Als es an die Tür klopft, läuft gerade die fünfhundertste Folge „Cosmo und Wanda“ durch und ich kann diesen Idiot mit den grünen Haaren und seine Frau mit den hässlichen pinken Locken und der viel zu tiefen Synchronstimme nicht mehr sehen. Wenn wenigstens irgendwas Cooles laufen würde. Spongebob oder so. Aber nein, ich muss mich mit Timmy Turner und Vicky herumschlagen. Ich möchte gerne „Herein“ sagen, aber nur ein schwer atmendes „H“ kommt heraus. Mein Gott, das ist meine Logopädin, die wird mich schon verstehen. Wie erwartet kommt sie auch ohne Aufforderung herein. Den Kopf schaffe ich schon zu drehen und schenke ihr ein kleines Lächeln.
„Hallo Romy, ich bin Dr. Haase.“ Ihre Zähne sind unglaublich weiß. Ich kann gar nicht einschätzen, wie alt sie ist. Ich würde sie auf Ende vierzig, Anfang fünzig schätzen. Lach- und normale Altersfalten prägen ihr Gesicht leicht und die eine oder andere verdächtig helle Strähne zieht sich durch ihr dunkles Haar, das ihr kurz geschnitten in die Stirn fällt.
„Darf ich deine Hand schütteln?“, fragt sie mich und ich nicke leicht. Ihre Hände sind weich und duften nach Creme, sehr angenehm.
„Es freut mich sehr dich kennenzulernen, Romy. Das halbe Krankenhaus spricht ja von dir“, strahlt sie und mir rutscht das Herz in die Hose.
„Nur gutes natürlich, Liebes. Alle sind ganz begeistert von dir. Und deswegen fühle ich mich geehrt dir beim Sprechenlernen helfen zu dürfen.“ Ich werde bestimmt gerade ganz rot. Ich sehe mich selber wie eine überreife Tomate anlaufen und vor Scham platzen.
„Ich merke schon, das Thema gefällt dir nicht so gut. Reden wir doch über etwas anderes.“ Eins muss man ihr lassen, sie kann gut überleiten.
„Ich würde sagen wir fangen heute erstmal mit Vokalen an und schauen mal, wie du damit klarkommst.“
Ich nicke diesmal schon stärker und sie freut sich darüber.
„Versuch mir mal nach zu sprechen, Romy. Schenk mir ein ganz langes „A“. Als würdest du etwas etwas Schönes sehen. Ahhhh.“
Obwohl ich schon ein „Hi“ sagen konnte, gestaltet sich das hier nicht so einfach, wie gedacht. Mein Kopf fühlt sich voll an und meine Kehle wie zugeschnürt.
„Du kannst das, da bin ich mir sicher“, muntert sie mich auf und das schenkt mir Kraft, unglaublich viel Kraft. Denn sie hat Recht und das beweise ich ihr mit einem wunderschönen „Ahhhhhh“.
„Super, ganz ganz toll, Romy. Versuch das jetzt mit dem „E“. Nicht aufhören an dich zu glauben.“
Ich schaffe es. Ich schaffe sie alle. A, E, I, O, U. Ich bin großartig. A wie ein Apfel. Ein Apfel ist mein Ziel. Dr. Haase sagt man muss Ziele haben. Man muss etwas sagen wollen können. Ich möchte einen Apfel haben. E wie ein Elefantenbaby. Ich möchte ein Elefantenbaby zum Geburtstag. Dafür brauche ich ein E. I wie Italien. Ich möchte nach Italien reisen. Wenn ich kein I aussprechen kann, dann kann ich das auch nicht. O wie Oma. Ich möchte sie besuchen. Seit meinem Schlaganfall war sie zwar oft da, aber ich war nie in der Lage mich von ihr richtig umarmen zu lassen oder ihren Namen zu sagen. Oma. Natürlich Oma. U für Unterwasserboot. Ich möchte mit einem fahren. Meine Ziele sind groß, mein Wille größer und ich schaffe es im zweiten Schritt sogar jedes einzelne auszusprechen. Das Elefantenbaby macht mir sehr zu schaffen und das U-Boot muss ich abkürzen. Anders geht es nicht, aber Dr. Haase ist zufrieden mit mir. Sie sagt, sie sei stolz auf mich. Unsere Zeit ist schon um, aber ich will gar nicht aufhören und kriege es hin sie am Arm anzufassen. Sie nimmt das positiv auf und sagt, dass ich mich nicht überfordern soll.
