Prolog

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Bis auf ein paar andere Gäste war die Schulklasse die letzte, die noch im Bordrestaurant saß. Violet saß mit ihren Freundinnen am Tisch. „Richtig geil dass wir zu unserer Abschlussfahrt noch einmal so weit wegfahren. Das wird bestimmt mega!", meinte sie. Es war die letzte Schulwoche vor den Ferien. In dieser Woche fuhren die Zehntklässler auf ihre Abschlussfahrt. „Auf jeden Fall! Bin mal gespannt was wir so machen. Frau Weißbach hat uns ja noch nichts verraten!", stimmte Katria ihr zu. Im Bordrestaurant war es stark klimatisiert. Sunny zog ihre ApeCrime-Jacke enger zusammen. Sunny war ein riesiger Fan der YouTuber. „Du und deine dämliche Jacke! Nach der Abschlussfahrt ist die verbrannt, das sag ich dir!", spottete Katria. „Darfst du gar nicht, das ist Sachbeschädigung", gab Sunny wie üblich grinsend zurück. „Aber ich find es immer noch richtig krass, dass wir diese Reise gewonnen haben!", warf Aria ein. In der Tat, es war riesiges Glück gewesen, dass gerade ihre Klasse, die 10c, die Kreuzfahrt gewonnen hatte. Ein Radiosender hatte im Frühjahr eine Reise für die Klasse verlost und spaßeshalber hatte sich Percy in Absprache mit der Klasse eine Bewerbung eingeschickt. Niemand hatte damals damit gerechnet, dass es klappen würde. Das Kreuzfahrtschiff war nicht sehr groß, aber angeblich sicher und schnell. Violet erinnerte sich noch gut an den Tag, als Frau Weißbach das Klassenzimmer betreten hatte und meinte, sie schrieben noch zuletzt eine unangekündigte LK. Und als Aufgabenblatt hatte sie die ausgedruckte E-Mail mit den Glückwünschen des Radiosenders, dass die Klasse die Kreuzfahrt gewonnen hätte, verteilt. Der anfängliche Schock über diese unangekündigte LK hatte sich schnell in allgemeines Jubeln umgewandelt. Die Anreise hatte am Freitagmorgen begonnen und am späten Samstagnachmittag waren sie am Hafen angekommen. Die Zeugnisse hatte es bereits im Voraus gegeben. Violet nippte gerade an ihrer Cola, als eine Durchsage vom Kapitän aus den Lautsprechern drang. „Guten Abend meine lieben Gäste! Hier spricht der Kapitän von der Brücke! Ich hoffe, sie hatten einen schönen Abend auf der MS Pandora. Das Wetter für die kommende Nacht sieht allerdings nicht ganz so schön aus. Auf unserem Kurs liegt ein starkes Sturmtief, welches wir nicht umfahren können. Es wird die Nacht wohl ein bisschen schauklig, aber keine Sorge, dieses Schiff hat schon Stürme von größeren Ausmaßen überstanden! Also seien Sie unbesorgt, wir schaukeln das schon!" „Immer diese Leute die denken, sie wären witzig", sagte Sunny genervt. Violet grinste. „Dass du immer alles sofort negativ auffasst." „Tja, so bin ich halt", erwiderte Sunny in gespielter Arroganz. „...und um Feuer zu machen brauchst du einfach nur ein Kondom, was du mit Wasser füllst. Das funktioniert dann ähnlich wie eine Lupe." Lucius erklärte gerade Samy, am Nachbartisch, wie man Feuer macht. Dieser warf einen hilfesuchenden Blick in die Runde und erntete lediglich ein gespieltes mitleidiges Lächeln oder schadenfrohes Grinsen. Lucius bekam von all dem typischerweise nichts mit. Frau Weißbach erhob sich am anderen Tisch und klatschte zweimal in die Hände. „Sooo...ich hoffe ihr seid satt geworden, denn jetzt geht's ab in eure Kabinen. Und denkt dran, keine nächtlichen Besuche bei den anderen oder ihr werdet über Bord geworfen!", verkündete sie grinsend. Nach und nach erhoben sich die Schüler von ihren Tischen und gingen in Richtung ihrer Kabinen. Violet teilte sich ihre mit ihren Freundinnen Katria und Jodie. „Boar ich bin so müde!", stöhnte Jodie und ließ sich auf ihr Bett fallen. „So, wer geht zuerst duschen?", fragte Katria. „Du kannst, wenn du willst", erwiderte Violet. Katria nickte und verschwand im Badezimmer.

