Ein lauter, sich immer wiederholender, schriller Ton riss Nele aus ihrem Traum. Ihre Finger griffen nach ihrem Handy und schalteten den Wecker aus. 06:27 am Morgen. Ihr Herz klopfte laut.
Heute war der Tag, an dem Nele ihren neuen Weggefährten kennen lernen sollte. Der Tag, an dem sie Nutmeg endgültig loslassen musste um sich auf etwas neues einzulassen. Sie spürte einen Stich in ihrer Herzgegend, wo sie wieder an den frechen, braunen Isländerhengst dachte, der sie immer neugierig angestupst hatte, in der Hoffnung, dass sie ein Leckerli für ihn dabei hatte und eine Träne rollte ihr die Wange hinunter. Nele schluckte schwer. Sie vermisste ihren Freund, doch sie durfte sich nicht zu lang an die Vergangenheit klammern.
Ihr Blick fiel auf ihre Wand, die im Halbdunkel lag. Dort hingen zahllose Schleifen, die sie in den letzten vier Jahren mit Nutmeg gewonnen hatte. Nele wischte sich die Tränen von den Wangen und schwang ihre Beine aus dem Bett. Der Schritt, den sie heute gehen würde, war schwer, doch sie hatte sich geschworen ihn nie zu vergessen.
Trotzdem musste sie loslassen. Für sich und auch für Nutmeg.Neles Blick schweifte über die Bäume, die neben der Autobahn standen. Seit drei Stunden waren sie schon unterwegs, doch sie hatte kein Auge zutun können. Zu groß war die Aufregung. Und zu groß war die Angst. Sie hatte dieses Pferd nur auf Bildern gesehen und von der Beschreibung her soll er ein sehr temperamentvoller Hengst sein. Was wäre nun, wenn Nele nicht mit ihm zurecht kommen würde?
Sie schob diesen Gedanken beiseite. Sie musste abwarten, sich der Zukunft stellen. Danach konnte sie darüber nachdenken, was sie von dem Hengst halten würde, doch sie war sich sicher, dass kein Pferd der Welt Nutmeg ersetzen konnte.
Das Mädchen schloss kurz ihre Augen und dachte an den braunen Hengst. Wie freundlich seine Augen sie angesehen hatten, wie er sanft über die Hindernisse geschwebt war und wie sie als Team Sieg um Sieg nach Hause gebracht hatten. Nele seufzte schwer. Nutmeg war viele Jahre lang ihr Wegbegleiter gewesen und er musste sie zu früh verlassen."Nele Schatz." erschrocken öffnete Nele die Augen und sah in die blauen Augen ihrer Mutter. Ein Lächeln umspielte ihre Lippen. Nele konnte nicht verstehen, wie ihre Mutter nur Lächeln konnte, an einem solchen Tag. "Wir sind da."
Neles Blick schweifte hinter ihre Mutter auf ein großes, langes Gebäude mit einem hellen Anstrich, was geradezu dazu einlud einzutreten. Irgendwo hier auf diesem Gelände würde ihr neues Pferd stehen. Wie in Zeitlupe stieg Nele aus dem Geländewagen ihrer Eltern aus.
Wie in Trance ließ sie die Tür zu fallen und sah sich um.
Ein Schotterweg führte zu einem kleinen Wohnhaus. Dahinter konnte man ein hohes Gebäude sehen. Neben dem Haus standen ein paar Bäume und eine kleine Hecke. Das Mädchen ließ den Blick schweifen weiter über das Gebäude, was Nele eindeutig als Stallung ausmachen konnte, denn in diesem Moment führte ein kleiner Junge ein weißes, etwas dickliches Pony aus dem Gebäude und band es an der Wand des Stalles an. Nele schluckte. Der Junge, etwa sieben Jahre alt, erinnerte sie an sich selber und Nutmeg, als sie kleiner war, nur dass es sich hier um ein Shettlandpony und keinen Isländer handelte.
"Nele kommst du?" Gewaltsam riss sie ihren Blick von dem Pony und dem Jungen, welcher wieder in den Stall verschwand, los und sah zu ihrem Vater, welcher schon in Richtung des Wohnhauses gegangen war. Nele atmete einmal tief ein, straffte die Schultern und lief selbstbewusst ihrem Vater hinterher. Sie wollte nicht schwach wirken. Das war sie Nutmeg schuldig.Die dunklen Augen blickten sie ruhig und freundlich an. Vor ihr stand ein KWPN Rappe. Er war wunderschön, muskulös und seine Ohren waren aufmerksam nach vor gerichtet. Vorsichtig streckte Nele ihre Hand nach dem Rappen aus, welcher sofort neugierig an ebenjener schnupperte. Mit zitternden Fingern strich sie dem Pferd über die Nüstern. Ein leichtes Lächeln zeichnete sich auf ihrem Gesicht, als das Pferd entspannt schnaubte und die Augen schloss.
