Ich klapperte noch die restliche Liste ab. Mir fiel auf, dass auch ein Kim Seok Jin auf der Liste stand, doch wusste nicht, ob sie ein und die selbe Person waren. Den Kim Seok Jin, der auf meiner Liste stand, traf ich an der angegebenen Adresse nicht an. Das Gespräch mit Eun Bin verlief recht gut. Sie suchte ebenfalls nach den Opfern des Unfalls. Wir hatten unsere KakaoTalk ID's ausgetauscht, so konnten wir in Kontakt bleiben.
Dann werde ich mal den Anruf riskieren. Mehr als schief gehen kann es ja nicht.
Ich hatte mich vor den Eingang des großen Wohnkonplexes gesetzt und begann die Nummer einzutippen. Leise murmelte ich die Zahlen vor mir her. Sobald sie dann nach mehrmaligem überprüfen in richtiger Reihenfolge standen, drückte ich auf den kleinen, grünen Hörer unterhalb des Ziffernfeldes. Nach einigen Sekunden begann es dann zu tuten. Ich wurde nervös. Meine Hände begannen nass zu werden, eines meiner Beine ließ ich auf und ab wippen. »Yeoboseyo?«, fragte eine männliche Stimme am anderen Ende. »H-Hallo, ich heiße Jeong Hoseok und ich suche Kim Seok Jin. Sind Sie das vielleicht?«, »Nein, tut mir leid«, »Oh, dann entschuldigen Sie bitte die Störung. Ich wünsche Ihnen noch einen angenehmen Abend«. Bevor der Mann sich auch von mir verabschieden konnte, legte ich auf. Mir war das ganze etwas peinlich, aber das tat jetzt nichts zur Sache. Ich konnte spüren wie dieses dunkle Loch in mir weiter wuchs. Es wurde immer größer, es fügte mir Schmerzen hinzu. Schmerzen, die nur durch die Gewissheit über den Fakt, dass er noch lebte, gelindert werden konnten. Schweigend und niedergeschlagen steckte ich mein Handy zurück in meine Tasche. Bewegung. Ich brauchte Bewegung. Gegessen hatte ich, nachdem ich bei Namjoon war. Meine Beine trugen mich. Wohin sie mich trugen? Ich wusste es selbst nicht. Ziellos strich ich durch die überfüllten Straßen, bis ich mich an einem Ort wiederfand, an dem ich eigentlich nie wieder gehen wollte.
Ein Krachen, Schreie verletzter Menschen, Blut, Tot. Ich wollte so nicht enden. Meine Augen lagen auf dem entstellten Körper der Frau. Dieser metallische Geruch rief Übelkeit in mir hervor. Noch ein Stoß. Noch mehr Geschrei. Wieso kann das nicht aufhören? Wieso passierte das alles unbedingt jetzt? Ich wollte doch einfach nur zum Rathaus...
»..Sie sich!«, konnte ich jemanden gedämpft rufen hören. «Bitte beruhigen Sie sich doch!«, rief ein älterer Mann und hielt mich an den Armen fest. Mein komplettes Gesicht war nass vor Schweiß und Tränen. Meine Hände krallten sich in meine Haare. Mein Mund und meine Augen waren weit geöffnet. Anscheinend schrie ich. Panisch blickte ich den Mann an. »Geht es ihnen gut? Sie sehen krank aus«, er holte ein Taschentuch raus und drückte es mir in die Hand. Ich war noch immer nicht wirklich wieder so ganz bei mir. Mein Schreien verschwand erst einige Sekunden später. »Tief ein und aus atmen, schön langsam«, sagte er zu mir. Hyperventilierend stand ich vor ihm. Mein Blick war starr auf ihn gerichtet. Er machte es mir vor, doch meine Kooperation ließ zu wünschen übrig. Kurz griff der Herr in seine Tasche und zog eine kleine Plastiktüte heraus, welche er mir an den Mund legte. Aufgeregt atmend drückte ich die Luft in die kleine Tüte, danach atmete ich sie wieder ein. Es dauerte einige Zeit, bis mein Atem sich beruhigt hatte. »Geht es nun besser?», »J-Jhah«, schniefte ich. »Was war der Auslöser für diesen Zusammenbruch? Soll ich Ihnen einen Krankenwagen rufen?«, »Nein, es geht scho-schohn. Dankeschön«. Ich putzte mir ordentlich meine verstopfte Nase. Eine ganze Weile redete der Herr noch auf mich ein, bis er dann ging. Ich starrte auf die Straße. Genau auf die Stelle, an der alles passierte. Ein mit Sprühfarbe aufgetragenes X markierte die Stelle des Unfalls. Ja, es war selbst noch nach 2 Jahren dort. Alles fühlte sich so komisch an. So unwirklich.
Halte mich, bitte halte mich. Ich brauche dich. Tritt ein in mein Leben, ich lasse dich nie wieder gehen...
