Prolog

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Erneut ein verschwendeter Tag in der Bakerstreet und nur zwei Klienten, beide mit irgendwelchen unglücklichen Romanzen... Kurz gesagt: Langweilig für selbsternannten Consulting detective Sherlock Holmes.

Seufzend ließ er sich in seinen Sessel neben dem Kamin fallen und beobachtete, wie John Watson in dem Sitz ihm gegenüber Platz nahm und ihn wissend ansah. "Ich weiß, dir ist langweilig, aber ich warne dich Sherlock: Wehe du schießt wieder auf die Wand!" Als Antwort verzog der Detektiv nur gleichgültig den Mund.

Plötzlich hörten sie wie unten die Haustür aufgestoßen wurde und anschließend schleifende Schritte auf der Treppe. Die beiden Männer sahen sich wissend an: Es musste ein Klient sein und glücklicherweise war die Wahrscheinlichkeit, dass auch dieser ein Liebesproblem hatte, nicht besonders hoch. John erhob sich bereits und wollte gerade die Tür zu ihrem Zimmer öffnen, als dahinter etwas dumpf dagegen stieß. "Gott, Sherlock! Das hört sich an als wäre unser Klient gerade zusammengebrochen." Schnell öffnete er die Tür und eine vergleichsweise junge Frau fiel mit geschlossenen Augen und der Ohnmacht nahe in das Zimmer.

Erst jetzt erhob sich Sherlock aus seinem Sessel und ging neben ihr in die Knie. Während John nach einem Erste-Hilfe-Koffer suchte, begann er mit seiner Deduktion. "Ich schätze um die zwanzig Jahre alt, im Besitz eines Hundes. Rechtshänderin." Nach einem weiteren Blick stöhnte er auf. "Verdammt! Eine ganz normale arbeitslose Frau, vermutlich gerade erst mit der Schule fertig. Daraus folgern wir: Auch sie leidet an irgendeinem Herzschmerz." Entnervt verdrehte er die Augen, erhob sich und nahm wieder in seinem Sessel  platz, als John mit einem nassen Lappen und einem Hocker aus der Küche wiederkam und ihn vorwurfsvoll ansah. "Reißen sie sich zusammen, dieses Liebesproblem scheint ihr ziemlich zuzusetzen."

Er hob sie vom Boden hoch, setzte sie in den Sessel Sherlock gegenüber und legte ihr den nassen Lappen auf die glühende Stirn. Da fiel plötzlich etwas aus der Hosentasche der Frau und Sherlock erhob sich ruckartig. Eine blutige Münze, die ziemlich alt aussah! Der Fall schien doch etwas spannendes an sich zu haben.

John zog erschrocken die Luft ein. "Mein Gott! Ist das etwa ihr Blut?" Sherlock begann die fast Bewusstlose zu untersuchen und schob schließlich ihren Ärmel hoch. Der zum Vorschein kommende Arm war blutverschmiert, lediglich drei darin eingeritzte Buchstaben waren zu erkennen. Sherlock fuhr zurück als er sie las: I O U.

John hastete fluchend zum Telefon, schien jedoch nicht zu wissen, was es damit auf sich hatte. "Stopp!" schrie da plötzlich Sherlock und sein Mitbewohner hörte auf die Nummer des Krankenhauses zu wählen. "Diese Botschaft ist für mich bestimmt! Aber von der Münze, die sie bei sich trug stammt die Wunde der Frau nicht. Das Blut auf der Münze ist jedoch identisch mit dem aus ihrem Arm. Folglich muss es noch eine weitere Wunde, oder sogar Nachricht, an ihrem Körper geben.

Entgeistert starrte ihn John an. "Verdammt, Sherlock! Haben sie die Menge an Blut gesehen, die sie verloren hat?! Es ist ein Wunder das sie noch halbwegs bei Bewusstsein ist. Wir müssen einen Krankwagen rufen!" "Einen Augenblick noch, John. Wir müssen nur noch die zweite Wunde finden, danach können wir meinetwegen rufen, wen Sie wollen." John schien nicht gerade einverstanden zu sein, ließ aber trotzdem dass Telefon sinken.

Sherlock überlegte und schien plötzlich fündig geworden zu sein. Auf der rechten Hand des Frau war etwas eingeritzt, das aussah wie eine Rose. Ratlos starrten die beiden Männer auf das Zeichen herab, als Sherlock ein Geistesblitz durchzuckte, den er laut mit John teilte und dabei begann, in das Badezimmer zu hasten.

