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Eilig hetzte ich zu meinem kleinen Polo und stieg ein.
20:51 Uhr.
Ich hatte mich um 20:00 Uhr mit Marcus verabredet und nun kam ich fast eine Stunde zu spät, was sehr untypisch für mich war. Normalerweise traf ich immer überpünktlich bei einem abgesprochenen Treffen ein.

Was sollte ich Marcus denn erzählen? Ich konnte ihm wohl kaum weismachen, dass ich einfach mal so einen Plausch mit einem Fremden gehalten hatte. Ganz zu schweigen von der hohen Telefonrechnung, die er bekommen würde. Ich musste mir unbedingt einen eigenen Vertrag anlegen, denn aus unerklärlichen Gründen verspürte ich das Bedürfnis, ein weiteres Mal bei dem Call-Center anzurufen und das Gespräch mit ... wie hieß er überhaupt? weiterzuführen.

Mir war immer noch nicht bewusst, aus welchem Grund ich dort anrief. Es war wohl eine Kurzschlussreaktion gewesen, der ständige Stress in der Firma und jetzt auch mit Marcus. Mir schauderte es, als ich mich an die Folgen von Distress erinnerte, die wir einmal im Biologieunterricht in der Mittelstufe gelernt hatten.

Da war es bestimmt kein Wunder, dass ich plötzlich den Mut hatte, auf gut Glück bei so einem Center anzurufen.

Wie kann es sein, dass ich alles von mir erzählte, der Mann an der anderen Leitung aber noch nicht einmal seinen Namen verraten hatte. Es könnte ja auch sein, dass er dazu nicht die Erlaubnis hatte, sofern alles relativ anonym bleiben sollte. Ich seufzte, und schob de Gedanken beiseite, bevor ich mir noch das Hirn darüber zermattete.

Ich startete das Auto und fuhr schließlich los. Obwohl ich im Stress war, bemühte ich mich dennoch vorsichtig zu fahren.

Dann, nach gut 15 Minuten, parkte ich meinen blauen Polo vor dem Restaurant und ging eiligen Schrittes hinein.
Gustavo, der Besitzer, begrüßte mich schon von Weitem. Sein weißes Hemd war wie immer glatt gebügelt und er hieß jeden Gast persönlich willkommen. Gastfreundschaft wurde bei ihm groß geschrieben.

"Mr. Williams wartet schon auf Sie, Miss." er nahm mir meine warme Jacke ab und seine dunklen Augen blitzten schelmisch. "Er hat sich schonmal ein Glas Wein genehmigt."
"Vielen Dank, Gustavo. Wir werden sehen, ob es wirklich nur ein Glas war." lächelte ich ihn gutmütig an und zwinkerte.

"Hat Marcus schon bestellt?" fragte ich dann beiläufig, während ich das Restaurant nach meinem Freund absuchte.

"Jawohl, das Übliche, Miss. Einen schönen Aufenthalt wünsche ich noch." Sein Lächeln ließ ihn jünger wirken, als er in Wirklichkeit war.

Ich nickte dem freundlichen Gustavo zu und schritt dann möglichst elegant auf Marcus zu. Er saß wie immer an unserem Stammtisch. Dieser war schon gedeckt und eine geöffnete Weinflasche stand darauf.
Während ich noch auf ihn zuging, stand er auf und kam mir entgegen.

Er war nicht wütend und das überraschte mich. Seine Augen glänzten unbekümmert, was dafür sprach, dass er schon leicht angetrunken war.
"Ann, lass mich doch nicht so lange warten..." begrüßte er mich mit einem Kuss links und rechts auf der Wange.
"Du siehst fantastisch aus, Schatz..." flüsterte er mir ins Ohr und eine Gänsehaut rieselte über meinen Rücken. Obwohl ich wusste, dass er nicht mehr ganz bei Sinnen war, freute ich mich über das Kompliment. Wenn man betrunken war, war man doch automatisch ehrlicher, oder?

"Es tut mir leid wegen der Verspätung." setzte ich an, doch Marcus winkte ab und schenkte mir ein Glas Rotwein ein.

"Ich schätze, ich hatte das verdient. So bekam ich Zeit zum Nachdenken und ich bin zu dem Schluss gekommen, das ich mich entschuldigen sollte. Nicht du." sagte er leise und sah mir tief in die Augen, nachdem wir uns hingesetzt hatten.
Ich errötete ein wenig und nahm einen Schluck von dem lieblichen Wein.

