Mittlerweile habe ich mich an diese dämliche Decke gewöhnt und alles wirkt so viel erträglicher.
Da ist etwas, so ein Zucken. Okay, das ist für mich nichts Neues, aber ich kann es steuern. Ist das mein Fuß? Ernsthafte Frage jetzt: Ist das wirklich einer meiner Zehen? Ich wackele mit ihm, hin und her. Ich glaube wir können Freunde werden. Mein Zeh und ich.
Gott, bin ich dämlich.
Zum Zucken gesellt sich noch etwas anderes, etwas, dass jeglichen Zweifel an meinem Tode aus dem Weg räumt. Gut, das hat zum größten Teil die Decke schon erledigt, aber jetzt bin ich sicher, denn ich höre etwas.
„Wann wachst du endlich auf, Romy?“
„Lass sie schlafen, Kim. Sie kommt, wenn sie dazu bereit ist.“
Ist das Papa? Mein Papa? Das geht nicht, das kann gar nicht sein. Er war so gut wie noch nie mit im Krankenhaus, oder beim Arzt. Am Anfang, kurz nach meinem Unfall noch, ja. Doch das hatte irgendwann aufgehört. Mama hatte immer diese Rolle eingenommen. Mama war Frau für alles. Frau für das Verstehen. Frau für die Pflege. Frau für meinen Arzt. Ja, selbst für den. Das hört sich jetzt hart an, es einfach so zu sagen. Immerhin hat sie zwei Kinder und ist seit Jahren mit Papa verheiratet, aber es ist nun mal wie es ist. Das habe selbst ich mit bekommen.
Überrascht stelle ich fest, dass meine Augen geöffnet sind. Das ist mir wohl erst nicht aufgefallen, weil diese Krankenhausdecken immer dieses unglaublich auffällige und farbige Weiß haben. Kimi scheint nicht unmittelbar neben mir zu stehen. Ich höre, dass ein Fenster sich öffnet und alsbald strömt warme Sommerluft herein. Irgendwie habe ich völlig vergessen, welche Jahreszeit gerade ist. Es war immer belanglos. Wo war ich schon in meinem Leben? Im Haus, im Pflegeheim, im Krankenhaus.
„Sie schläft schon den ganzen Tag.“, murrt Kimi.
Fast hätte ich gelacht, aber ich will ihr noch weiter zuhören. Ihre Stimme genießen.
„Glaubst du, ich kann mit ihr reiten gehen? Oder laufen? Oder schwimmen?“
„Meerjungfrauen brauchen auch keine Beine, Kimi.“
Kam dieser Satz gerade wirklich von meinem Vater?
„Ihr könnt alles machen, selbst wenn sie nicht laufen könnte. Sie ist deine Schwester.“
Irgendetwas wird in mir ausgelöst und wie ein brechender Kanal fließen mir die Tränen über die Wangen. Sie laufen in meine Haare und kitzeln meine Ohren und ich kann nicht mehr länger, ich muss vor Freude laut schluchzen und dann lachen und dann wieder weinen.
Zeitgleich drehe ich den Kopf und Kimi und Papa drehen sich ruckartig zu mir. Es ist, als würde die Sonne aufgehen.
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Diagnose: Hoffnungslos?
RandomRomy war Hoffnung. Bis sie die Vierhundert gelaufen ist, war Romy Hoffnung. Doch was tut man, wenn einem jegliche Kontrolle abhanden kommt und man selbst gegen den Zweifel an der Lebendigkeit ankämpfen muss?