Routinearbeit und: In Moriartys Appartement

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Ein Monat hatte 28 bis 31 Tage, das heißt 672 bis 744 Stunden und 40.320 bis 44.640 Minuten.

Das alles hatte Olivia in zwei Sekunden berechnet, also WARUM ZUR HÖLLE LIES SIE MORIARTY NICHTS SPANNENDES MACHEN !?!?!?

Bereits seit einem ganzen Monat saß sie bloß in ihrem Dachbodenzimmer hinter einem kleinen Schreibtisch und wurde gezwungen, Akten zu sortieren. Stinknormale Büroarbeit, bei der es ihr Job war, die Zettel auf Grammatik oder Rechtschreibfehler zu prüfen und darauf zu achten, dass Seite 6 nicht vor Seite 4 kam und so etwas. Olivia hasste es. Ihr war langweilig, den ganzen Tag, einmal war es sogar so schlimm geworden, dass sie versucht hatte, sich mit den Papieren die Halsschlagader aufzuschneiden und auf der Stelle zu sterben, es wäre wesentlich besser als diese verdammte Langeweile. Manchmal hatte sie das Gefühl, Moriarty wollte sie auf diese Weise foltern, denn Olivia wusste, dass er, genau wie Sherlock, sehr schnell gelangweilt war.

Auch heute war wieder so ein verschwendeter Tag und sie hatte schon vor einer Stunde alle Akten korrigiert. Gestern hatte sie aus den Zetteln Origamivögel und Papierflieger gebastelt, worauf hin sie nicht zum Abendessen erscheinen durfte. Bei den Essen, die dreimal täglich stattfanden, sah sie Jim Moriarty immer am Kopf des Tisches sitzen, aber ihr wurde verboten, ihn anzusprechen, weshalb sie nur Gespräche mit den anderen Arbeitern führen konnte. Nicht wirklich interessant, aber immer noch das spannendste ihres Tages.

Da es sich bei ihren kriminellen 'Mitarbeitern' um acht Männer und vier Frauen handelte, hatten schon zwei der jüngeren Arbeiter ein Auge auf sie geworfen und stritten tatsächlich darum, wer während des Essens neben ihr sitzen durfte. Liebe war kindisch, das wusste auch Moriarty. Als letzte Woche die beiden Idioten ewig diskutierten, wer den Platz neben Olivia bekommen sollte, stand er auf und schoss den lauter schreienden Arbeiter einfach mit einer Pistole an. Anschließend war nur noch der andere zum Essen erschienen und setzte sich nur noch auf den Stuhl, der am weitesten von ihr weg war.


Plötzlich klopfte jemand laut an die Luke im Boden, durch die man das Zimmer verlassen konnte und Olivia stand erleichtert auf, als es jener Sicherheitsmann war, der sie immer zum Essen brachte. Sie war froh das sie nach dem Origami-Desaster endlich wieder essen durfte.

Fünf Minuten später betrat sie den kleinen Speisesaal, in dessen Mitte ein langer Tisch mit Essen darauf und Moriarty an der Spitze stand. Sie nahm ihren Platz ein und lud sich drei Brötchen und übertrieben viele Würste und Aufschnitte auf den Teller. Sie hatte unglaublichen Hunger und stopfte sich einfach alles in den Mund, was rein passte. Als sie zufällig aufsah, merkte sie, dass Jim Moriarty sie lächelnd von seinem Platz aus ansah. Schnell tupfte sie sich mit einer Serviette den Mund ab und setzte sich ein wenig gerader hin, denn sie sah bestimmt nicht gerade wie eine kompetente Arbeiterin aus, kein Wunder, dass sie nichts richtiges erledigen durfte. Andererseits konnte sie nichts dafür, dass sie schon einen Monat ohne Dusche, Spiegel oder Kamm auskommen musste.

Peinlich berührt aß sie in normalem Tempo zu ende und erhob sich dann, um zu gehen, sie war bereits die Letzte im Saal, abgesehen von ihrem 'Boss'. Da sagte er plötzlich: "Miss. Skielos, sie kommen heute mit mir."

Verunsichert folgte sie ihm, bis er vor einer großen Tür stehen blieb. Er öffnete sie mit einer Schlüsselkarte und er und Olivia betraten eine große, luxuriöse Suite mit schönem Ausblick auf London. Moriarty lachte, als er ihren neidischen Blick sah und sagte:   "Ich weiß, Sie sind ganz fasziniert von meinem wunderbaren Appartement, aber Sie haben wichtigeres zu tun. Ich benötige in einem Fall ihr Wissen, aber ich kann mich nicht mit Ihnen blicken lassen, wenn Sie so aussehen..."   Olivia blickte beleidigt aber auch beschämt an sich herab, immer noch die selben Klamotten wie vor einem Monat, ihre Haare ungekämmt und irgendwie fettig. Es war in der Tat nicht besonders schön. Dann sagte Jim:  "Sie dürfen ausnahmsweise mein Bad benutzen, ebenso meine Dusche, Handtücher liegen bereit."   Olivia war ein wenig misstrauisch und fragte sich, ob aus der Dusche statt Wasser irgendein Gift herauskommen würde, aber sie entschied, sein Angebot dankend anzunehmen.