"Wie blind wir doch waren, John! Das Objekt mit dem die Rose in die Hand der Frau geschnitten wurde ist eine Münze. Ziemlich alt, aber gewiss älter als wir dachten." Mit diesen Worten wusch er das Blut von der 'Tatwaffe' und betrachtete das zum Vorschein kommende Gesicht darauf. "John, das ist eindeutig das Gesicht Kaiser Octavians auf dieser Münze! Ihnen ist doch klar, was das bedeutet?" Verständnislos blickte ihn John an und schüttelte den Kopf, woraufhin der Detektiv verächtlich mit seinen Erläuterungen fortfuhr.

"Der erste römische Kaiser Augustus, auch Octavian genannt, lebte noch vor Christus und starb 14 Jahre nach Christus. Die ersten Abbildungen von ihm entstanden in der Antike, woraus wir schließen können, dass es sich bei der vermeintlichen Waffe um eine antike Münze handelt. Mit dieser wurden aber nicht die drei Buchstaben, sondern nur die Rose in die Hand der Frau geritzt. Denken sie scharf nach John! Eine antike Münze in Verbindung mit einer Rose!" Noch immer stand John ein wenig ratlos im Raum und bat seinen Mitbewohner schließlich, ihn aufzuklären.

"Wie langweilig es doch in Ihrem winzigen Gehirn sein muss, dabei liegt es doch auf der Hand! Heute gilt die Rose zwar als Symbol für Liebe, aber in der Antike war es ebenfalls ein Zeichen für Geheimnisse oder Verschwiegenheit. Aber wieso sollte der Täter neben der  Botschaft auf ihrem Arm noch diesen Hinweis und dann die Tatwaffe in ihrer Hosentasche hinterlassen?"

Plötzlich durchfuhr es Sherlock kalt, als er verstand. "Mein Gott, John. Diese Frau ist Rechtshänderin. Auf ihrem rechten Arm sind die Buchstaben I, O, U. Aber auf ihrer linken Hand, auf der sie mühelos selber etwas hinterlassen konnte, fanden wir die Rose und die dazugehörige Münze in ihrer eigenen Tasche! Das bedeutet, die Botschaft auf ihrem Arm stammt von jemand anderem, die auf ihrer Hand jedoch hat sie sich selber eingeritzt!" John sah ihn entgeistert an. "Es muss schmerzhaft gewesen sein und doch hat sie es auf sich genommen! Warum bloß?" Sherlock überlegte und erklärte es ihm dann:

"Sie selbst hat sich die Rose zugefügt und sie selbst ist zu uns gekommen. Diese Botschaft ist also für uns gedacht. Sie hatte keine Tasche, weder Stift noch Papier, aber sie war intelligent genug mit den einzigen Gegenständen, die sie bei sich trug, ein paar Münzen, eine Nachricht zu hinterlassen, falls sie es uns nicht mehr selbst sagen könnte, was der Fall war!"

Beim reden wurde Sherlock, wie so oft, unglaublich schnell, sodass John Mühe hatte zu folgen.

"Und erinnern Sie sich, John, was die Bedeutung der Rose in Verbindung mit etwas aus der Antike ist: Verschwiegenheit, ein Geheimnis. Was also wollte sie uns mitteilen? Genau! Sie bittet uns, vorerst nicht die Polizei oder den Notarzt zu informieren und auch sonst niemandem von ihr zu erzählen, bis sie wieder bei Bewusstsein ist. John, das ist genial!"

So setzten sich die beiden auf ihr Sofa und warteten, während sie diskutierten, was wohl dahinter steckte.

Plötzlich regte sich die junge Frau, überraschender Weise zog sich ein feines Lächeln über ihr Gesicht und Sherlock und John erhoben sich, um zu ihr herüber zu gehen. Schwach setzte sie sich auf, wobei sie ein wenig zitterte. Schließlich sagte sie leise: 

"Sie haben sich geirrt, Mr. Holmes..."

Er sah sie fragend an.

"Behaupten sie nie wieder, ich sei 'durchschnittlich oder normal', wenn ich vor Ihrer Tür zusammenbreche."

The Girl with the MindpalaceWo Geschichten leben. Entdecke jetzt