Nachmittags fragte Jonas, ob Anna nicht vielleicht Zeit hätte. Daraufhin habe ich sie angesimst. Ihre Handynummer hatte sie mir gestern im Bus gegeben. Als sie dann da war, gingen wir zum Spielplatz vom Kinderheim Farbenfroh.
Langsam aber sicher wurde ist dunkler und schlussendlich sah man die Sonne gerade noch so am Horizont. Da wir Sommer hatten, musste es demnach schon halb elf sein. Ich fühlte mich als wären wir eine dieser Banden die nachts am Spielplatz rauchten, soffen, kifften und die Umgebung unsicher machten. Dabei waren wir eigentlich friedlich und ruhig – also sozusagen das Gegenteil davon – aber wir waren immerhin noch Jugendliche und der Spielplatz gehörte uns.
Anna und Jonas hatten sich vor ungefähr fünf Minuten in die andere Ecke des Spielplatzes gesetzt. Nur das Licht einer Straßenlaterne schien sanft auf die beiden. Sie hatten sich heute Nachmittag super verstanden.
Henri und ich saßen somit nebeneinander auf der kniehohen Steinmauer und hatten ihnen den Rücken zugedreht. Ich wusste nicht, worüber ich mit ihm reden sollte. Also blieb ich einfach ruhig. Er drehte kurz einen Kopf zu den anderen beiden um.
»Jetzt müssten nur noch wir rumknutschen und wir hätten Kinoszenario.«
Ich lief rot an. Das war sozusagen genau mein Traum gewesen: er und ich und dieser Spielplatz. Zum Glück war es so dunkel, dass er mein Gesicht nicht sehen konnte, aber mein Schweigen hatte mich verraten.
»Das war ein Scherz.«, fügte er erklärend hinzu.
Erst jetzt drehte ich auch mal meinen Kopf Richtung Anna und Jonas. Sie waren – wie nach Henris Aussage zu erwarten – am rummachen. Jonas konnte sich auch wirklich nicht entscheiden. Gestern Sina, heute Anna. Ich wurde fast wütend auf ihn und überlegte schon, ob ich einfach den Rest des Abends nicht mehr mit ihm sprechen sollte. Da ich wieder nicht antwortete fragte Henri: »Ist was? Liebst du Anna?«
»Nein?«, sagte ich aus Reflex verteidigend und hoffte im Nachhinein, dass es nicht abstoßend geklungen hatte. »Wieso fragst du?«
»Hätte ja sein können.«
Bei mir wahrscheinlich eher nicht. Ich wusste im Moment nicht einmal, wie sich das anfühlen sollte, jemanden zu lieben.
»Darf ich dich was fragen?«, meinte ich zu Henri.
»Ja.«
»Warum mobbt man jemanden?«
»Ich weiß es nicht.«, versuchte er sich rauszureden.
»Wie du weißt es nicht?«
»Ja, ich weiß es eben nicht.«
»Aber...«
»Hör zu: Mir tut das wirklich leid und ich weiß auch nicht, wieso man jemanden mobbt. Das Einzige, was ich dir sagen kann ist, dass es mir leid tut."
»Aber du hast es doch getan!«, schrie ich nun. »Du musst doch wenigstens wissen, warum du es getan hast.«
Ab dann sagte er kein Wort mehr. Er ging nur noch zu den beiden Knutschenden und sagte, dass er Heim ginge. Gut eine Minute später stand auch ich auf. Ich bebte förmlich vor Wut. Eilig stampfte ich zu Jonas und Anna rüber und schmiss Jonas seine Jacke vor die Füße, die er mir vorhin in die Hand gedrückt hatte. Jetzt lag sie im Sand und wurde (hoffentlich) dreckig.
»Sieh doch selbst, wo du heute schläfst!«, brüllte ich ihn an.
Erst jetzt beachtete er mich und ließ von Anna ab, aber ich hatte ihm schon wieder den Rücken zugekehrt und war losgerannt.
»Lukas!«, rief er noch ein paar Mal.
Ich lief immer schneller bis ich weit genug vom Spielplatz entfernt war und ging dann langsam nach Hause. Das war genau das gewesen, wovor ich Angst hatte, wie das Wochenende verlaufen könnte.
DU LIEST GERADE
180 Grad
Teen FictionEigentlich möchte Lukas seiner Vergangenheit einfach den Rücken zu kehren. Alles vergessen und auf keinen Fall jemals wieder daran erinnert werden. Doch unerwartet treten Personen in sein Leben, die ihm einerseits neue Perspektiven geben und ihm ein...