"Lu, Mutti möchte, dass wir ab morgen 2 Wochen lang bei ihr bleiben!", konfrontierte mich Caren bereits auf der Türschwelle. "Ach nein, ich möchte doch so gern hier bleiben!", erwiderte ich. "Mutti muss aber arbeiten gehen, sie kann nicht herkommen und möchte uns trotzdem sehen.", erklärte Caren. Missmutig lief ich in Carens Zimmer und lies mich auf das Bett fallen. "Ist etwas passiert?", fragte sie besorgt. "Nein, alles in Ordnung.", überspielte ich meine schlechte Laune mit gestelltem Lächeln. "Na dann, pack deine Sachen. Wir fahren um 8 Uhr.", meinte Caren. Ich machte mir Musik an und ließ den Rest des Tages nur noch Schnulzen laufen. Als Casablanca ertönte, kam Caren mit ins Zimmer gerannt und wir jodelten: "Er hat an ihr vorbei gesehen und ihm war kalt dabei..." Nach dem zweiten Refrain drehte Caren die Musik leiser. "Gib es zu, irgendetwas ist doch passiert. Sonst hörst du doch auch nicht so schnulzigen Mist!", fühlte sie mir auf den Zahn. Mir kamen die Tränen und ich fing an ihr schluchzend von allem zu erzählen. Caren schüttelte mit dem Kopf und nahm mich in den Arm. "Da würde ich doch aber erst recht hier wegwollen!", wunderte sie sich. "Ich hab eben zu viele Hoffnungen...", murmelte ich.
Um 6 Uhr wurden wir von unserem Vater geweckt. "Auf geht's, das Beste kommt noch!", rief er strahlend. Eifrig schlüpften wir in unsere Klamotten und liefen in die Küche, um noch schnell etwas zu frühstücken. Ich zückte mein Handy und fragte Joschka, was das alles sollte. Da es noch früh war, rechnete ich schon damit, dass ich mindestens noch 5 Stunden auf eine Antwort warten konnte. Schon beim Gedanken an ihn verfinsterte sich meine Miene, doch da ich keine Lust auf Carens Kommentare hatte, ließ ich mir nichts anmerken. Den letzten Bissen des Brötchens hintergeschlungen, betraten wir auch schon den Flur um uns anzuziehen. Während wir unsere Sachen schnappten, kramte Vati noch nach dem Schlüssel und wir marschierten aus der Wohnung. Vor der Haustür bemerkten wir erst, was für eine unglaublich erdrückende Hitze draußen herrschte. Es war mitten im Hochsommer und wir fuhren einfach weg von den belebten Badeseen, den schattenspendenden Wäldern und den wunderschönen Wiesen, direkt rein in die Großstadt mit ihren Häusern, die so nah aneinander gebaut wurden, dass man kaum noch einen Fetzen Sonnenlicht verspüren mochte. Überall Autos und Dreck auf den Gehwegen, riesige Menschenmassen, in denen ich keinen einzigen Menschen schon einmal gesehen hatte. Niemand, der einem lächelnd zum Morgen winkte, nicht einmal die Nachbarn kannte man richtig. In unserer Heimatstadt gab es hingegen sogar "Etagenpartys", bei denen alle Nachbarn einer Etage im Keller oder auf dem Dachboden feierten. Man traf sich auch so mal zufällig in den kleinen Kneipen im Ort und selbst im Zentrum kannte man jeden zweiten Menschen. Ich vermisste diese Stadt schon auf dem Weg zum Bahnhof.
Kurz nach 8 Uhr setzte sich der Zug in Bewegung und ich schaute aus dem Fenster. Wir fuhren vorbei an den ganzen schönen Wäldern, an den Dörfern und natürlich auch an Joschkas Haus. Sehnsüchtig sah ich über die Felder bis zur Siedlung und wünschte mir, einfach anhalten zu können und Joschka in die Arme zu fallen. Der Gedanke, jetzt 2 Wochen lang ohnmächtig zu sehen zu müssen, wie Joschka mich ignorierte, war schrecklich. Mein Handy blinkte plötzlich auf und ich las Joschkas Nachricht: "Du hättest doch auch einfach zu mir rüber kommen können, aber nein, du zickst sofort. Und dann so eine Aufmerksamkeitsnummer zu schieben, hätte ich nicht von dir erwartet. Wir passen nicht zusammen." Sofort schossen mir Tränen in die Augen, aber da Caren und unser Vater neben mir saßen, verkniff ich mir das Weinen. Der letzte Satz der Nachricht ging mir durch den Kopf wie eine springende Schallplatte und mein ganzer Magen verkrampfte. Mein Herz klopfte bis zum Kopf, mir wurde ganz kalt und hätte ich nicht gerade gesessen, hätten mich meine Beine nicht mehr halten können. Plötzlich fühlte ich mich leer, ich fühlte nichts mehr. Stillschweigend saß ich starren Blickes da und schien nicht einmal mehr Geräusche wahrzunehmen.
Seitdem mir Joschka geschrieben hatte, hatte ich kein Wort mehr gesagt. Wir liefen mit unserem Gepäck zum rosafarbenen Haus, in dem meine Mutter wohnte. Sie nahm uns alle in den Arm und freute sich sichtlich über uns.

DU LIEST GERADE
The Way Of Love
RomanceDie 16-jährige Luna Leyermann wohnt mit ihrer Mutter in der Großstadt. In ihrer Freizeit fahren beide immer in die Heimat, um Lunas Vater und ihre Halbschwester zu besuchen. Luna treibt sich nachts mit ihrer Schwester im Dorf rum und lernt dabei den...