Es regnete wieder, als wir das Haus verließen. Das Haus meiner Eltern.
'Sie sind nicht deine Eltern', zischte eine Stimme in meinem Kopf. Ich versuchte sie zu verscheuchen. "Alles okay bei dir?", fragte Lilith besorgt. Ich nickte.
"Mir ist nur etwas übel von Monopoly." Ich brachte ein Lächeln zu Stande. Wir stiegen in mein Auto, das am Haus geparkt auf uns wartete. Während der Rückfahrt in das innere von London wechselten wir keine Worte. Lilith war eingeschlafen. Ihr Kopf lag an der kühlen Scheibe. Ihr Mund war leicht geöffnet. Mein Blick war starr auf die Straße gerichtet und ich versuchte meine Gedanken zu sortieren. Ich hatte einen Brief gefunden, geschrieben von meiner Mum, adressiert an mich. Mum schrieb in diesem Brief, dass sie nicht meine Mutter war. Meine Tante Sofie, die immer als tot gehalten hatte und es anscheinend auch war, war meine leibliche Mutter. Und ich hatte es nicht gewusste. All die Jahre lebte ich bei der Familie Holmes, war ihr Kind gewesen, die kleine Schwester, das einzige Mädchen unter den Kindern. Nie hatte ich einen Gedanken an eine tote Frau verschwendet, in der ich aufgewachsen war. Und ich hatte eine Schwester! Eine Zwillingsschwester. Sah sie mir ähnlich? Hatte ich sie schon mal gesehen? Mir wurde wieder schlecht bei dem Gedanken.
Nachdem ich den Brief gelesen hatte, hatte ich ihn zurück gelegt und das Badezimmer gefunden, mich fast übergeben und mich dann wieder nach unten zu den anderen gesellt, wo wir eine Runde Monopoly gestartet hatten. Mum hatte geschrieben sie würde auf den richtigen Augenblick warten. Den wollte ich ihr geben, damit sie das verdammt große Missverständnis aufklären konnte. Den ganzen Abend über hatte ich mit den Tränen kämpfen müssen, versucht nicht zusammen zu brechen. Es war einfach zu viel für mich. Alles schien sich momentan gegen mich aufzulehnen.
Das Klingeln von Lilith's Handy, blies meine Gedanken fort. Sie war ebenfalls hochgeschreckt und tastete nach dem Telefon. "Hallo? Wie bitte? Jetzt noch? Oh verdammt, ich habe es voll verpasst. Bin in fünf Minuten da!" Mit geröteten Wangen sah sie mich an. "Die Zahnärtztin. Ich habe meinen Putztermin versäumt. Kannst du mich an der nächsten Ecke rauslassen?"
Ich nickte und war froh über den Gedanken alleine zu sein, als Lilith ausstieg und in den dunklen Abend davon lief.
Zehn Minuten später erreichte ich die Newman Street. Vor unserer Wohnung war keine Parklücke frei. Ich fluchte und parkte das Auto zwei Straßen weiter. Ich ließ die Türen zuschnappen und begann durch den Regen zu eilen. Als ich in unsere Straße einbog war ich klitschnass. Ich trat zwischen die Autos um die Straße zu überqueren. Mein ganzer Körper zitterte. Ein Auto fuhr vorbei. Ich sah mich kurz um. Freie Straße. Ich begann schnell die Straße zu überqueren, als ich meinen Namen hörte: "Jules! Jules, Achtung!" Erschrocken sah ich mich um. Gleisendes Licht, quietschende Reifen. Arme die mich packten und zu Boden warfen. Ich schlug auf dem Asphalt auf, auf mir ein starker Körper, der mich am Boden festhielt. In so einer Situation fiel mir nichts anderes ein, als zu Schreien. Ein Finger legte sich auf meine Lippen. Ich atmete Stoßweise. Jemand zog mich hoch, zog mich auf den Bürgersteig und stellte mich auf meine beiden Füße. Meine Knie knickten ein. Ich wurde hochgenommen. Starke Arme trugen mich in Richtung Haustür. Eine Hand griff in meine Jackentasche und holte den Haustürschlüssel hervor. Ich wusste nicht mehr was geschah. Ich keuchte und alles wurde schwarz.Meine Augenlider flackerten. Ich setzte mich langsam auf und stellte fest, dass ich in meinem Bett lag. Meine nassen Sachen waren verschwunden, ich trug meine Jeans und meine Bluse. Mein Kopf pochte. Ich versuchte mich an etwas zu Erinnern. Das Auto, der Schrei, der Lärm. Ich kämpfte mich an das Fenster, dass einem Blick auf die Straße bot. Ein Auto war in ein anderes gefahren, das anscheinend am Straßenrand geparkt hatte. Polizisten drängten sich um beide Fahrzeuge. Es war kein Krankenwagen zu sehen, dass hieß keine Verletzten.
