Kapitel 6

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Nachdem wir alle in einer verhältnismäßig angenehmen Atmosphäre zusammen gegessen hatten gingen ich und Anna hoch auf mein Zimmer. Ich setzte mich auf meinen Schreibtischstuhl und sie nahm auf meinem Bett Platz.

"Bringst du jeden Tag einen Überraschungsgast mit nach Hause oder wieso war deine Mutter überhaupt nicht überrascht?", wollte Anna da wissen.

"Sie war überrascht.", lachte ich. "Sie konnte es nur gut überspielen."

"Schauspielerin wahrscheinlich, oder?", stimmte Anna in mein Lachen ein.

"Krankenschwester.", korrigierte ich sie.

"Achso, na dann."

Eine Zeit lang war es still.
"Aber du hast meine Frage nicht beantwortet.", griff sie das Gespräch wieder auf.

"Möglich.", grinste ich.

"Und?", sagte sie gespannt.

"Was?"

"Na, ob du jeden Tag Überraschungsgäste mitbringst.", wiederholte sie ihre Frage.

Mein Lächeln verschwand sofort.
"Nein, bringe ich nicht.", antwortete ich stumpf.

Sie sah mich erwartungsvoll an, doch ich beließ es dabei und sie hakte nicht weiter nach.

"Und was machst du so den ganzen Nachmittag?", fing sie wieder an, mit mir zu reden.

"Willst du die Wahrheit hören?", stellte ich eine Gegenfrage.

"Ja?", lachte sie.

"Also eigentlich rufe ich Jonas an und dann telefonieren wir den ganzen Nachmittag, zocken und so weiter."

"Dann lass uns das jetzt auch machen!", beschloss sie.

Ich hatte eigentlich erwartet, dass sie mich komisch anschauen und mich einfach als Nerd abstempeln würde.

"Okay, ich hole einen zweiten Stuhl.", sagte ich, stand auf und holte einen solchen aus dem Büro meines nun toten Vaters.

Früher hatte er dort gearbeitet. Also bevor er angefangen hatte, zu trinken, und deswegen gefeuert wurde.

Als ich wiederkam saß Anna noch auf meinem Bett.

"Du hättest dich ruhig auf meinen Schreibtischstuhl setzen können.", meinte ich zu ihr.

Sie wurde rot. "Ich wusste nicht..." Ihren Satz beendete sie, indem sie aufstand und auf meinem Schreibtischstuhl Platz nahm.

Wir riefen schlussendlich Jonas an und mein Nachmittag verlief wie immer. Nur, dass ich dieses Mal nicht alleine war. Anna ging ungefähr um halb sieben als Mama das Abendbrot fertig hatte. Es war so komisch mit Mama. Es wirkte alles so künstlich und irgendwie war ich ja auch dankbar für die ganzen Bemühungen, aber ich wusste trotzdem nicht, was ich davon halten sollte.

"Wer ist diese Anna?", hatte sie beim Abendessen gefragt. "Geht die in deine Klasse?"

"Nein.", war meine kurze Antwort gewesen.

"Wie 'nein'?"

"Nein, sie geht nicht in meine Klasse." Ich hatte nicht gedacht, dass diese Fragerei so nervig werden würde. Sich mit Mädchen zu treffen, wenn die Eltern es mitbekamen, hatte ganz schön anstrengende Konsequenzen.

Meine Mutter gab noch nicht auf: "Woher kennst du sie dann?"

"Bus."

"Seid ihr zusammen?", stellte Mama die Frage, die ihr wahrscheinlich schon die ganze Zeit auf der Zunge brannte.

180 GradWo Geschichten leben. Entdecke jetzt