Ich rede nicht gerne über meine Vergangenheit. Zumal, weil sie Niemanden etwas angeht. Der Hauptgrund ist allerdings, dass ich sie selber nicht verkraften kann. Ich trage Wut, Trauer und Schmerz mit mir. Jeden Tag. Niemand sieht es. Niemand sieht in mich hinein -nicht einmal meine Mutter.
Ich verdanke ihr zwar viel, doch wenn es darum geht, mit ihr über ernste Angelegenheiten reden zu wollen, ist sie wie ein verschlossenes Ventil, dass sich nicht öffnen lässt. Sie redet mit mir nicht über meinen Vater. Viel zu oft habe ich mir eingeredet, dass all die Dinge, die passiert sind nur Einbildungen waren. Sie waren nicht real, dachte ich immer. Doch die Bilder sind so glasklar, dass ich sie mir niemals hätte einbilden können. All die Dinge, die er mit mir und auch an mir tat. Solche Dinge bildet man sich nicht als Kleinkind ein.
Wieder sehe ich, wie seine kalten Hände über meine Oberschenkel fahren und mir zwischen die Beine fassen.Ich halte inne und versuche mir die Gedanken aus dem Kopf zu schlagen, um mich auf den Lehrer konzentrieren zu können, der vergeblich versucht, die Aufmerksamkeit seiner Studenten auf sich zu ziehen. Ich streiche mir mein blondes Haar aus dem Gesicht und fahre mir mit meiner Hand über die weiße Bluse.
"Ist alles klar bei dir?" Brian sieht auf mich herab. Sein besorgter Blick lässt mich aufatmen. Als würde mich sein Blick... beruhigen? Ich nicke und wende mich zu schnell meinem leeren Blatt zu. Ich habe in dieser Stunde nicht einen Satz auf das Papier gebracht. Ich habe nicht einmal den Hauch einer Ahnung, über was der Lehrer die gesamte Stunde erzählt hat. Ich fühle mich verloren. Mal wieder. Ich schaffe es nicht, die Vergangenheit zu verarbeiten. Ich habe es zu oft versucht. Jeder Versuch scheiterte. Warum sollte mein jetziger Versuch nicht scheitern? Warum sollte es ausgerechnet jetzt der Fall sein, dass ich mich an die Dinge zurückerinnern kann, ohne rückfällig zu werden?
Der Gong unterbricht meine Gedanken und erlöst mich von den Qualen. Ich schnappe meine Sachen und verstaue sie ordentlich in meine Tasche, bevor ich über den Campus laufe und in mein Auto steige.
Die Autofahrt verläuft langsam. Es herrscht viel zu viel Verkehr, also entscheide ich mich, bei dem nächsten Café anzuhalten und dort ein wenig Zeit zu verbringen. Alleine.
Ich bestelle mir einen heißen Kaffe und einen Schokoladenkuchen. Das kann ich momentan echt gut gebrauchen. Minuten später vergehen und mein Handy beginnt zu vibrieren. -eine Nachricht von Brian.Hey, Ann. Hast du Lust bei uns heute Abend vorbeizuschauen? Es gibt reichlich Alkohol und an deinem Blick heute habe ich gedacht, du bräuchtest das mal
Unwillkürlich muss ich lächeln und ertappe mich selber dabei, wie bescheuert ich dabei aussehen muss. Ich sage zu und esse rasch meinen Kuchen auf, um mich auf den Weg nachhause machen zu können.
Ich parke auf den Parkplatz des Wohnheimes. Ich habe genug Zeit, um mich fertig machen zu können und lasse mir daher extra viel Zeit, während ich unter der Dusche stehe. Ich Spüle all die Erschöpfung von mir ab und singe zu meinem Lieblingslied. Nach der entspannten Dusche widme ich mich meinen Haaren zu. Ich föhne sie und drehe sie ein. Meine Augen Schminke ich etwas mehr als sonst. Mit schwarzem und nude-farbigem Lidschatten, versuche ich meine Augen strahlender wirken zu lassen und vollende mein Werk noch einmal mit einem Lidstrich. Meinen Mund Schminke ich mit einem Rosé farbigen Lippenstift. Passend zu meinem Make-up, entscheide ich mich letztendlich für ein schwarzes, glitzerndes Kleid mit Spagettiträgern, welches sich perfekt an meinen Körper schmiegt. Ich fühle mich gut und betrachte mich noch ein letztes Mal im Spiegel.
Die Musik dröhnt durch meine Ohren als ich das Verbindungshaus betrete und die ersten Gäste sitzen schon im engen Kreise beisammen und spielen Flaschendrehen. Das gespielte Gekicher der Mädchen nervt mich jetzt schon, doch ich zwinge mich, ihnen freundlich zuzulächeln. Ich bezweifle, dass meine Kleiderauswahl zu der Party passt. Während andere Mädchen halbnackt auf dem Boden liegen und sich vor lauter lachen nicht mehr einkriegen, stehe ich hier mit meinem schwarzen Kleid, welches mir bis zur Hälfte meiner Oberschenkel reicht und durch den gesamten Raum funkelt. Ich fühle mich unwohl. Die Kleidung passt nicht zu mir und lässt mich billig aussehen, auch wenn mir niemand es direkt ins Gesicht sagen würde.
