8.

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Am nächsten Morgen wachte ich auf und fand eine Wolldecke, die über mich gelegt wurde. Ich war wohl auf dem Sofa eingeschlafen. Obwohl ich es nicht wollte, schwirrten meine Gedanken wieder zu dem kleinen Jungen, der verzweifelt um seine Familie kämpfte und mit ganz anderen Problemen konfrontiert worden war, als ich es je würde.
Langsam richtete ich mich auf und fuhr mir durchs zerzauste Haar. Erschöpft sah ich mich um und stellte fest, dass Marcus hier gewesen sein musste. Ich fühlte mich ausgelaugt vom vielen Weinen und meine Augen brannten. Nach einem Blick in den Spiegel wand ich mich von meinem blassen Gegenüber ab. Was war nur mit mir los?

Die Wohnung duftete nach Tee und würzigem Körnerbrot. Es war ungewöhnlich unaufgeräumt, überall lagen Tüten,Schuhe und anderes Zeug herum. War heute Waschtag? Ich konnte mich nicht einmal daran entsinnen, welcher Wochentag überhaupt war.

Marcus betrat das Wohnzimmer. Er trug ein gewöhnliches T-Shirt vom Baseball, denn diesen Sport liebte er über alles. Seine Kleidung ließ mich stutzen. Hatte er sich etwa frei genommen?
Er lächelte mich sanft an. Obwohl ich wie ein Zombie aussehen musste, sah er mir direkt in die Augen.
"Du bist auf dem Sofa eingeschlafen, Süße. Obwohl du nicht wirklich ausgeruht aussiehst."
Er kam auf mich zu und küsste meine Stirn. Sorgvoll betrachtete er meine Augenringe.

"Oh, ich war sehr müde gestern. Habe wohl die Zeit vergessen..." Ich sah ihn an und musterte ihn lange, weil ich das Gefühl hatte, ihn schon so lange nicht so nah gesehen zu haben...oder ohne dass er betrunken war. Im Gegensatz zu sonst sah er ungewöhnlich ausgeschlafen und entspannt aus. Locker hockte er sich vors Sofa.

"Du hast dir einen eigenen Telefonvertrag angelegt?"
Ah, darauf wollte er hinaus. Ich war kürzlich in der Stadt und hatte den Anbieter gewechselt, damit ich meine Telefonkosten selbst tragen konnte.

"Und du empfängst E-Mails auf meinem Laptop?" konterte ich auf gut Glück und seine Miene verhärtete sich.
Seine Augenbrauen zogen sich zusammen und das passierte nur, wenn man ihn ertappt hatte.

"Ja, ich habe mir den Fortschritt deiner Rede auf der Cloud angesehen. Wenn du schon nicht im Büro bist." sagte er etwas abfällig. War das sein Ernst? Er selbst hatte mir das Angebot gemacht, von unserer Wohnung aus zu arbeiten. Wozu vor Ort sein, wenn man doch über das Internet vernetzt ist?

"Gifte mich nicht so an." giftete ich zurück.

Er seufzte und wischte über sein Gesicht.
"Seit wann Ann..." begann er.

"Seit wann wehre ich mich gegen dich? Oh Marcus, ich weiß es nicht."
Aber das ist gut... dachte ich schließlich, traute mich dieses jedoch nicht laut auszusprechen. Dafür war ich noch nicht tough genug.

Sein Kiefer spannte sich deutlich an und er knirschte mit den Zähnen.
"Lass uns nicht streiten. Wir haben beide genug Stress wegen der Bankgeschäfte. Das tut unserer Beziehung nicht gut." stellte er selbstbewusst klar und ich konnte nicht anders als zuzustimmen.
Moment mal, welche Beziehung? Ich wusste, dass ihm unser Arbeitsverhältnis wichtig war. Genau; er brauchte mich. Ich erledigte die Drecksarbeit für ihn. Immer war ich zur Stelle, bewältigte alle Aufgaben, die ihm tu viel waren. Erst jetzt konnte ich Leslie Glauben schenken, obwohl sie doch ständig auf mich eingeredet hatte.

Ich wollte mich jedoch im Moment nicht streiten, also sah ich ihn beschwichtigend an.
"Also streiten wir nicht?"

"Nein." grinste er schief und zog mich in eine Umarmung.
Er hatte sein Aftershave gewechselt und ich rümpfte die Nase. Mein Geschmack war es nicht. Wie so vieles, das mir aus den Händen glitt.

"Können wir jetzt endlich gemeinsam frühstücken?" drängte ich und versuchte möglichst freudig und/oder aufgeregt zu klingen.

"Klar Schatz." antwortete er knapp und ging vor in die Küche.

Call me Dave - Liebe auf den letzten AnrufWo Geschichten leben. Entdecke jetzt