"Guten Abend, Miss Varnes", lächelt er. Reiß dich zusammen! Ich setze mich gerade hin und schaue ihm direkt in die Augen und zaubere mir ein Lächeln ins Gesicht.
"Guten Abend, Mister Blackthorn", das klang selbstbewusst, weiter so!
"Wie geht es Ihnen?"
"Gut, danke."
"Waren Sie mit Miss Collins hier?" Hat er mich etwa beobachtet? Wenn ja, wie lange? Hat er das Gespräch belauscht? Mist! Ich rutsche unruhig hin und her.
"Ja."
"Und wo ist sie nun?"
"Sie musste weg. Familienprobleme."
"Aha, verstehe. Und Sie sind noch geblieben. Warum?" Stellt er immer so viele Fragen?
"Ich wollte schnell fertig essen." Ich zeige auf den Teller.
"Jetzt müssen Sie sich nicht beeilen." Er hebt die Hand und der Kellner eilt zu ihm hinüber. "Einen Kaffee, bitte."
"Kommt sofort." Schon ist er wieder weg. Ich wünschte, er wäre geblieben. Ich will mit diesem Mann nicht alleine sitzen.
"Wie geht es Ihnen in der Uni?"
"Ja, passt schon." Ich nehme einen Schluck von meinem Kaffee.
"Leben Sie mit Ihren Eltern?"
"Nein, ich lebe alleine."
"Wo sind Ihre Eltern?"
"In San Diego. Ich bin neulich hierhergezogen, weil es hier bessere Chancen auf einen Job gibt."
"Verstehe...aber jetzt sind Sie unglücklich." Er schaut mich eindringlich an. Seine Lippen sind leicht geöffnet. Konzentriere dich, verdammt!
"Nein, bin ich nicht. Ich muss nur noch damit klarkommen, alleine zu leben."
"Als was arbeiten Ihre Eltern?" Warum stellt er mir solche Fragen?
"Meine Mutter ist Verkäuferin in einem Blumenladen. Mein Stiefvater ist Chirurg."
"Wo ist Ihr leiblicher Vater?"
"Er ist vor drei Jahren gestorben", sage ich mit leiser Stimme. Er senkt den Blick.
"Das tut mir Leid..." Es herrscht plötzlich Stille zwischen uns. Er hat mich gefragt, also kann ich ihn auch fragen.
"Als was arbeiten denn Ihre Eltern?" Überrascht schaut er mir in die Augen.
"Nun ja, sie sind Geschäftsführer. Ihnen gehören zwei Firmen und die Universität."
"Was sind Ihre Hobbies?" Er scheint unruhig zu sein. Aber warum?
"Ich mag Sport."
"Was für Sport?" Seine Augen verdunkeln sich. Er ist sehr...mysteriös.
"Golf, oder schwimmen." Ich nicke. Ich weiß nicht, was ich noch fragen soll.
"Haben Sie Geschwister?", fragen wir gleichzeitig. Mensch, wie peinlich. Ich nehme noch einen Schluck, der Kuchen ist inzwischen fertig.
"Ja, habe ich", sagt er," einen Bruder."
"Ich bin Einzelkind."
"Sie haben mir noch nicht erzählt, was Ihre Hobbies sind." Er hebt eine Braue.
"Ich bin ein sehr langweiliger Mensch, also..."
"Sie haben doch bestimmt Hobbies."
"Naja, ich zeichne gern."
"Könnte ich ein paar Zeichnungen sehen?"
"Ehm...klar..i-ich.. kann sie Ihnen irgendwann mal zeigen."
"Sehr schön. Chloe?"
"Ja?"
"Man kann Ihren BH sehen." Ich verschlucke mich an meiner Spucke und ziehe meinen T-Shirt hoch. Mein Gesicht brennt vor Scham. Ich kann ihn nicht mehr ansehen.
"Es muss Ihnen nicht peinlich sein", meint er mit tiefer, dunkler Stimme. Ich schaue dennoch nicht hoch.
