Kapitel 17

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Ich werfe Shae einen beunruhigten Blick zu. Es ist ein paar Tage her, seitdem wir uns über unseren angeblichen Tod unterhalten haben. Es ist nicht leicht, Bell den glücklichen Seelenspiegel vor zu gaukeln, obwohl tief in meinem Inneren die Angst und Zweifel sitzen. Und ich glaube, dass er es merkt. Und Av ebenfalls. Aber Nick droht uns gerade zu entlarven. Also, Mädels, sag mir, was ihr im Schilde führt. Seine dunkelgrünen Augen streifen unsere erschrockenen Gesichter, während er sich auf den Boden fallen lässt. Wir führen nichts im Schilde, sage ich mit leicht gereizter Stimme, da unser Geheimnis aufzufliegen droht. Und wieso reagierst du dann so gereizt, Freya? entgegnet er mit wachem Blick. Ich balle die Hände zu Fäusten und beiße die Zähne zusammen, als die Wut durch meinen Körper rauscht. Ich bin so gereizt, weil du uns unterstellst, etwas hinter dem Rücken der anderen zu machen! fauche ich. Mein Kiefer schmerzt und meine Fingernägel graben sich in meine Handflächen. Es tut weh, aber es befeuert meine Wut. Wir planen nichts, Nick, sagt Shae mit ihrer ruhigen Stimme. Wieso lügt ihr mich an? Denkt ihr, wenn ich davon weiß, könnte ich euch hassen? fragt er ruhig, während er wieder aufsteht und mit verschränkten Armen über uns aufragt. Ich beginne zu zittern vor Anstrengung. Shae zieht leicht den Kopf ein und auch ich komme mir unsagbar klein vor. Ich schnaube genervt. Wir führen nichts im Schilde, Nicolas, verdammt! schreie ich, so wütend wie schon lange nicht mehr. Ich spüre, wie meine Gabe sich einschaltet. Alle Erinnerungen, die in Nicolas' Inneren aufbewahrt sind, überfluten seine Wahrnehmung. Ich krame die jüngsten Erinnerungen hervor und lasse alles vor seinem inneren Auge ablaufen. Er zischt wie eine Schlange. Freya, hör auf damit, mein Kopf explodiert noch! schimpft Avs Seelenspiegel. Mit einem Schlag stelle ich den Fluss ein und beginne mir die Schläfen zu massieren, weil ich schreckliche Kopfschmerzen bekomme, wenn ich meine Gabe über beanspruche. Ich will dir keine Illusion aufhalsen müssen, Freya, also beruhig dich wieder, ja? Nicolas atmet wieder ruhiger. Seine Stimme klingt weniger gepresst. Shae, die mein Ablenkungsmanöver genutzt hat, lässt sich unauffällig in der Nähe der Tür nieder, um sich schnell verkrümeln zu können, sollte es nötig werden. Ich bleibe mit geballten Fäusten stehen. Also, was verheimlicht ihr hier? Seine Stimme ist ruhig und klingt, als würde er Kinder zu etwas bewegen wollen. Nick merkt, dass er bei mir auf tauben Ohren stößt und wendet er sich Shae zu. Sie wirft mir einen fast ängstlichen Blick zu. Hey, lass sie in Ruhe! fauche ich. Nicolas sieht mich fragend an und erwidert: Muss ich Bell holen, damit er mir erzählt, was ihr ausheckt? Eine gemeine Taktik. Bell würde ich es nicht verbieten können, es herauszufinden. Er soll nichts davon erfahren. Und wenn doch, kriegst du es mit mir zu tun, verstanden? knurrt jetzt Shae. Die kleinen Raubkatzen, was? stichelt Nicolas frech. Wir sind älter als du! fauchen wir im Chor und Nick beginnt zu lachen. Dann wird er aber wieder ernst. Erzählt mir was los ist. Ich kann spüren, dass ihr es verzweifelt hinter einer Illusion von Freude versteckt, obwohl ihr beide zweifelt. Shae erstarrt. Mir geht ein Licht auf. Wir sehen einander an. Es ist so einfach. Schon die ganze Zeit, haucht Ansels Seelenspiegel. Was ist einfach? fragt Nicolas verwirrt. Dann schnappt er überrascht nach Luft: Shae hat sich in seine Arme geworfen. Sein Blick wandert von Shaes dunklem Haarschopf, der sich an seiner Schulter vergraben hat, zu mir und wieder zurück. Erst nach ein paar Sekunden, die sich