Das Badezimmer war nicht so groß wie erwartet, aber bestand aus edlen, dunkelblauen Fliesen. Die Dusche war ebenfalls ein wenig eng, aber dafür standen am Rand verschiedene Körperöle und Shampoos, außerdem zwei weiche Handtücher. Sie roch an allem, aber fand keinen giftigen oder unnatürlichen Geruch vor. Erleichtert zog sie ihre Klamotten aus, warf sie achtlos auf den Boden und stieg dann in die Dusche, deren gläserne Tür sofort bei dem heißen Wasser beschlug. Es tat wirklich gut, endlich wieder gepflegt herum zu laufen. Nachdem sie jedes einzelne Shampoo und Öl ausprobiert hatte, verlies sie zufrieden die Dusche, aber ihre Klamotten lagen nicht mehr auf dem gefliesten Boden. Ihr Mund klappte auf. Moriarty hatte es NICHT ERNSTHAFT gewagt, hier einfach rein zu spazieren und ihre Kleidung zu stehlen!?!  Wenigstens hatte er sie wegen der beschlagenen Scheiben nicht unter der Dusche sehen können.  

Verärgert suchte sie nach etwas anderem zum anziehen, aber sie fand nur die zwei Handtücher vor. Das war doch bitte nicht sein Ernst!!! War es sein Plan gewesen, sie nur mit einem viel zu kurzen Handtuch bekleidet hier in seinem Appartement zu haben?!  Wütend schlang sie das eine Tuch um ihren Ober- und das zweite um ihren Unterkörper, sodass sie wenigstens einen Sichtschutz bis zu ihren Knien hatte, lediglich ein Teil ihres Bauches blieb frei. Jetzt öffnete sie genervt die Badezimmertür und stürmte in das Wohnzimmer, in dem Jim Moriarty auf einem geräumigen Sofa saß. Neben ihm lagen ihre Klamotten.

"Ich hoffe, Sie haben eine SEHR GUTE ERKLÄRUNG dafür!!!!"  Schrie Olivia und wollte sich ihre Kleidung nehmen, aber er hielt sie an den Handgelenken fest, dann zog er sie neben sich auf das Sofa. Sie versuchte wieder aufzustehen, aber als das nicht klappte, blieb sie widerwillig neben ihm sitzen.  "Wenn Sie mich jetzt nicht sofort meine Sachen anziehen lassen, dann KÜNDIGE ICH !!!!" Schrie sie wütend, aber er zog nur belustigt eine Augenbraue hoch. Dann sagte er:

"Das können Sie zwar nicht, aber den Versuch war es wohl wert. Wenn Sie sich wieder beruhigt haben, ziehen Sie die Kleidung an, die ICH für Sie rausgesucht habe. Für meinen Auftrag, bei dem Sie mir helfen sollen, werden wir schick aussehen müssen."   Er reichte ihr ein langes, rotes Abendkleid und hohe Schuhe. Es sah ziemlich teuer aus und Olivia starrte das Outfit mit offenem Mund an, es war wunderschön. Eigentlich war ihr Mode schon immer egal gewesen, aber das war einfach nur 'WOW'.  Sie nahm die Anziehsachen entgegen und sagte:

"Das ist unglaublich schön.....Vielen Dank."  Er sah ihr tief in die Augen und sagte dann leise: "Nur das Beste für meine Mitarbeiterin des Monats."  

Olivia erhob sich und ging wieder in das Badezimmer um sich umzuziehen. Moriarty sah ihr nach. Er sah selten Frauen mit einer so hohen Intelligenz, die Einzige, die Olivia die Stirn bieten konnte, war vielleicht Irene Adler, aber die war im Ausland erschossen worden. Sowieso fand Jim, das Olivia cleverer war als sie, vielleicht sogar genauso clever wie er selbst. Moriarty dachte noch ein wenig drüber nach, als Olivia aus dem Bad trat. Er hatte sie noch nie so elegant gesehen, aber es stand ihr perfekt. Natürlich war sie nach den momentanen Schönheitsidealen aus der Sicht vieler 'Hübsch', aber in diesem Kleid war sie sogar noch mehr als bloß hübsch.

Olivia fühlte sich nicht besonders wohl, als Jim sie mit einem kleinen Lächeln von oben bis unten musterte, aber sonst gefiel es ihr relativ gut, auch wenn es ungewohnt war. Trotzdem fragte sie sich, wohin sie mit Moriarty gehen würde. Sie wollte ihn gerade fragen, als er sein Handy aus der Hosentasche zog und sagte: "Mrs. Duwell? Ja. Genau, wie besprochen. Bringen Sie die goldenen mit, der Rest ist Ihnen überlassen."

Fünf Minuten später betrat eine ältere Dame namens Antoinette Duwell das Wohnzimmer, die einen großen Schminkkoffer und mehrere Echtgold-Schmuckstücke dabei hatte. Kurz darauf musste Olivia vor einem Spiegel Platz nehmen und dabei zusehen, wie ihr Gesicht unter Wimperntusche, Liedschatten und Lippenstift verschwand. Natürlich hatte sie sich schon öfter als einmal geschminkt, aber nie professionell oder besonders auffällig, sie hatte nie aus der Menge hervorstechen wollen, sondern vielmehr darin verschwinden.

Als Antoinette schließlich fertig war, verließ sie einfach wortlos das Zimmer. Olivia blickte unsicher ihrem Spiegelbild entgegen, welches nach aktuellen Bewertungskriterien einer Jury für 'überdurchschnittlich schön'  befunden werden würde. Mrs. Duwell wusste wirklich, was sie tat. Plötzlich legte sich eine Hand auf ihre nackte Schulter und neben Olivias Spiegelbild erschien Moriarty, in einem eleganten dunklen Westwood-Anzug. Sie musste gestehen, dass er hervorragend aussah. Jim dachte unterdessen das selbe von ihr, aber keiner von beiden würde sich je dazu herablassen, dem anderen zu sagen, wie schön er ihn fand.

Schließlich erhob sie sich und fragte: "Bei welchem Fall brauchen Sie nun meine Hilfe?" 





















  

The Girl with the MindpalaceWo Geschichten leben. Entdecke jetzt