Kapitel 20

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Der 8. rückt unweigerlich näher und es ist nicht ganz einfach, es vor Bell geheim zu halten. Schon gar nicht, wenn ich mit dem Gedanken spiele, es ihm einfach zu sagen. Aber das geht nicht. Ich habe Shy schließlich mein Wort gegeben. Allerdings könnte ich schwören, dass sie es Ansel auch gern sagen würde. Ich lenke mich damit ab, dass ich Key Selbstverteidigung beibringe. Es wundert mich ehrlich gesagt, dass er es nicht schon längst kann. Ich dachte immer, er wäre der Black-Bruder, der ein adaptives Muskelgedächtnis hätte und dadurch jede gesehene Bewegung ausführen könne. Aber da habe ich ganz offensichtlich etwas durcheinander gebracht. "Key, wenn du lernen willst, wie man sich richtig verteidigt, musst du auch lernen, wie man zu schlägt". "Und es gibt keinen Weg daran vorbei?" fragt er. So gern ich den Kerl auch habe, er macht es mir nicht gerade einfach. "Weißt du was? Wir gehen zu Bells Zimmer und da testen wir aus, wie viel Kraft du hast. Ich muss wissen, wie viel Kraft du besitzt, um abschätzen zu können, wie ich mit dir umgehen muss", erkläre ich. Key seufzt. "Okay. Solange ich diese Kraft nicht austesten musst, wenn du kampfunfähig bist". Ich hebe eine Augenbraue. Kampfunfähig? Das klingt so, als hätte er die Druckpunkte des Körpers drauf. "Du kannst die Druckpunkte, habe ich Recht?" frage ich. "Ja. Du nicht?" Kieran wirkt überrascht. "Nein. Ich habe mich bisher immer anders verteidigt", sage ich. Ich nehme die Boxhandschuhe vom Boxsack und reiche sie Key. Dann bedeute ich ihm, einen Schlag auszuführen. Es ist ein einfacher Schlag. Ein kräftiger Schlag. Aber ich habe das Gefühl, als würde er sich zurück halten. "Du hältst dich zurück, Black. Du musst schon richtig zu schlagen". Ein Hundblick huscht über sein sonst so gefasstes Gesicht. "Ich weiß. Ich möchte nicht riskieren, dich später zu verletzen, Freya. Neben der Tatsache, dass ich halb tot sein würde, sollte das der Fall sein. Bell ist ziemlich unbarmherzig". "Ich trainiere seit ich 8 bin mit Ash und Jes. Ich bin besser in der Defensive. Deshalb meinten Ash und Jes auch, das es gut wäre, mich wählen. Die beiden gehen mehr in Offensive und das kann ziemlich schmerzhaft und gefährlich sein", erkläre ich ihm. "Und du bist sicher, dass ich dich nicht verletze?" fragt Kieran. Ich nicke. "Okay. Ich werde es versuchen", sagt er. Key baut sich in der Kampfstellung auf, die ich ihm gezeigt habe. Mein Blick fällt auf seine wohl trainierten Arme. Welches Mädchen diesen Kerl auch je bekommt hat wirklich Glück. Aber die Muskeln haben alle Blacks. Ich schätze, unter dem dunklen Stoff verbirgt sich zu den muskulösen Armen auch noch ein Sixpack. Wie gesagt, das Mädchen hat wirklich Glück. Ich schlage langsam in Richtung seines Bauchs. Es hat fast etwas gelangweiltes. Key bewegt sich schnell. Er packt mein Handgelenk und drückt auf meine Pulsschlagader. Bevor ich reagieren kann, geben meine Beine nach und ich wäre auf dem Boden gelandet, hätte mich Key nicht am Fallen gehindert. "Du bist echt gut", sage ich anerkennend. "Ich kann mich aber nicht verteidigen", entgegnet er. Ich fange an zu lachen. "Du kannst dich nicht verteidigen? Du hast mich gerade mit einem Griff kampfunfähig gemacht! Wo wir schon dabei sind - wie lange dauert es, bis ich mich wieder bewegen kann?" frage ich und werfe einen Blick auf meinen Körper. "Nur noch zwei Minuten", erklärt Kieran, nachdem er einen Blick auf seine Armbanduhr geworfen hat. Ich stöhne genervt. "Würdest du mich dann wenigstens aufsetzen, damit ich nicht wie eine tote Maus am Boden liege?" bitte ich. "Ich habe eine bessere Idee", sagt er. Key wirft mich über die Schulter und setzt mich liebenswerterweise mit dem Rücken an die Bettkante von Bells Bett. Ich bin ihm zwar irgendwie dankbar, aber ich finde, er hätte mich nicht über seine Schulter werfen müssen wie einen Sack. Gerade, als Kieran mich so hingesetzt hat, dass es aussieht, als hätte ich mich absichtlich da niedergelassen, öffnet sich Bells Tür und er kommt herein. "Was macht ihr zwei denn hier?" fragt mein Seelenspiegel verwirrt. "Wir warten darauf, dass ich mich wieder bewegen kann", erkläre ich. Bell verdreht die Augen. "Du hast dich wohl mit Key angelegt, was?" lacht er. "Er hat gesagt, er könne sich nicht verteidigen und ich wollte ihm nur helfen", entgegne ich. "Hat er dich nicht gewarnt, dass er die Druckpunkte drauf hat?" Bell wirft seinem Bruder einen Blick zu. "Das schon. Aber er hat mich nicht gewarnt, dass er sie benutzen würde", erkläre ich. Bell bricht in Gelächter aus. "Tja, unterschätz uns nicht". Ich ziehe eine Schnute. "Das würde ich nie tun. Vor allem deshalb nicht, weil mich jetzt schon mehrere Menschen über die Schulter geworfen haben", nuschle ich leiser. "Du hast Frey über die Schulter geschmissen?" fragt Bell an seinen Bruder gewandt. Dieser hebt die Hände. "Ich dachte, es würde lustig werden und das war es auch". "Für wen?" frage ich mit einem dunklen Ton in der Stimme, aber das Funkeln in meinen Augen verrät mich. Ich spüre, wie meine Körperteile langsam wieder zu gebrauchen sind. "Eine Dame wirft man nicht über die Schulter", sagt Bell und geht zu mir. Es ist ja nicht so, als hättest du mich nicht erst vor kurzem über die Schulter geworfen, lache ich. Neiiinnn, ich doch nicht, sagt Bell ironisch. Er geht vor mir in die Hocke und schlingt mir die Arme um die Taille und die Kniekehlen. Genau in dem Moment, in dem Bell mich hoch hebt, kehrt das Gefühl in meinen Körper zurück. Ich lächle ihn an und legt meinem Seelenspiegel die Arme um den Hals, bevor ich mich an Key wende. "Key, du kannst dich sehr gut verteidigen. Du brauchst meine Hilfe nicht", erkläre ich. "Bist du dir sicher? Wirklich verteidigen kann ich mich schließlich damit nicht", widerspricht Kieran. "Du hast dafür gesorgt, dass ich mich nicht mehr bewegen konnte. Und wenn du das mit jedem anderen Feind machst, kannst du dich wehren und verteidigen", entgegne ich. "Aber...". "Außerdem hast du eine mächtige Begabung, Key", unterbricht Bell ihn. "Ich weiß nicht, Bell. So mächtig ist sie doch gar nicht". Ich seufze. Kieran wird sich nicht auf eine andere Meinung bringen lassen. Zum ersten Mal in meinem Leben lasse ich etwas auf sich beruhen. Irgendwann wird er schon noch merken, dass er zu mehr fähig ist, als er glaubt. 

Catching FreyaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt