Training, Training, Training

10 1 0
                                    

 Es fühlte sich an wie fliegen, als der schwarze Hengst kraftvoll absprang und über das Hindernis setzte. Die Landung auf der anderen Seite war sanft und der Rappe galoppierte von sich aus weiter auf den nächsten Sprung der Kombination zu. Nele ging in den leichten Sitz und spürte, wie der Hengst sich streckte. Die Höhe, die er beim Absprung gewann, spürte man deutlich. Sie wusste, dass zwischen den Stangen und seinen Beinen noch ein ganzes Stück Platz war. Nachdem er auf der anderen Seite des Steilsprungs aufgekommen war, wieherte der Hengst leise und buckelte vor Freude. Nele lächelte. Das hatte Nutmeg auch immer getan. Sie dachte wieder an den Hengst, doch sie lächelte weiter. Der Gedanke war fröhlich. Nicht traurig und das wusste sie. Weinen brachte nichts und gerade jetzt durfte sie sich nicht von belanglosen Sachen ablenken lassen.
Diablo galoppierte ordentlich weiter, nachdem er sich ausgiebig gefreut hatte. Sie klopfte dem Hengst den Hals und wendete ihn auf den Zirkel ab um dann noch einmal auf die Kombination zuzureiten. Diablo spitzte die Ohren und schätzte scheinbar seine Galoppsprünge ab, die er zum richtigen Abstand brauchte. Nele gab außen halbe Paraden und ritt den Hengst vorwärts.  Wieder einmal sprang er mit voller Kraft ab und flog über das Hindernis. Sie zählte die Galoppsprünge. Eins, zwei und Sprung. Auch dieses Mal berührte er keine der Stangen. Nele klopfte dem Hengst den Hals. "Das sollte für heute genügen. Geh noch einmal über das Cavaletti und reite ihn dann ab." Sie nickte ihrem Vater zu um trieb Diablo auf das Cavaletti zu, worüber er fast ohne abzuspringen galoppierte. Sie klopfte ihm den Hals und parierte ihn zum Trab. Im Trab ritt sie noch einen Zirkel in Anlehnung, ehe sie die Zügel aus der Hand kauen lies. Sie spürte, wie der Hengst seinen Hals nach unten streckte und lobte ihn. Er hatte wirklich gut mitgearbeitet und er hatte ihr gezeigt, dass er auch auf einem Turnier starten könnte. Sie mussten nur noch ein bisschen arbeiten, dann stünde ihnen nichts im Wege. "Ihr seid wirklich ein tolles Team." Nele lächelte Patrick zu, der ihr während der gesamten Stunde zugesehen hatte. Er hatte tatsächlich nichts mehr zu tun gehabt, hätte sogar schon nach Hause gehen können, doch er war geblieben. Ihretwegen. Um ihr zu helfen und um ihr dann noch beim Training zuzusehen. "Danke." Nele fuhr dem Rappen durch die Mähne und spürte, wie ihre Wangen ein wenig warm wurden. Sie schüttelte leicht den Kopf. Schon so manche Leute hatten das zu ihr gesagt. Auch damals mit Nutmeg. Wieso wurde sie denn jetzt rot? Diese Angewohnheit hatte sie abgeschüttelt, als sie regelmäßig damit gelobt wurde, wie gut sie und ihr Pferd zusammenarbeiteten. In Gedanken bemerkte sie nicht, dass ihr Vater mittlerweile die Halle verlassen hatte. Somit war sie hier allein mit Patrick und Diablo. "Allein unter Männern." Murmelte sie zu sich, parierte Diablo, den sie seit ein paar Minuten im Schritt abritt, durch und schwang sich von seinem Rücken. Mit einem kurzen Blick unter die Schabracke sah sie, dass der Rappe schwitzte. Er hatte in diesem Training super mitgearbeitet und keinen einzigen Fehler gemacht und auch Nele war voll bei ihrem Pferd gewesen und hatte sich nur darauf konzentriert, was er getan hatte, doch jetzt schielte sie immer wieder zu Patrick, der noch immer an der Bande stand, während sie die Steigbügel des Sattels überschlug. Sie schnalzte einmal und ging ein Stück von Diablo weg. Brav, wie er war trottete der Hengst hinter ihr her, bis sie am Hallentor angekommen waren. Da Nele nicht das Risiko eingehen wollte, dass Diablo zu den Stuten lief, griff sie nach den Zügeln und führte ihn hinter sich her. "Bist du eigentlich auch am Wochenende hier?" Sie sah zu Patrick, der mittlerweile aus der Halle zu ihr gekommen war und ein Stück neben dem Hengst lief, der ihm noch immer nicht gerade freundlich entgegen kam. Patrick nickte. "Ich hab eh nichts zu tun, als kann ich genauso gut her kommen. Obwohl ich eigentlich nur Wochentags wirklich arbeite." Nele musste kurz lachen. "Wenn ich könnte würde ich einen Tag einfach mal im Bett liegen und nichts tun. Das alles hier." Sie machte eine ausschweifende Handbewegung über den Hof. "Ich kenne das alles seit ich klein bin und hatte nicht wirklich einen freien Tag. Und dann noch Schule." Sie seufzte. Insgeheim musste sie sich eingestehen, dass sie wahrscheinlich eh nicht den ganzen Tag im Bett liegen könnte. Sogar in der Zeit, in der sie den Stall nicht betreten hatte, hatte sie trotzdem immer etwas gemacht, egal ob es jetzt putzen oder irgendwo hin gehen war. Niemals war sie lang im Bett geblieben und jetzt, wo sie Diablo hatte, konnte sie sich auch nicht vorstellen ihn zu vernachlässigen. Dafür war er ihr zu wichtig. "Ich war vor weniger Zeit ein viel zu fauler Mensch. Statt irgendwie raus zu gehen oder zu lernen habe ich nur gezockt." Patrick lachte kurz auf. "Der männliche Jugendliche halt." Nele grinste auch. Sie hatte ihren Klassenkameraden ab und an zu gehört und in deren Gesprächen ging es nur um Videospiele und zocken. "Aber seit ich den Job hier bei euch habe bin ich viel öfter draußen und ich merke, dass es mir viel Spaß macht und auch gut tut. Besser als den ganzen Tag zu Hause zu hocken." Nele nahm Diablo die Trense ab und stülpte ihm das Hafter über. Währenddessen hatte Patrick sich schon am Sattelgurt zu schaffen gemacht und als die Brünette sich umdrehte hatte er den Sattel schon vom Rücken des Hengstes gehoben. "Danke." Nele lächelte Patrick an und spürte, wie sie wieder rot wurde. Er half ihr, als wäre es selbstverständlich mit geübten Handgriffen, als würde er das täglich machen. "Mach ich doch gerne." Patrick lächelte Nele ebenfalls kurz an, ehe er sich die Trense schnappte und beides in die Sattelkammer brachte. Das Mädchen sah dem Jungen noch hinterher. Sie konnte sich absolut nicht vorstellen, wieso er so nett war, obwohl er sie erst seit wenigen Tagen kannte. Sie hatte ihn noch nicht einmal darum gebeten ihr zu helfen. Natürlich fand sie es freundlich von ihm, doch sie hatte auch ein schlechtes Gewissen dabei, denn sie konnte sich nicht bei ihm revanchieren. 