Marcus hob die Hand und die Vorspeise wurde herangetragen.
Schweigend aßen wir, doch seine Hand legte sich auf meine. Ein verführerischer Blick folgte. Gott, er war wirklich schon beschwippst. Peinlich berührt sah ich nich um, ob uns womöglich jemand beobachtet hatte.
Wenn man nicht ständig auf ihn auspassen würde.

Mein Blick schweifte zu ihm herüber. Er trug einen eleganten dunkelblauen Anzug und seine Haare waren wie immer sorgfältig gegelt. Nach dem Essen lehnte er sich zurück und zog die Anzugjacke aus. Das Hemd spannte sich über seine Oberarmmuskeln und ich musste ihn einfach angrinsen. So waren wir uns auch bei unserem ersten Treffen begegnet und kurzerhand hatte er mich in dieses Restaurant ausgeführt.
Bald war klar, dass wir und gut verstanden und unsere Ziele im Leben übereinstimmten. Damals hatte ich ihm noch nicht erzählt, dass ich ein eigenes Buch schreiben und veröffentlichen wollte, da ich es für kindisch hielt. Und jetzt hatte ich es ihm erzählt und trotzdem war es für ihn belanglos.
Konzentriere dich auf die wichtigen Dinge im Leben, sagte er mir immer.
Doch ich schob diese Gedanken beiseite und lächelte ihn an.
Er bestand darauf zu bezahlen und half mir dann meine Jacke anzuziehen.
"Ich warte schon darauf, sie dir gleich wieder abnehmen zu dürfen." raunte er leise und lächelte unschuldig.
Ich schüttelte amüsiert den Kopf und hakte mich bei ihm ein. Ich wollte ihm sein Verhalten heute nicht mehr verübeln.

Im Auto ruhte sein intensiver Blick auf mir und ich war froh, dass seine grünen Augen nichts mehr mit denen einer Schlange gemeinsam hatten. Er legte seine Hand auf mein Knie und schaltete das Radio an.
Zufällig lief die Werbung für das Call-Center Town, doch er lachte nur leise und schaltete auf einen anderen Sender.

"Das ist doch Schwachsinn..." murmelte er und sah desinteressiert aus dem Fenster.

Unwillkürlich musste ich an den Mann vom Center denken, was er jetzt gerade tat und ob er noch woanders arbeitete als in diesem Center. Diese Arbeit war bestimmt sehr nervenaufreibend und kostete ihm den Schlaf. Ich machte mir Sorgen, dass er nicht genug schlief und wunderte mich, warum er dennoch so gut gelaunt war. Vielleicht mochte er mich ja?
Ich grinste in mich hinein.

Marcus nahm dies als Zeichen und stellte das Radio aus. Seine Hand glitt an meinem Bein empor und zupfte dann an meiner Bluse.
"Hey!" kicherte ich.

Marcus verschränkte zufrieden die Hände hinter dem Kopf und lächelte mich an. Der Glanz des Alkohols lag in seinem Blick.

Ich lächelte zurück, musste aber immer daran denken, dass er sich gerade nur so benahm, weil er vom Wein und seinen Tücken verleitet wurde. Wann war er zuletzt so unbeschwert gewesen? Wann hatten wir das letzte Mal wirklich gemeinsam über etwas gelacht? Mir fiel nichts dazu ein. Entweder er lachte über einen Witz, den ich nicht lustig fand, oder es war anders herum.

Ein hartnäckiger Kloß bildete sich in meinem Hals und ich versuchte verzweifelt ihn herunter zu schlucken. Es brachte nichts. Hoffentlich versagte meine Stimme nicht noch.
Wir kamen unserer Wohnung immer näher.
"So, da wären wir..." meinte ich leise und zum Glück hörte sich meine Stimme einigermaßen normal an.
Mittlerweile parkte ich vor unserem Apartment.
Marcus verließ das Auto und öffnete mir die Tür. Er führte sich wie ein Gentleman auf, seitdem wir im Restaurant waren. Er brauchte mir nicht mehr imponieren, ich wäre ihm schon dankbar gewesen, wenn er sich nicht immer so voll laufen ließe.

Ich brauchte ein paar Sekunden zum Durchatmen. Die Luft war kühl und befreite mich ein wenig von meinen Sorgen. Dann nahm ich seine nach mir ausgestreckte Hand an und schloss das Auto ab. Sie war warm und viel größer als meine Zierliche.
Ich betete, dass der Abend nur noch Gutes bringen würde.

Call me Dave - Liebe auf den letzten AnrufWo Geschichten leben. Entdecke jetzt