Kapitel 2

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"Was ist los?", wollte ich von ihr wissen.

"Sie haben... deinen Vater.", sie schniefte erneut und umklammerte eine halbleere Bierflasche stärker. "Er wurde überfahren."

Ich wusste nicht, wie ich reagieren sollte. Mein Vater hatte mir nie viel bedeutet. Er hat mich immer nur angeschrien, geschlagen und niedergemacht. Eigentlich freute ich mich fast, dass das nun vorbei sein sollte, aber ich hatte ihm nie den Tod gewünscht. Er hatte Mama nicht gut getan. Er hatte niemandem gut getan.
Mama verzog schmerzerfüllt das Gesicht und schleuderte die Bierflasche quer durch die Küche.

"Scheiß Alkohol!", schrie sie.

Ich sprang auf und nahm ihre Hand.
"Komm mit!", befahl ich und zog sie in ihr Schlafzimmer.

Bevor sie noch mehr kaputt machte, sollte sie lieber schlafen. Ich half ihr dabei, sich hinzulegen und deckte sie zu. Dann schloss ich ihre Tür und ging in mein Zimmer.
Mir war klar, was ich jetzt tun würde. Ich fuhr meinen Computer hoch und öffnete Skype. Dann rief ich "Dummkopf" an. Er nahm ab. Eigentlich war er fast durchgehend online nach der Schule.

"Hey, Jonas!", meinte ich.

Ich hatte während der Zeit, in der ich auf seine Annahme des Anrufs warten musste, mein Headset angeschlossen.

"Na, du Spast?", war seine Antwort.

"Mein Vater ist tot.", sagte ich direkt.

"Kein Witz?"

Ich schüttelte den Kopf und erinnerte mich erst dann, dass er mich nicht sah.

"Ne."

"Das ist doch eigentlich gut, oder?", sprach er vorsichtig.

"Mama hat gerade weinend am Küchentisch gesessen und dann eine Bierflasche durch die Küche geschleudert.", schilderte ich ihm das Geschehen.

"Oh."

"Mmh."

Dann schwiegen wir kurz.

"Hast du Bock auf 'ne Runde Minecraft?", fragte er mich dann, - wahrscheinlich - um mich abzulenken.

"Ja."

Wie hypnotisiert starrte ich auf meinen Computerbildschirm und öffnete unser Lieblingsspiel. Wir hatten oft zusammen gezockt, kannten uns nur darüber und haben uns irgendwann angefreundet. Allerdings wohnte er ziemlich weit von mir entfernt, sodass wir uns nicht treffen konnten. Er lebte in Bremen, ich in Düsseldorf. Klingt nicht wie die Welt, aber mit einem Taschengeld von zwei Euro die Woche musste man ewig für ein Zugticket sparen.
Ich wusste nicht, ob ich ihn meinen 'besten Freund' nennen würde. Wir hatten uns noch nie gesehen außer über die Webcam und wer wusste, ob er sich vor der Kamera nur verstellte.
Jedenfalls spielten wir zusammen eine Runde und wenn wir uns gerade nicht über das Spiel unterhielten, erzählte er von seinem Tag.

"Sina war heute bei mir.", sagte er.
Er war einer dieser Jungs, die jeden Tag 'ne Neue hatten und immer mit dem Mainstream schwammen. Alle die gleiche Kleidung, alle die gleiche Playlist, alle am Trinken und Feiern. Sie leben nicht mehr für sich selbst, aber auch nicht für jemanden anderen. Dem Einzigen, dem er seiner 'Kindheit' treu geblieben war, war eben Minecraft. Ich wartete nur auf den Tag, an dem auch das für ihn uncool wurde. Und dann hatte ich nichtmal mehr ihn.

'Man kann nicht alles haben.', meinte die Stimme in meinem Kopf.
'Aber man will immer mehr.', entgegnete ich ihr.

"Lukas?", fragte Jonas.

"Sorry, was?", passte ich wieder auf.

"Sina war gestern bei mir.", wiederholte er.

"Die Sina?"

180 GradWo Geschichten leben. Entdecke jetzt