"I-ich sollte jetzt besser gehen", stottere ich und stehe auf. Leider macht er es mir nach. Ich gehe zu den Tresen und hole meine Brieftasche heraus. Henry hält meine Hand zurück. Seine Finger versprühen Energie durch meinen Körper. Ich schaue ihm automatisch in die Augen. Sie leuchten dunkel unter dem Licht.
"Ich bitte Sie, ich bezahle."
"Nein, vielen Dank, aber das geht nicht."
"Ich kann es mir leisten, Chloe. Stecken sie jetzt das Ding weg."
"Nein, wirklich...i-ich will lieber..."
"Wollen Sie jetzt mit mir diskutieren? Stecken Sie das Ding weg, Chloe", befiehlt er. Seine Miene ist Ernst. Ich verdrehe die Augen und packe die Brieftasche wieder ein. Er bezahlt und wir gehen raus. Ich bleibe stehen.
"Vielen Dank, aber das bekommen Sie irgendwann zurück. Guten Abend." Ich drehe mich um und gehe. Er hält mich wieder am Arm und zieht mich zurück. Wir stehen uns so nahe, dass ich seinen Parfüm riechen kann. Es riecht himmlisch nach Mann.
"Nein, werden Sie nicht. Kommen Sie, ich begleite Sie nach Hause." WAS? Das geht nicht!
"Nein, müssen Sie nicht. Ich komme schon klar."
"Ich kann eine Frau nicht alleine, mitten in der Nacht, nach Hause gehen lassen."
"Es ist 20.30 Uhr, Henry." Er schaut mich mit großen Augen an. Vielleicht, weil ich ihn mit Vornamen angesprochen habe.
"Keine weiteren Fragen. Ich werde dich begleiten, ob du willst oder nicht, Chloe! Komm jetzt." Er zieht mich hinter sich mit. Was ist mit ihm los? Zuerst ist er der Nette, dann der Dunkle und jetzt der Böse.
"Lass meinen Arm los, ich komme schon!" Er lässt sie los und schaut mich entschuldigend an.
"Tut mir Leid."
"Schon gut." Wir gehen leise nebeneinander.
"Was wollen Sie nach der Schule machen?" Jetzt ist er wieder der Neugierige, wie komisch muss man sein!
"Ich habe noch nicht nachgedacht. Und Sie?"
"Ich werde mein eigenes Unternehmen gründen. Sie bauen das Gebäude schon auf."
"Nett", sage ich nur.
"Sie können dort arbeiten, wenn Sie wollen." Ich stoppe und sehe ihn erstaunt an.
"W-was? N-nein, dass kann ich nicht annehmen", stammle ich.
"Doch, können Sie. Denken Sie darüber nach, okay?" Ich nicke. Schlecht wäre es ja nicht. Aber ihn jeden Tag sehen zu müssen, wäre schrecklich. Wir haben die falsche Adresse, die ich ihm gegeben habe, erreicht und bleiben stehen. Soll ich ihm sagen, dass ich hier nicht wohne? Wäre eigentlich nicht schlimm, wenn ich so darüber nachdenke. Ich sage es.
"Wir sind noch nicht da." Ich gehe weiter.
"Ich habe Sie aber hier abgesetzt."
"Nein, haben Sie nicht."
"Ich bin mir sicher, dass ich..."
"Sie haben zu viel Kaffee getrunken Henry. Und es ist dunkel, vielleicht täuschen Sie sich." Er schaut verwirrt auf den Boden. Jetzt stehen wir an der richtigen Adresse.
"Danke. Gute Nacht," sage ich, obwohl ich jetzt nicht schlafen werde. Ich öffne die Tür.
"Wir sehen uns morgen." Er kommt näher. Was? Nein! Ich gehe schnell rein und lasse die Tür einen Spalt offen.
"Ja! Gute Nacht!", rufe ich und schließe die Tür. Puh, nochmal gut gegangen.