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Kimi hält meine Hand, Papa hält meine andere Hand und die Ärztin, die an meinem Bettende steht, scheint sich irgendwie wie das fünfte Rad am Wagen zu fühlen. Sie erklärt mir, dass sie die Operation geleitet hat und alles gut gegangen ist. Ich würde gerne etwas darauf antworten, aber es fällt mir unglaublich schwer zu sprechen. Sie lacht, sie sagt, das sei normal und dass ich das erst wieder richtig lernen müsste. Sie sagt, es ist wie Fahrradfahren. Sie sagt, das verlernt man nicht, man muss nur wieder reinkommen.

„Ich komme dann später nochmal wieder und dann besprechen wir alles Weitere.“

Ich bringe ein mühseliges „Mama?“ hervor und Kimi lächelt leicht. Sie drückt meine Hand und ich drücke wohl etwas fest zurück. Scheint auch so ein Übungsding zu sein.

„Ich hab ihr eine SMS geschickt, sie ist auf dem Weg.“

Noch sehr mechanisch weise ich mit dem Kinn auf Papa, doch Kimi versteht nicht. Er anscheinend nicht.

„Ihr Problem.“

Um mir das zu sagen, hat sie sich vorgebeugt und mir ins Ohr geflüstert. Ich spüre ihren warmen Atem an meiner Wange und presse meine Backe an ihre.

Sie versteht das. Sie ist so groß.

Sie steht in der Tür und sie ist fassungslos. Ihre Handtasche liegt zu ihren Füßen und eine Wasserflasche kullert heraus. Ich zähle die ungläubigen Falten auf ihrer Stirn. Es sind so viele. Ich hebe meine rechte Hand und senke sie wieder, weil ich eigentlich winken wollte, es aber nicht schaffe. Ich spüre wie mein Brust sich hebt und senkt und ich höre Blut durch meine Ohren rauschen. Es ist wie ein Wasserfall. Sie zittert, ich kann ihre Fingerspitzen vibrieren sehen. Eine Strähne lockert sich aus ihrem Dutt, wie eigenartig. Sie segelt langsam auf ihr Gesicht zu und wird von ihrer Wimper abgebremst. Ich will sie zählen. Ich will sie berühren.

„Hi.“

Das habe ich geübt. Kimi und Papa sind schon nach Hause gefahren, aber davor haben Kimi und ich das „Hi.“ geübt und ich kann es jetzt. Ich bin so gut.

„Hi“, antwortet sie. Ziemlich ungelenk, hey sie ist ja auch alt, bückt sie sich und schiebt ganz langsam die Flasche zurück in die Handtasche. Eine Packung TicTacs plumpst zu Boden, als sie am Henkel zieht und sie muss sich nochmal bücken. Jetzt lass die Scheiße liegen und beweg deinen Arsch hierher. Ich möchte genau das sagen, aber ich glaube, das muss ich erst noch üben.

Sie ist endlich fertig und kommt zu mir. Sie setzt sich. Auf meine Bettkante. Neben mich.

Nicht, dass ich das nicht kenne. Ihre Berührungen, aber jetzt, wo ich sie einfach abweisen könnte, fühlt sich das alles so anders an. So neu.

Ich weiß nicht wie lange wir uns jetzt schon gegenseitig anstarren, aber ich nehme all meine Kraft zusammen und hebe meinen rechten Unterarm an. Sie zögert diesmal nicht, sie legt ihre Handfläche an meine.

„Ich bin so stolz auf dich.“

Ich möchte Danke sagen. Ich möchte so viel sagen.

„Du bist so schön Romy.“

Es ist das erste Mal, dass ich meine Gesichtszüge steuern kann. Mein Mund verformt sich zu einem Lächeln.

Wir lächeln die ganze Nacht.

Diagnose: Hoffnungslos?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt