Mister X - Teil 1

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Ich bin in Schreiblaune :) Und ich dachte, bevor meine Muse wieder vom Erdboden verschluckt wird für ein paar Wochen, schreibe ich weiter. Ich entschuldige mich schon im Voraus für das Ende des Kapitels und wünsche euch viel Spaß beim Lesen. :)

„Die Note für Ihre Bilder finden Sie auf der Rückseite. Wer der Meinung ist, sie zu Unrecht erhalten zu haben, der soll später zu mir kommen", ertönte Finnigs tiefe Stimme durch den Kunstraum, während er einem nach dem anderen sein Bild auf den Tisch hinlegte. Ich hatte ganz vergessen, dass er sie vor den Weihnachtsferien eingesammelt hatte.

„Diese Stunde wird es keine Aufgabe für euch geben, malt einfach das, wozu ihr gerade Lust habt", verkündigte er zum Erstaunen aller und nachdem er wieder Platz auf seinem Stuhl genommen hatte, ging das Gemurmel los.

Ich versuchte es zu ignorieren und konzentrierte mich auf mein eigenes Kunstwerk. Ich hatte es mit Pastelkreide gemalt. Im Zentrum saß ein Mädchen, zusammengekauert, die Knie an den Körper gezogen, das Gesicht in den Händen vergraben. Der Hintergrund war vollkommen schwarz gehalten. Es war bestimmt nicht mein bestes Werk, aber es wurde durchaus der gestellten Aufgabe, ein negative Gefühl darzustellen, gerecht. Ich drehte die Leinwand um und fand die Punktzahl samt Finnigs unleserlicher Unterschrift in der Ecke. 15 Notenpunkte. Das war überraschend. Ich wusste, dass ich eine der besten im Kunst-Kurs war, aber noch nie hatte ich die volle Punktzahl für etwas erhalten.

Vorsichtig warf ich einen verstohlenen Blick in Finnigs Richtung. Er hatte sichin seinem Stuhl zurück gelehnt und war in irgendwelche Unterlagen vertieft. Seine volle Aufmerksamkeit schien den Papieren in seiner Hand zu gelten; das dem nicht so war, erkannte ich in der nächsten Sekunde. Als hätte er meinen Blick auf sich gespürt, hob er den Kopf und sah mir trotz der Distanz direkt in die Augen. Seine Augen strahlten eine Wärme aus, von der ich mir vor drei Monaten nicht einmal vorstellen hätte können, dass sie dazu fähig wären. Seine ganze Körperhaltung wirkte entspannt und ein Lächeln umspielte seine Lippen.

Ich erwiderte es automatisch, als wäre es ein ungeschriebenes Gesetzt, und blickte wieder zu meinem Bild. Finnig nur anzusehen, brachte die Schmetterlinge in meinem Bauch wieder zurück. Am Anfang hatte ich sie noch gehasst - dieses ständige Kribbeln in meiner Magengegend -,aber langsam begann ich mich damit anzufreunden. Es war nichts, was man verdrängen konnte. Wenn ich eines gelernt hatte in der letzten Zeit, dann, dass die Gefühle zehn Mal stärker zurückkamen, wenn man versuchte sie zu verdrängen.

Nach unserer gemeinsamen Silvesternacht war ich mir nicht einmal mehr sicher, ob ich meine Gefühle für Finnig verdrängen wollte. Es würde mir falsch vorkommen, sollte ich es tun.

Mit den Gedanken bei besagter Nacht, holte ich meinen Malblock und ein paar Stifte heraus. Und kurz darauf, begann ich ein tanzendes Paar zuzeichnen. Vor meinem inneren Augen sah Finnig und mich nah beieinander stehen, seine Hand in meiner, die andere an meinem Rücken. Und dann sah ich sein Gesicht dich bei bei meinem, konnte seinen unverkennbaren Duft wahrnehmen. Insgeheim bereute ich es,nicht den Mut aufgebracht zu haben und ihn zu küssen. Trotz des Risikos, dass uns jemand hätte sehen können.

Ein leiser Seufzer kam mir über die Lippen. Die Erinnerungen daran waren so frisch, dass sie mich über den Tag hinweg verfolgten. Und das täglich.

Inder Nacht zu Neujahr hatte sich irgendetwas zwischen Finnig und mir verändert. Es war, als hätte jemand einen Knoten gelöst und damit die Unentschlossenheit, die mich die ganze Zeit verfolgt hatte, in Luft auflösen lassen, als er meine Hand in seine genommen hatte. Ein stummes Zeichen. Als hätte er sagen wollen: Ich fühle genauso. Du bist nicht alleine.

Ich wollte es wirklich glauben; ich war immerhin nicht vollkommen blind,aber ein Teil in mir wollte es nicht wahrhaben. Nicht wahrhaben, dass er womöglich ebenfalls Gefühle für mich hatte. Warum nur fiel es mir so schwer, es zu glauben? Bei Raphael hatte ich dieses Problem nicht gehabt. Aber Raphael hatte auch von Anfang Interesse an mir gezeigt, bei ihm wusste ich immer an was ich dran war. Bei Finnig war das lange Zeit nicht der Fall gewesen und auch heute war ich mir nicht ganz sicher deswegen.
Und das Wichtigste: Raphael hatte mich eine sehr sehr lange Zeit immer nur in Kleidung gesehen. Finnig dagegen hatte mich so gesehen wie ich war, ohne Kleidung, die meine hässlichen Narben verdeckte.

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