"Fahrerflucht", sagte eine Stimme. "Ich denke der Unfall war gezielt gewesen." Erschrocken drehte ich mich um. Im Türrahmen stand Ben. Seine nassen Haare fielen ihm in die Stirn, seine Augen zogen mich in ihren Bann. "Was machst du denn hier?", war das einzige was ich herausbrachte. Ben seufzte gespielt. "Das ist also deine Art, deinem Retter zu danken?"
"Du hast mich gerettet? Du warst der, der mich umgeworfen hat, damit ich dem Auto entgehen konnte?" Ben lächelte. "Nein, das war Super-Ben. Der musste aber weiter, deshalb steht hier jetzt das Original." "Haha", machte ich. Ein Lächeln konnte ich nicht unterdrücken. Ben setzte sich an das Fußende meines Bettes. "Ich konnte Verletzungen leider nicht vermeiden. Die Kratzer an deinem Arm sind also meine Schuld!"
Ich krempelte die Ärmel meiner Bluse hoch und betrachtete die Schürfwunden. "Es gibt Schlimmeres", gab ich zu und kuschelte mich enger an die Bettdecke. Mir entging der besorgte Blick nicht, mit dem er mich musterte und der mein Herz höher schlagen ließ.
"Was ist los, Jules?", fragte er. Er klang plötzlich vollkommen Ernst. Ich wollte seinem Blick ausweichen, doch dies fiel mir schwer.
"Ich kann darüber nicht reden", druckste ich herum.
"Doch, kannst du. Mit mir! Ich werde dir helfen. Ich will die helfen. Du hast es verdient, dass dir jemand hilft."
Ich sah ihn nicht an. Er rückte näher zu mir und hob mein Kinn hoch.
"Erzähl es mir. Bitte." Ich schluckte und schüttelte den Kopf. Die Tränen ließen sich nicht länger bändigen. Sie liefen meine Wangen hinunter und blieben an meinem Kinn hängen. Ben wischte sie fort.
"Dann lass dir eins gesagt sein. Du kannst immer zu mir kommen. Erzähle mir alles, wenn du bereit bist."
Er sah mir direkt in die Augen. Ich stieß ein leises Wimmern aus und nickte. Und er küsste mich. Seine Lippen berührten meine und es schien, als würde die ganze Welt anhalten. Ich wollte nicht das es aufhörte. Ich wollte ihn nicht gehen lassen. Er wich für einen Moment vor mir zurück und strich mit seinem Daumen über meine Wange. "Stoß mich nicht weg, Jules Holmes." Und er küsste mich wieder. Ich wusste nicht ob es der Name Holmes, der mir eine Gänsehaut verschaffte, wa oder seine Nähe.
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Jules Holmes
FanfictionDie kleine Schwester des Sherlock Holmes, ist das komplette Gegenteil von ihm. Zudem stellen Geschehnisse, rund um ihren zweit ältesten Bruder, Jules Leben ziemlich auf den Kopf. Da kommen ihr eine neue Mitbewohnerin und ein freilaufender Kirminelle...