Kapitel 11

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Kapitel 11

 

Die nächsten Wochen vergingen wie ein Wimpernschlag und Harry konnte das Krankenhaus verlassen. Die Jungs hatten ihn nicht aus den Augen gelassen, genauso wie die Eltern von ihnen und auch seine eigenen. Liam war der Meinung, dass es Zeit für Harry wäre, Louis Grab zu besuchen. Alle Jungs würden mit ihm gehen, Harrys Mutter Anne und Louis Mutter Johanna. Harry hatte es vermieden, den 200sten Brief zu lesen. Er wollte damit warten, bis er wirklich bereit dazu war, ihn zu lesen, ohne, dass er die Kontrolle verlieren würde. Harry ging es zwar wieder besser, aber er war noch immer nicht vollständig gesund. Er hatte kaum das Haus verlassen und er hörte noch immer diese kleinen Stimmen in seinem Kopf, aber er konnte sie jetzt auch ausblenden. Es waren gar nicht wirklich Stimmen. Es war eine ganz bestimmte Stimme. Louis Stimme. Und es tat Harry gut; die Stimme sagte Harry immer wieder, dass es ihm nun besser ging. Sie sagte Harry, dass er keinen Schmerz mehr fühlte, dass er glücklich war. Das machte Harry glücklich - zu wissen, dass Louis keinen Schmerz mehr empfand.

Es war sehr kalt draußen und der Regen fiel wie aus Eimern vom Himmel. Harry zog eine schwarze Jacke und eine Jogginghose an, ganz normale Klamotten. Liam beäugte Harry.

„Du besuchst Louis in Jogginghosen?“ fragte er.

Harrys Kopf fuhr zu Liam und er runzelte die Stirn.

„Was ist falsch daran?“

„Willst du dich nicht etwas schicker anziehen? Du besuchst ihn ja zum ersten Mal.“

Harry dachte einige Sekunden darüber nach, griff dann nach schwarzen Hosen und einem schwarzen Pullover, seine Jacke behielt er aber an. Er blickte zu Liam, um seine Zustimmung zu suchen, und er lächelte, als Liam zustimmend nickte. Liam legte einen Arm über Harrys Schulter und Harry zuckte kurz zusammen, entspannte sich dann aber. Liam seufzte. Harry ging es körperlich zwar wieder besser, aber seelisch war sein Zustand noch schlimmer geworden. Er zuckte immer zusammen, wenn ihn jemand berührte. Er verbrachte fast die ganze Zeit in seinem Zimmer, schlief oder ertrank sich in Alkohol. Harry und Liam gingen in das Wohnzimmer und Harry fiel es schwer zu Atmen, er spürte, wie er langsam panisch wurde. Normalerweise ging es ihm gut, wenn er unter Leuten war, aber in letzter Zeit hielt er es nicht aus, wenn mehr als 3 Leute mit ihm in einem Zimmer waren. Vor ihm standen nun Liam, Zayn, Niall, Johanna und Anne. 5 Leute, 6 mit ihm. Es fühlte sich so an, als ob ihn alle Augen anstarren würden, tief in seine Seele hinein. Harry verzog seinen Mund und lächelte. Seine Augen erblickten Johanna und sein Herz begann zu schmerzen. Er spürte, wie sich Wasser in seinen Augen ansammelte, es waren Tränen. Er blinzelte sie weg. Das war das erste Mal seit langer Zeit, dass er Johanna wieder sah, das letzte Mal war es ungefähr eine Woche gewesen, bevor Louis sich das Leben genommen hatte. Johanna sah sehr zerbrechlich aus, aber sie lächelte dennoch. Ihre Haut war sehr blass und sie hatte dunkle Schatten unter ihren Augen. Es schien auch so, als ob sie an Gewicht verloren hätte.

„Können wir gehen?“ Niall räusperte sich.

„Ja.“ flüsterte Harry.

Die Gruppe ging nach draußen und Harry blickte in den Himmel. Er war dunkelgrau, mit ein bisschen blau darin - dort, wo der blaue Himmel durch die dunklen Wolken hindurchkam. Es erinnerte Harry an Louis Augen, wenn Louis sauer war. Dann waren sie dunkelgrau, mit ein bisschen blau darin, genau wie der Himmel heute auch. Es regnete stark und Harry zog seine Jacke fest an sich und zitterte. Harry hörte erneut, wie die Stimmen flüsterten und er spannte seinen Kiefer an und ließ sie verstummen. Heute ging es nicht um ihn, es ging um Louis. Er stieg in das Taxi und steckte sich seine Kopfhörer in die Ohren, hörte seinem Lieblingslied im Moment zu: Little Talks von Of Monsters and Men.

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