Kurz fuhr meine Hand durch mein zerzaustes Haar und noch immer feuchtes Gesicht. Langsam lief ich den Weg zurück nach Haus. Das Loch wuchs immer weiter, je mehr ich über alles nachdachte. Meine Gedanken zerfraßen mich. Ich musste Namjoon dringendst um Hilfe bitten. Er war wohl der einzige, der mir noch etwas Hoffnung geben konnte. Morgen würde ich zu ihm gehen. Kurz bevor ich wieder zu Hause eintraf, ging ich noch kurz etwas zum Abendbrot kaufen. Einfach nur vorgekochten Reis und Curry. Es sollte, nein es musste reichen. Mein Geld war knapp. Eomoni würde erst nächsten Monat wieder etwas auf mein Konto überweisen und das würde noch...wie lange würde das noch dauern? Ich holte mein Handy raus.
Heute ist der 23.August. Das heißt, in 9 Tagen würde mein Konto erst wieder aufgestockt werden.
30 Minuten später saß ich kauend auf der Couch. Auch wenn es nur so Fertig-Gedöns war, schmeckte es überraschend Lecker. In meinem Kopf ging ich die Aufgaben durch, die ich heute eigentlich noch zu erledigen hatte. Es brachte alles nichts. Nach dem Essen zwang ich mich dazu die Wäsche noch zu waschen, die Geschirrspülmaschine einzuräumen, etwas zu putzen und dann auch noch Fern zu sehen. Erst als es draußen stockduster war, riskierte ich nach ein paar Stunden mal wieder einen Blick auf mein Smartphone. 0:10 AM meinten die Ziffern, welche auf dem Display abgebildet waren. In spätestens einer Stunde würde ich schlafen gehen, doch vorher brauchte ich das Parfum. Eine ganze Weile kramte ich darin herum, doch ich fand das Fläschchen einfach nicht.
Das ist jetzt aber nicht ernsthaft weg. Wo ist es?!
Panisch begann ich allen Inhalt auf der Couch zu verstreuen. Es war nicht da. Weg. Wie vom Erdbeben verschluckt. Tränen füllten meine Augen. Es durfte nicht weg sein. Ich lief zur Tür, schlüpfte in meine Schuh und schnappte mir meinen Schlüssel. Sofort rannte ich zu Namjoon. Durch die Tränen sah alles so verschwommen aus. Ab und zu stolperte ich. Einmal fiel ich sogar und das nicht gerade sanft. Nun hatte meine Jogginghose ein Loch am Knie. Egal, ich trug sie eh nur daheim. Das Fläschchen ist eintausend mal wichtiger. Sobald ich Namjoons Wohnort erreicht hatte, klingelte ich.
»Bitte sei noch wach! Bitte, bitte, bitte!«, sagte ich leise. Mit dem Ärmel meines Pullis strich ich durch mein Gesicht. »Hallo? Wer st-«, »Namjoon! Mach bitte auf!«, kam es aus mir geplatzt. »Ah, Hoseok, klar. Kleinen Moment«.
Es dauerte etwas, bis ich das leise Summen des Türöffners vernehmen konnte. So schnell es ging, rannte ich die wenigen Treppen hinauf. Namjoon stand dort an den Türrahmen gelehnt. »Was machst du um so eine Uhrzeit noch draußen?«, »Ich finde es nicht! Es ist weg! Lass mich bitte nachsehen, ob ich es vielleicht hier vergessen habe!«. Der blonde Junge verstand natürlich nicht ganz, was überhaupt los war. Er ließ mich einfach rein. Als Namjoon mir nach ein paar Sekunden ins Wohnzimmer folgte, fand er das pure Chaos vor.
Verzweifelt schmiss ich alles um mich. »Sie darf nicht weg sein! Wo ist diese verdammte Flasche?!«. »Hoseok, komm mal runter und hör auf, mein Wohnzimmer so zu verunstalten.«, »Hast sie gesehen?! Hast du die kleine Parfumflasche gesehen?! Ich hab sie verloren! Namjoon, hilf mir doch bitte!«, erneut brach ich in Tränen aus. Der Große kam zu mir und nahm mich in den Arm.
Laut schluchzend drückte ich meinen Kopf an seine breite Schulter. »Wir besorgen dir einfach ein neues, ok? Morgen früh hol ich dich ab und dann gehn wir zur Parfümerie.«, »Jehtzt! Ich brh-hauche es jetzt!«, gab ich schluchzend von mir. »Ok, dann werde ich dir jetzt beim suchen helfen, aber bitte hör auf zu weinen und mein Wohnzimmer vollzumüllen«, kurz fuhr er mit seiner echten Hand durch mein Haar und half mir dann auf.
Sofort nahmen wir die Suche nach dem Fläschchen wieder auf. Nach einigen Minuten machte dann etwas in meinem Kopf klick. Ich hatte keine Kraft mehr zu stehen, ich war müde. Es ging nicht mehr. Am liebsten wäre ich hier und auf der Stelle tot umgefallen. Das Loch hatte mich nun verschluckt. »Namjoon, ich kann nicht mehr...ich kann das alles nicht mehr...«
Wo bist du, wenn ich dich brauche? Bitte rette mich noch ein zweites mal...
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Parfum;『2seok/jinhope』
FanfictionVor 2 Jahren kam der 18 Jährige Schüler Jeong Hoseok beinahe bei einem Busunglück um. Er überlebte jedoch nur, da ein unbekannter, gut riechender Junge ihn noch rechtzeitig zu sich zog, um ihn zu schützen. Nach dem Unfall fand er sich im Krankenhaus...