Als sie alle drei im Bett lagen und das Licht ausmachen wollten, hatte das Schiff bereits heftig angefangen zu schaukeln. Draußen zuckten Blitze über den Himmel und Violet konnte für einen kurzen Moment die tosenden Wellen auf dem Meer ausmachen. „Stürmt ja ganz schön", meinte sie. „Ja, hat der Kapitän ja auch gesagt! Jodie hast du deine Seekrankheits - Tabletten genommen?", erkundigte sich Katria. „Ja hab ich. Gute Nacht!"

Ein ohrenbetäubendes Krachen riss Violet aus dem Schlaf. Sie hörte das schwere Kratzen von Metall. „Was war das?!", fragte Jodie ängstlich. Violet knipste das Licht an und erhaschte einen Blick auf die Uhr. 5 Uhr morgens.... Der Boden unter ihren Füßen zitterte. 'Was geht hier vor...? ', dachte Violet mit einem mulmigen Gefühl im Magen. Kabinentüren wurden auf dem Gang geöffnet. „Ich schau mal nach!", meinte Katria. Violet sprang aus dem Bett und folgte ihr zur Tür. Als sie auf den Gang hinaus schauten, sahen sie nur die erschrockenen und teilweise verschlafenen Gesichter ihrer Klassenkameraden. Der Boden begann erneut zu zittern, diesmal heftiger und ein lautes Knarren hallte durch das Schiff. „Weiß einer von euch, was los ist?", rief Katria. „Keine Ahnung, aber Miles ist vorhin einem von den Zwillingen, ich glaube es war Jeff...oder doch Louis? Keine Ahnung. Jedenfalls ist Miles mit einem von denen aufs Außendeck gegangen um nachzuschauen.", meinte Francis, der die Kabine gegenüber von ihrer mit Samy und Ryan bezogen hatte. Er sah besorgt aus, wenn nicht gar ängstlich. 'Auch was neues. ', dachte Violet. Die Kabinentür von Frau Weißbach stand offen. Percy trat eben heraus. „Hat jemand von euch Frau Weißbach gesehen?", fragte er und sah uns erwartungsvoll an. „Ne, keine Ahnung...", antwortete Francis und schaute sich suchend um, als würde er erwarten, dass sie an einer Kabinentür stehen würde. Alle sahen sich ratlos an. In diesem Moment stürmte Miles um die Ecke am Ende des Ganges. Er war triefend nass vom Regen. „Leute!!! Das Schiff ist gegen einen riesigen Felsen gefahren und droht zu sinken!!!", schrie er. Seine Stimme überschlug sich vor Panik. Violets Klassenkameraden wurden zunehmend unruhig. „Wo ist Louis?" „Hast du Frau Weißbach gesehen?" Die Stimmen schwollen an. Zu allem Unglück stellte Violet fest, dass sich der Boden langsam neigte. „Steht nicht so dumm rum sondern tut endlich was!!!! Wir müssen aufs Außendeck zu den Rettungsbooten!", schrie Percy. Und schon herrschte ein großes Durcheinander. Violet stürzte zurück in die Kabine, warf irgendwelche Dinge in ihren Rucksack, krallte sich ihre Jacke und rannte zurück zur Tür. Katria und Jodie folgten ihr. 'Wo ist Frau Weißbach? ', dachte Violet besorgt. Ihre Klassenkameraden und andere Passagiere strömten aus ihren Kabinen und Violet schloss sich ihnen, mit Katria und Jodie im Schlepptau, an.