"Wie findest du ihn?" Ihre Mutter legte ihre Hände auf Neles Schultern. "Er ist wunderschön." hauchte sie und fuhr mit dem Finger die Schnippe auf den Nüstern des Hengstes nach. Der Rappe schnaubte entspannt. Nichts an dem wunderschönen Hengst erinnerte Nele an Nutmeg. Er hätte sich niemals so entspannt hingestellt. Er war immer neugierig und wollte immer ein Leckerli haben. Außerdem war Nutmeg ein Pony und er war ein Pferd. Doch das war gut. So musste sie nicht immer an den braunen Hengst denken, wenn sie den Rappen ansah.
"Willst du ihn satteln?" Eine Frau stand in einiger Entfernung zu Nele und ihren Eltern. Sie hatte sich als Elaine Meier vorgestellt, die Besitzerin dieses Hofes und auch die jetztige Besitzerin des Rappens, den Neles Eltern kaufen wollten.
Nele nickte. "Ich muss nur wissen, wo seine Ausrüstung aufbewahrt wird." Elaine lächelte ihr weiterhin freundlich zu. "Komm mit." "Wir gehen derweilen raus." Ihr Vater nickte Nele zu und wand sich dann von der Box des Rappens ab. Nele folgte Elaine. "Er ist wirklich schön." Sagte Nele zu ihr. Elaine lächelte. "Ja das ist er. Er ist auch sehr freundlich und gut zu reiten, wenn man ihn und sein Temperament kennt. Ich denke du wirst gut mit ihm klar kommen." Nele nickte. Nutmeg war nie ein einfaches Pferd gewesen, doch sie hatte ihn geliebt wie nie ein anderes Pferd. Ob sie diese Beziehung auch zu dem Rappen aufbauen würde? Das Mädchen schüttelte den Kopf. Sie durfte nicht zu viel über Nutmeg nachdenken.
Der Rappe war nun wahrscheinlich ihre Zukunft. Nutmeg gehörte ihrer Vergangenheit an und sie musste das nun endlich begreifen. Das ständige überlegen brachte ihr Nutmeg auch nicht zurück. "Das sind seine Sachen."
Elaines Stimme brachte Nele wieder zurück aus ihrer Traumwelt. Sie sah sich den schwarzen Vielseitigkeitssattel, die schwarze, abgenutzte Schabracke und die lederne Trense an. "Braucht er Bandagen?" Elaine schüttelte den Kopf. "Nur Hufglocken. Er tritt sich gerne mal." Nele nickte. Bei Nutmeg musste sie nie an Bandagen oder so denken. Der Hengst hatte nur Sattel und Isitrense gebraucht.
"Ich lasse dich dann mal alleine. Den Putzplatz hast du ja schon gesehen. Halfter hängt an seiner Box und der Strick auch." Elaine verließ die Sattelkammer. Nele strich über den Sattel, nahm ihn dann samt Trense und Hufglocken und machte sich auf zum Putzplatz, wo sie alles ablegte. Dann machte sie sich auf den schwarzen Hengst aus seiner Box zu holen.
Seine Augen blickten Nele, wie schon wenige Minuten zuvor, freundlich an und als Außenstehender hätte man glauben können, dass sich die beiden schon ewig kennen. Nele spürte eine seltsame Verbundenheit. Eine andere, als die, die sie mit Nutmeg verbunden hatte. Sie kraulte dem Hengst den dunklen Hals und strich ihm über den Rücken. Er war gut gebaut und kräftig, noch dazu war er jung und voller Energie. Sanft lies sie den Sattel auf den Rücken des Pferdes gleiten. Der Rappe drehte seinen Kopf zu ihr. Nele strich ihm lächelnd über die Nüstern und zog dann den Sattelgurt zu. Der Rappe lies diese Prozedur ruhig, mit neugierig gespitzten Ohren über sich ergehen. Sie strich dem Hengst noch einmal über den Hals, ehe sie ihm die Trense, die er widerstandslos annahm, und die Hufglocken anlegte. Fertig gesattelt führte sie ihn dann zu der Halle, die Elaine ihnen wenige Minuten zuvor noch gezeigt hatte.
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Jump for ME
Ficțiune adolescențiNachdem Neles langjähriger Freund und Begleiter, ihr Isländer Nutmeg, gestorben ist, hatte sie sich geweigert wieder den Stall zu betreten. Doch die Sehnsucht nach Pferden und der Turnierluft hatte sie letztendlich dazu gebracht wieder mit dem reite...