Ein Stupser von Diablo riss Nele aus ihren Gedanken. Lachend band sie den Hengst ab und führte ihn in den Stall. Als Patrick noch immer nicht wieder auftauchte, ging sie ebenfalls in die Sattelkammer und fand ihn dort Futter mischend vor. Grinsend lehnte sie sich an die Tür. "Ich dachte du hast Schluss? Ich habe heute Futterdienst." Patrick wand sich nicht um. "Ich dachte wenn ich dir helfe geht es vielleicht schneller." Er stellte die Eimer, die er schon fertig hatte in die Schubkarre. Nele gesellte sich zu ihm und fing an das Frühstück vorzubereiten und der Reihe nach in die Fächer der Pferde. Als sie im Hengststall fertig war, kippte Patrick gerade noch die restlichen Eimer in die Tröge der Hengste und Wallache. "Ich gehe die Stuten füttern." Sagte sie im vorbeigehen. "Ich komm gleich nach." Unwillkürlich musste Nele lächeln. Er schien es wirklich als selbstverständlich anzusehen ihr zu helfen. Dabei wurde ihm die Arbeit noch nicht einmal bezahlt. Er tat das wirklich freiwillig. Nur um ihr ein wenig Arbeit abzunehmen.
Gedankenverloren mischte sie die Futterrationen zusammen und dachte dabei an ihr erstes Treffen. Daran, wie Patrick scheinbar aus dem Nichts einfach so in der Halle stand und sie beobachtet hatte. In Gedanken merkte sie auch nicht, wie eben dieser Junge, an den sie gedacht hatte zu ihr in die Sattelkammer kam und wie selbstverständlich die Frühstücksrationen für die Stuten zusammenmischte und in die Fächer stellte. Erst als sie sich umwand um den Stuten ihr Abendessen zu bringen bemerkte sie ihn und zuckte erschrocken zusammen. "Sag doch was!" Rief sie, als Patrick direkt hinter ihr stand. "Tut mir leid. Ich dachte du hättest mich gehört. Scheinbar warst du aber wieder in Gedanken." Er grinste. Nele spürte, wie ihr schon wieder die Röte ins Gesicht stieg. Schnell senkte sie den Kopf, nahm die Schubkarre und marschierte aus der Sattelkammer. Was hatte dieser Junge nur gemacht, dass sie so schnell rot wurde? Sonst war ihr doch auch nie etwas peinlich. Nele schüttelte den Kopf, während sie den Stuten ihre Rationen in die Tröge kippte. Wahrscheinlich lag es daran, dass er neu in ihrem Leben war und sie ihn noch nicht so gut kannte.  

Jump for MEWo Geschichten leben. Entdecke jetzt