„Romy, Romy steh auf. Komm schon, du musst zum Training.“
Genervt drehe ich mich auf den Bauch und presse das Kopfkissen auf meine Ohren. Mama nervt, Kimi nervt noch mehr und von Papa, ja von Papa fangen wir erst gar nicht an. Ein Walross springt auf meinen Rücken und ich ersticke förmlich.
„Kim, runter von mir! Spinnst du? Du bringst mich noch um!“, keife ich und kämpfe mich unter ihr frei. Wütend drehe ich mich auf den Rücken und meine kleine Schwester grinst mich unschuldig an.
„Guck nicht so blöd.“, grunze ich. Sie grinst nur noch breiter.
„Niemand will deine hässliche Zahnlücke sehen, Kim!“
Ihre Augen werden groß und sie presst die Lippen aufeinander. Sie hat noch nicht alle Milchzähne verloren und die vorderen Schneidezähne wachsen nur schwerfällig nach. Dass ich sie damit aufziehe, ist allerdings nichts Neues.
„Mama sagt, du hast deine auch erst mit sieben verloren.“
„Sieben, Kim, sieben. Du bist verdammt nochmal 9.“
„Und du zwölf. Und du stinkst.“, zickt sie zurück und verschränkt die Arme vor der Brust.
„Das ist der Schweiß einer Sportlerin, du Trottel. Und jetzt runter von mir.“
Beleidigt steigt sie von mir runter und stolziert aus meinem Zimmer. Gähnend stehe ich auf.
„Zehn Minuten Romy!“, ruft Mama von unten.
„Man Mama!“, grummele ich in mich hinein und schlüpfe aus meinem Schlafanzug heraus. Nackt stehe ich vor meinem Spiegel und begutachte meine langsam wachsende Oberweite. Hässlich spitz, e.kel.haft.
Mama' s Brüste sind viel schöner. Meine sind klein und mickrig und ich möchte lieber gar keine haben. Die stören mich sowieso nur beim Laufen. Die Mädchen aus der höheren Altersklasse, jammern beim Umziehen auch immer rum, wie sehr ihr Rücken von den Hängebrüsten weh tut. Die sind bestimmt ganz weich. Ich glaube, ich will doch keine Brüste.
„Fünf Minuten!“
Boa ja. Ich ziehe mein Hemd und mein Sportshirt an. Die kurze Hose noch rüber und Turnschuhe an. Eilig putze ich mir die Zähne, ignoriere Kimi, die vor dem Spiegel ihre Stümpfe im Mund beobachtet und kämme mir die Haare. Irgendwann möchte ich mal ganz lange Haare haben. Dann werde ich sie zu zwei Zöpfen flechten. Mama sagt immer, dass sie mir das später zeigen wird. Irgendwann, wenn sie lang genug sind.
Hastig springe ich die Treppe herab und nehme immer zwei Stufen auf einmal. Mama steht im Flur und wartet. Sie hat schon ihre Schuhe an und knöpft gerade den Mantel zu.
„Schulsachen?“
Ich verdrehe die Augen und stürme nochmal zurück in mein Zimmer. Mein Ranzen steht neben meinem Schreibtisch. Das offene Französischbuch weckt mein schlechtes Gewissen. Ich sollte gestern Abend lernen. Nach dem Morgentraining habe ich immer Unterricht an meiner Sportschule und wir schreiben nachher einen Vokabeltest.
DU LIEST GERADE
Diagnose: Hoffnungslos?
RandomRomy war Hoffnung. Bis sie die Vierhundert gelaufen ist, war Romy Hoffnung. Doch was tut man, wenn einem jegliche Kontrolle abhanden kommt und man selbst gegen den Zweifel an der Lebendigkeit ankämpfen muss?