Wind und Regen peitschten ihr ins Gesicht, als sie das Außendeck betraten. Lampen schaukelten im Wind und gaben dem Ganzen ein Die-Titanic-sinkt-Feeling. Das Schiff schaukelte heftig und knarrte. Vor dem Bug konnte man die mächtige Silhouette des Felsblocks erkennen. 'Wie konnte man so einen Felsen nur übersehen? ' Menschen stürmten panisch über das Deck, glitten auf dem nassen Boden aus, rappelten sich wieder hoch und rannten weiter. Die Klasse hielt auf ein Rettungsboot zu. Oder besser gesagt stürzte. Panik hatte sich über das Schiff ausgebreitet. Kinder schrien und Männer riefen sich etwas zu. Eine Durchsage des Kapitäns ging im Lärm der aufgebrachten Menge unter. Als eine andere Gruppe in die Klasse hineinschlidderte, stolperten alle über einen Haufen. Keiner achtete auf sie. Klassenkameraden verschwanden in der Menge. Jeder wollte so schnell wie möglich von diesem sinkenden Schiff herunter. Eine heftige Windböe fegte über das Deck und brachte einen heftigen Schwall Regen mit sich. Längst waren alle völlig durchnässt. Vor ihnen bereitete die Besatzung das nächste Rettungsboot vor. 'Da müssen wir hin! ', dachte Violet angespannt. Ein heller Blitz zuckte über den Himmel, eröffnete einen kurzen Blick über das kenternde Schiff und wurde von einem lauten Donner gefolgt. Das Rettungsboot war endlich bereit. Panisch warf Violet den Kopf herum. Das Deck war von Menschen überfüllt, während sich das Schiff weiter in die Schräglage versetzte. Neben ihnen riss ein Seil plötzlich und das Nachbarrettungsboot stürzte in die Tiefe. Violet hörte den Aufprall, als es gegen das Schiff schlug und verkehrt herum im Wasser landete. Sofort sprangen ein paar, vor Panik verrückt gewordene Menschen ihm hinterher, schlugen hart auf dem Boot auf und brachen sich Knochen. Schockiert starrte Violet ihnen hinterher. Das ist die pure Hölle, dachte sie entsetzt. „Violet, komm schon!!!", schrie Samy und zerrte sie in das Rettungsboot. Verzweifelte Rufe der Menge flehten darum, dass Boot weiter zu befüllen, doch war es durch den Teil der Klasse schon voll besetzt. Langsam wurde es zu Wasser gelassen. Ein erneutes Krachen ließ Violet aufhorchen. Eines der Rettungsboote, teilte das gleiche Schicksal wie das Schiff und zerschellte an dem riesigen Felsen. Angstvolle Rufe drangen zu ihnen vor. 'Wir können ihnen nicht helfen... ', dachte Violet verzweifelt. Ihr Rettungsboot wurde von den Wellen erfasst und vom Schiff davongetragen. Violet fiel auf, dass einige Klassenkameraden fehlten. „Wo sind die anderen?!", fragte sie angstvoll. „Sie werden sicher mit einem weiteren Rettungsboot geflohen sein. Wir müssen jetzt ruhig bleiben.", antwortete Marlow bestimmt. Plötzlich explodierte etwas hinter ihnen und tauchte die Umgebung in einen feurigen Schein. Panisch drehte sich Violet zum Schiff um. Der Maschinenraum war explodiert. Das Schiff hatte im hinteren Teil Feuer gefangen. 'Oh bitte Gott, lass Katria und den anderen nichts passiert sein... ', Sie zwang sich den Blick abzuwenden. Die Rufe und Schreie ebbten irgendwann ab und waren nicht mehr zu hören. Und schließlich verschluckte sie die Dunkelheit und die einzigen Geräusche waren die rauschenden Wellen und der Regen der ihnen ins Gesicht klatschte. 

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