Ich muss meinen Kopf ausschalten. All die Gedanken, die mich erschöpfen. All die Gedanken, die nicht gut für mich sind. Ich muss lernen, sie loslassen zu können, um einfach einmal leben zu können. Richtig leben.
Also schnappe ich mir einen roten Becher, gefüllt mit einer leicht gelblichen Flüssigkeit und Kippe die Substanz in wenigen Zügen meinen Hals hinunter. Das Brennen im Hals fühlt sich gut an. So gut und befreiend. Immer wieder greife ich nach einem roten Becher, sobald ich den alten leergetrunken hatte und die Umgebung langsam anfängt sich zu drehen.
"pass auf, wo du hintrampelst!"
Ein Mädchen mit Pastellpinkem Haar und total überschminktem Gesicht funkelt mich wütend an und deutet mit ihrer Hand auf ihren roten Becher, der ihr wohl fast aus der Hand geglitten ist.
"verrückte Ziege, du bist hier nicht alleine", kopfschüttelnd verschwindet sie in der Menschenmenge. Ich muss mich setzen.
Ich drängle mich zwischen all die nassgeschwitzten Studenten hindurch und nehme auf einem Weißen Ledersofa platz. Sie hat unrecht. Ich bin allein. Ich war es immer und werde es auch immer sein.
Sofort überfluten mich wieder die schlechten Gedanken, von denen ich gehofft hatte, sie mit dem Aklohol stillen zu können. Ich trinke meinen Becher leer und beobachte die kaum bekleideten Mädchen, die eng an eng mit fremden Männern tanzen. Sie scheinen einander nicht zu kennen, denn sie wechseln alle zwei Minuten ihren Tanzpartner und tauschen Körperflüssigkeiten miteinander aus. Warum sehe ich mir so etwas an? Das ist unter meinem Nivau! Warum bin ich überhaupt hier und nicht bei Brian, den ich eigentlich schon hätte seit einer Stunde suchen sollen?
Sofort rapple ich mich auf und mache mich mit meinen schwarzen High-heels auf die Suche, nach dem Kerl mit den perfekten braunen Locken. Immer wieder stoße ich gegen lallende Zicken, die mich arrogant anschauen, sobald ich Ihnen auch nur einen Blick von mir schenke. Es ist schrecklich in einem Verbindungshaus zu sein, ohne sich an jemanden wenden zu können. Gefühlte zwanzig Minuten später entdecke ich Brians perfekt frisierten Haare in einer kleinen Runde mit Leuten, die ich noch nie zuvor gesehen habe. Kein Wunder, denn ich bin auch erst seit wenigen Wochen auf dem College. Brian winkt mich mit einem schmeichelhaften Lächeln zu sich herüber und gibt mir zu verstehen, neben ihm platz zu nehmen.
"ich habe auf dich am Eingang gewartet", er versucht die Musik mit seiner Stimme zu übertönen.
"Das habe ich aber anders in Erinnerung. Niemand war am Eingang", lalle ich ihm entgegen. Brian studiert mich, runzelt dann die Stirn.
"Gott, bist du voll", er fängt an zu lachen und legt den Arm um meine Taille. Seine Augen sind gerötet und nur mit großer Mühe schafft er es, fehlerfrei sprechen zu können.
"Ich muss hier schlafen, ich bin mit dem Auto gekommen. Ist hier Platz?", ich merke erst, als ich die Frage aussprach, wie unhöflich diese Frage eigentlich ist, doch es ist mir egal. Der Alkohol löst keinerlei Scham mehr in mir aus.
"klar, du kannst im Gästezimmer pennen. Oder im Wohnzimmer. Wie du willst", er mustert mich mit seinen braunen Augen, als wolle er noch etwas an seiner Aussage hinzufügen, doch er hält inne und lässt die Hand von meiner Taille wieder sinken.
"Das Gästezimmer", erwidere ich flüchtig, doch er nickt nur und widmet sich den Leuten im Kreise wieder zu.
"Alles ein Ordnung bei dir?", der Alkohol macht mich mutiger als sonst. Ich merke es.
Brian sieht zu mir herab, nimmt meine Hände und reißt mich förmlich aus der Sitzposition. Ich mustere ihn geschockt, doch er dreht sich um und zieht mich hinter sich her.
"Wo willst du hin?", ich versuche lauter als die Musik zu sprechen, doch so leicht ist es nicht. Brian zieht mich weiter hinter sich her, ohne jegliche Worte und ich habe das Gefühl, mir nicht wohl dabei zu sein, ihm nachzulaufen.
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It's time to forget you
RomanceAnn leidet stark aufgrund ihrer Vergangeheit bezüglich ihres Erzeugers. Jahrelang quält sie sich mit den Erinnerungen, die ihr immer wieder hochkommen. Ann flüchtete zusammen mit ihrer Mutter nach Washington, als sie gerade mal vier Jahre alt war...