anfühlen wie Minuten, legt er ihr vorsichtig die Arme zwischen Taille und Brust um den Körper. Wenn du das auch vorhast, dann komm lieber gleich, sagt Nicolas und streckt einladend einen Arm aus. Ich hüpfe energiegeladen durch den Raum, bevor ich mich in dem Arm von Avs Seelenspiegel wieder finde. Also, was soll das Ganze? fragt er nach ein paar Minuten. Shaes Versonnenheit löst sich in Luft auf und sie lässt Nicolas los. Ich tue es ihr gleich. Wir müssen ihn einweihen, stelle ich fast etwas betreten fest. Wir weihen dich ein, sagt Shae, wenn du schwörst, dass weder Av, noch Ansel noch Bell etwas davon mitbekommen. Nicolas wirkt etwas unsicher, legt aber zwei Finger gekreuzt auf seinen Brustkorb und schwört, dass es keiner erfahren wird. Dann seufzt er. Also, was ist jetzt das große Geheimnis? fragt Nicolas und es gelingt ihm nicht ganz, seiner Neugierde zu verstecken. Wir sehen ihn an, bevor Shae Luft holt. Wir täuschen unseren Tod vor. Ich bin eine Gefahrenquelle, die nicht sein muss. Verstehst du? Wenn die Gemeinschaften glauben, Frey und ich wären tot, gibt es nichts mehr, weswegen sie uns etwas tun sollten, erklärt das dunkelhaarige Mädchen. Nicks Augen weiten sich mit jedem Wort ein bisschen mehr und am Ende steht ein zutiefst erschrockener Junge vor uns - in diesem Moment wirkt er so viel jünger, als er sich sonst normalerweise verhält. Ihr täuscht bitte was vor? krächzt Avs Seelenspiegel. Unseren Tod. Und dazu könnten wir deine Hilfe gebrauchen. Du kannst doch Illusionen erzeugen, nicht? entgegne ich ungerührt. J-jaa, schon, aber seid ihr sicher, dass ihr das durchziehen wollt? Vor allem allein? fragt Nicolas, der sich inzwischen wieder im Griff hat. Ja, sagt Shae und ich füge hinzu: Wir sind nicht allein. Wir werden neben dir auch noch Ash, Jes und Key einweihen. Es muss nur alles glatt laufen. Danach müssen wir uns nie wieder Sorgen machen, dass man uns verdächtigt, auf irgendeine Weise mit den Gemeinschaften in Verbindung zu stehen. Nicolas nickt verstehend und lässt sich auf das Bett fallen. Kannst du überhaupt so viele Illusionen erzeugen? fragt Shae skeptisch. Nick, der gerade in Begriff war, sich rückwärts auf die Matratze fallen zu lassen, fährt so ruckartig hoch, dass Shae und ich zusammen zucken. Du machst ja wohl Witze, oder? Ich bekomme das schon hin. Und selbst wenn: Dein Seelenspiegel ist Heiler. Was soll also groß passieren? Avs Seelenspiegel ist für meinen Geschmack etwas zu leichtsinnig. Es kann so viel schief laufen. Shaes Augenbrauen berühren fast ihren Haaransatz, so sehr zieht sie sie in die Höhe. Was groß passieren soll? Ich kann es nicht einmal alles aufzählen, stöhnt sie genervt. Wir klären die Feinheiten doch noch mit den anderen Jungs, lacht Nick. Ja, klar, aber zuerst sollten wir....,setze ich an, aber Av, die zur Tür hereinkommt, unterbricht mich unbewusst. "Da bist du ja!" sagt Nicolas, als würde nicht er die ganze Zeit über verschwunden sein. "Ich habe Frey und Shy auch schon gefragt, wo du bist". "Ich war in meinem Zimmer. Du hättest nur reinkommen müssen, Dödel", entgegnet Av und knufft ihn sanft in die Seite. "Ich bin ein Gentleman und als solcher darf ich das nicht. Also meine kleine Herrin, was gedenkt ihr zu tun?" Ein freches Grinsen ziert Nicks Lippen, aber seine Augen sind ernst, als er Av über die Schulter wirft. Er sieht Shae und mich ein letztes Mal ernst an, dann schließt er hinter sich und einer zappelnden Av die Tür. Ich schaue Shy an und weiß, dass ihre Sorgen so groß sind wie meine. Es wird alles gut gehen, besänftigte ich das jüngere Mädchen. Sie schenkt mir ein warmes Lächeln. Ganz sicher. 

Catching FreyaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt