meines Aufstellbettes, den warmen Sonnenstrahlen, der Einsamkeit und schlussendlich auch von mir selbst. Doch nun würde ich nichts lieber tun, als diesen Teil aus meinem Leben zu streichen. Die Probleme die ich noch bis vor zwei Wochen hatte, waren keine wahren Probleme gewesen. Doch womit ich nun umgehen muss, dass sind echte Probleme. Er könnte jeden Moment aufwachen und wieder mit dem gleichen Szenario kommen. Meine Mickrigkeit könnte in diesem Fall schlecht gegen ihn angehen.

Aber anstatt eine Lösung für das Problem zu finden, die es meiner Meinung nach nicht gibt, entschloss ich mich einfach dazu ihn weiterhin zu pflegen und der Sache seinen Lauf zu lassen. Woher dieser plötzliche Meinungsumschwung kam, wusste ich auch nicht so ganz. Aber gegen ihn bin ich eindeutig im Nachteil. Nicht nur weil er um einiges kräftiger ist als ich, sondern auch weil es in diesem gottverlassenen Käfig nichts gibt, womit ich mich beim Scheitern eines Planes notdürftig verteidigen könnte.

Also ließ ich die Panik in mir völlig unbegründet und beruhigte mich mit dem Wissen, dass es sowieso nicht schlimmer werden könnte. Ich konnte besser das Mädchen spielen, dass ihn ignoriert, falls es ihn beruhigen würde. Welches so wirkt, als hätte es keinerlei Interesse an seinem Auftritt oder welches in ihrer eigenen Welt versunken ist. Doch mein Leben war die eiserne Realität und ich kann es leugnen oder auch nicht, aber in Wahrheit fand ich ihn interessant. Noch nie in meinem Leben war ich so etwas Interessantem begegnet, was ja auch nicht wirklich schwer ist, wenn man sein bisheriges Leben mit ein paar Quadratmetern verbinden kann. Außerdem hat er etwas fragwürdiges, unberechenbares aber gleichzeitig faszinierendes an sich. Als ich ihn das erste mal sah, fragte ich mich wahrlich ob sie dort wo er herkommt, alle so aussehen. Ob sie alle so reine Haut haben und diese leuchtenden Augen besitzen. Doch was ich mich am meisten fragte war, ob ich so bin wie er.

Das könnte ein weiterer möglicher Grund seiner Fluchtversuche gewesen sein , die ich verzweifelt versucht habe zu finden. Das war auch die eigentliche Tatsache, warum ich nicht über die Problematik nachdachte. Ich dachte viel mehr über ihn und über mich nach. Über unsere Unterschiede, denn ich habe mich noch nie selbst gesehen. Auch diese Erkenntnis kommt einige Jahre zu spät. Ich habe mich noch nie gefragt, welches Gesicht sich hinter mir verbirgt. Ich weiß auch nicht ob ich es je erfahren kann, aber irgendetwas muss so grässlich an mir sein, dass man es nicht mit mir aushalten kann. Vielleicht bin ich ein anderes Wesen oder wir haben einfach nicht die gleichen Gesichtszüge. Ja, vielleicht schockiert ihn das. Denn wenn er mich schon hasst, bevor er mich überhaupt kennt, muss es an dem liegen, was er sehen kann. Zumindest an dem, was er zu Sehen versucht. Irgendwann werde ich ihn fragen, was uns unterscheidet. Irgendwann werde ich erfahren, was ich bin.

The CageWo Geschichten leben. Entdecke jetzt