Hinter dem Portal lag die Nacht kalt und klar über Jeldrum, dem Land der Verdammten.
Auch den Bewohnern von Doma war die späte Stunde nicht entgangen; vorsorglich hatten sie alle Lichter gelöscht, um die Dunkelheit in ihre seichten Häuser einzuladen. Von dort aus würde der schwarze Nebel alle Sorgen und bösen Träume mit sich nehmen und als Sterne an den Himmel hängen damit sie, wenn es an der Zeit war, zurück auf die Erde fielen und die Wünsche geplagter Seelen erfüllten.Skadi war nie abergläubisch gewesen, doch diesen Brauch mochte sie sehr. Den Kindern spendete er Hoffnung auf ein besseres Morgen, außerdem konnte sich das Schattenland bei Nacht in jeden beliebigen Ort verwandeln, wenn man nur genug Fantasie besaß.
Die winzige Stadt Doma befand sich direkt am Steinmeer, einer weiten Ebene aus blassen Hügeln, die sich bis zum Horizont erstreckte.
Im westlichen Teil der Stadt lag das Tor nach Kaupad, gut versteckt unter den Trümmern eines eingestürzten Bauwerks. Von dort aus folgte Skadi dem äußeren Ring und bog anschließend ins Gelände ab, bis sie den Fuß des Hügels erreichte, wo ihre Familie lebte. Das Haus war einer der letzten Ausläufer von Doma, doch Skadi empfand die Abgeschiedenheit keineswegs als schlecht. Im Gegenteil, sie genoss die Ruhe. Besonders das Wegstück außerhalb der Ortschaft hatte es ihr angetan, weil sie von dort aus den Himmel ungestört nach Sternenbildern absuchen, oder sich einfach in der wilden, obgleich schönen Szenerie verlieren konnte.Heute Nacht hatte Skadi allerdings keinen Blick für das Leuchten der rauen Natur im Mondschein. Mit ernster Miene starrte sie vor sich auf die Straße, den jüngsten Erinnerungen nachhängend.
*
"Skadi? Wie die Göttin?" hatte Rion voll Skepsis gefragt, als höre er einen schlechten Witz.
"Gibt es daran etwas auszusetzen?!" antwortete Skadi prompt. Zugegeben, ihr Name war für einen Schatten recht speziell, aber was scherte es die anderen Leute?
"Nein nein, natürlich nicht. Er ist nur sehr... außergewöhnlich, das ist alles. Also, Skadi, du möchtest wirklich wissen, was hier vor sich geht?" Das Mädchen bejahte.
"Mutig ist sie noch dazu."
Während die beiden über den Litar spazierten hatte Rion das Gesicht abgewandt und von der Seite ließ sich nur schwer deuten, wie das Kommentar zu verstehen war. "Dann will ich es dir erzählen."*
Auch nach ihrem Gespräch blieb Skadi unsicher, ob das so eine gute Idee gewesen war. Rion tauchte wie aus dem Nichts auf und stellte ihr ganzes Leben mit einem Mal auf den Kopf. Sie hatte die ganze Angelegenheit schon fast als unnötige Ablenkung abgetan, da hallten seine Worte immer und immer wieder durch ihren Kopf.
Gedankenverloren ließ sie eine Hand in die verdeckte Tasche auf der Rückseite ihres Mantels gleiten. Das hatte sie heute schon mehrfach getan und wie zuvor fand sie auch jetzt das polierte Holz des Messergriffes, kühl und glatt wie Schlangenhaut. Skadi ließ es durch die Finger gleiten, spielte mit den Windungen und Gravuren, die ihr eine weitere Erinnerung ins Gedächtnis riefen.
*
Trotz seiner großen Ankündigung hatte Rion sich in bedächtiges Schweigen gehüllt und ließ das Messer ununterbrochen von der linken in die rechte Hand und wieder zurück wandern. Es schien, als wog er die nächsten Worte genau ab, um keine Fehler zu machen. Das Mädchen wartete geduldig, warf ihm jedoch hier und da einen verstohlenen Blick zu. So waren sie eine Weile weiter gegangen, jeder für sich, bis der vermeintliche Elf sich erneut zu Wort meldete.
"Bist du glücklich?" fragte er, ohne von der Klinge aufzusehen. Skadi überlegte, was diese Frage nun wieder zu bedeuten hatte. Sie resignierte aber ziemlich schnell und beschloss, dass dem Kerl mit logischem Verstand ohnehin nicht beizukommen war.
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Schatten Im Blut (pausiert)
FantastikSkadi ist zwar hübsch, doch im Großen und Ganzen recht unscheinbar - ein gewaltiger Vorteil für ihr Überleben. Denn es bräuchte nur einen einzigen Marktbesucher, der sich von dem Bann der unzähligen Stände losreißen und ihr Gesicht genauer betrachte...