„Bitte.“
Sie lacht herzlich auf und holt aus ihrer Akte einen Zettel.
„Damit kannst du üben. Du ergänzt die Vokale und dann kommen Tiernamen bei raus. Mach aber nicht die Nacht durch“, zwinkert sie mir zu und reicht mir wieder ihre Hand. Als sie geht, bin ich irgendwie überrascht, dass es das schon war für heute. Ich habe es mir länger vorgestellt, schwerer. Doch so eine einfache Sprachtherapie hat mir gezeigt, was ich möchte. Was ich erreichen werde. Und das, das macht mich unglaublich glücklich.
„F...F...Fi...Fischschsch.“ Kimi klatscht begeistert in die Hände und Mama strahlt. Ich glaube ich möchte ein Aquarium. Sie sind jetzt schon ein paar Stunden da und das ist schön. Ich habe jetzt schon den Igel, die Ziege, das Huhn und die Katze geschafft. Beim Papagei bin ich kläglich gescheitert, macht nichts. Doch jetzt ist es zu spät, denn Lea kommt rein und bringt mir mein Abendessen. Mama und Kimi verabschieden sich, sie wollen mich nicht stören. Weil meine Therapie heute so lange gedauert hat, hat das mit den Sternefangen mit Kimi nicht geklappt. Das machen wir morgen, ganz bestimmt. Ich schaffe es, Kimi an mich zu drücken. Als sie geht muss ich lachen, das ist auch schön. Lea setzt sich zu mir und ich esse Nudeln mit Tomatensoße. Diesmal kippe ich nichts aus und begrapsche sie nicht. Ich hoffe, sie hat mir das von heute Morgen verziehen.
„Schmeckt' s dir?“
„Ja. S...s...s...seeeeehr.“
Lea lacht und ich verliebe mich tausend Mal neu in sie. Als ich fertig bin, fragt sie mich, ob ich noch fernsehen will, aber ich bin müde. Sprechen ist anstrengend. Doch da macht sich plötzlich ein Gefühl in mir breit, dass ich komischerweise lange nicht mehr hatte. Ich muss mal.
„Brauchst du noch etwas?“, fragt sie, als ich sie am Arm berühre.
„Toi-lätta“, sage ich und sie verkneift sich ein Grinsen. Na super, Romy.
„Ich helfe dir“, lacht sie und hebt mich aus dem Bett. Mannoman ist sie stark. Im kleinen Badezimmer hilft sie mir mit meiner Unterwäsche und ich schäme mich nicht mal. Vielleicht, weil sie das alles kennt. Auf dem Klo hilft sie mir nicht runter zu fallen und nimmt meine Hände.
„Machst du super.“
Jap, pinkeln will gelernt sein. Als ich fertig bin macht sie mich sauber und zieht mich wieder an. Ich kenne das, aber bei ihr ist es plötzlich doch peinlich. Die hässlichen Pflegerinnen von damals waren ja ganz anders. Doch sie lässt sich gar nichts anmerken und trägt mich zurück ins Bett. Ich werde großartig schlafen, Lea bleibt noch bei mir, bis mir die Augen zufallen.
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Diagnose: Hoffnungslos?
RandomRomy war Hoffnung. Bis sie die Vierhundert gelaufen ist, war Romy Hoffnung. Doch was tut man, wenn einem jegliche Kontrolle abhanden kommt und man selbst gegen den Zweifel an der Lebendigkeit ankämpfen muss?