Kapitel 3

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Irgendetwas kitzelt mich an der Nase. Ich muss nießen. Ich schlage meine Augen auf und werde erstmal von der Sonne geblendet.
Dann sehe ich meinen besten Freund Mino vor mir. Er hält einen Grashalm in der Hand und piekst mich damit in die Nase. Ich setze mich auf und grinse ihn an. Mino ist 17 und somit ein Jahr jünger als ich. Er arbeitet auch auf Herr Hamiltons Hof und wohnt mit seiner Familie bei uns im Dorf. Er ist ziemlich groß, fast einen Kopf größer als ich. Er hat blonde Haare, die ihm immer in die Stirn fallen und große braune Augen. Er ist schmaler gebaut als ich, doch man sollte ihn nicht unterschätzen.
Früher als wir jünger waren haben wir, wie alle kleinen Jungs, unsere Kämpfe ausgetragen. Meistens habe ich nur knapp gewonnen, denn es ist nicht leicht seinen Hieben auszuweichen. Meine hingegen verfehlen nur selten ihr Ziel.

„Na du Faulpelz", Minos Augen blitzen schelmisch, „wenn der werte Herr Hamilton erfährt, dass du hier nur auf der faulen Haut liegst und schläfst, jagt er dich mit Sicherheit mit dem Besen von Hof." Er reicht mir seine Hand und hilft mir aufzustehen. Ich strecke mich sodass meine Knochen knacken. „Er muss es ja nicht erfahren.", gähne ich und sehe zu Mino auf. „Außerdem hat er mir sein größtes Feld gegeben.", füge ich als Unterstützung noch hinzu. Mino nickt nur grinsend. „Na dann sehen wir mal zu, dass du hier fertig wirst." Er nimmt sich die Hälfte meiner Saat aus dem Beutel den ich neben mich ins Gras gelegt habe, tut sie in seinen Beutel und geht auf das Feld. Ich folge ihm mit dem Rest.
Das schätze ich so an Mino. Er mag zwar manchmal etwas übermütig, zu voreilig und tollpatschig sein, doch wenn es drauf ankommt, kann man sich zu hundert Prozent auf ihn verlassen.

Nach einer weiteren Stunde und mit Minos Hilfe ist dann endlich auch die andere Hälfte des Felds fertig. Erschöpft setzen wir uns in den Schatten des alten Baumes und genießen für einen Augenblick die Stille der Natur. Dann machen wir uns gemeinsam wieder auf den Weg zurück zur Farm. Es ist schon Mittag als Herr Hamilton uns noch die Aufgabe gibt seine Tiere zu füttern. Danach gibt er uns unseren Lohn und entlässt uns in unseren Nachmittag. Ich verabschiede mich mit einer Umarmung von Mino und mache mich auf den Weg ins Dorf um etwas zu kaufen, womit ich die kaputte Scheibe unseres Hauses reparieren kann. Ich kaufe ein paar Holzbretter und Nägel. Das müsste fürs erste reichen. Damit mache ich mich dann schließlich auf den Weg nachhause.

Als ich am Wald vorbeilaufe, höre ich eine Eule rufen. Es ist doch erst Nachmittag? Sollte sie sich nicht irgendwo tief im Wald verstecken und auf die Dunkelheit warten? Ich sehe mich um und entdecke eine weiße Eule auf dem Ast einer großen Tanne sitzen. Sie schreit noch einmal und fliegt dann davon. Ich setze meinen Weg fort und sehe nach wenigen Minuten auch schon unser Haus.
Kaum bin ich durch die Tür getreten, werde ich auch schon von meiner kleinen Schwester begrüßt. Mit ihren 7 Jahren reicht Rosie mir gerade einmal bis zur Hüfte. Sie hüpft vor mir auf und ab, wartet aber bis ich die Holzbretter und die Nägel auf den Küchentisch gelegt habe. Dann umarmt sie mich stürmisch. Ich knie mich hin um mit ihr auf Augenhöhe zu sein. „Na meine kleine Prinzessin.", sage ich zu ihr und sehe sie lächelnd an. Sie lacht ihr herrliches Lachen und grinste mich an.
Ihr Lachen klingt wie eine Melodie in meinen Ohren. Eine Melodie, die einen an einen anderen Ort führt. Wie ein Lied, von dem man niemals genug bekommen kann. Ich liebe es, wenn sie lacht. Sie wirkt so unbeschwert und ich werde alles in meiner Macht stehende tun, damit das auch noch solange wie möglich so bleibt. Ich streiche ihr über den Kopf und richte mich wieder auf. Ich ziehe meine Jacke aus und hänge sie an den Haken.

„Komm wir spielen was", ertönt Rosies Stimme hinter mir. Ich drehe mich um und muss schmunzeln. „Ich kann jetzt nicht", sage ich dann, „Ich muss noch das Fenster reparieren." Sie macht einen Schmollmund und sieht mich aus ihren großen Augen flehend an. Ich lache auf, beuge mich zu ihr herunter und pikse sie in die Seite, woraufhin ihr ein schriller Schrei entfährt. Sie versucht meine Hände wegzudrücken doch ich kitzle sie weiter bis sie sich aus meinem Griff windet und wegrennt. Ich lache und gehe ihr hinterher. Sie flüchtet in ihr Zimmer, welches sie sich mit meiner Mutter teilt. Als ich den Raum betrete hockt sie auf ihrem Bett und sieht mich mit blitzenden Augen an. Ich bleibe im Türrahmen stehen und sehe sie an. „Wir können danach was spielen. Versprochen.", sage ich und sie grinst wieder. „Okay ich warte hier." Sagt sie und lässt sich auf die Matratze fallen. Kopfschüttelnd drehe ich mich um, gehe zurück in die Küche und nehme das Holz und die Nägel. Ich hole einen Hammer aus der Schublade und mache mich damit auf den Weg nachdraußen und beginne damit, das Fenster wieder zu verdichten.

Es dämmert bereits als ich fertig bin. Ich begebe mich zurück ins Haus und spiele wie versprochen mit Rosie. Als ich höre wie die Tür geöffnet wird, stehe ich auf und sehe meine Mutter, wie sie durch die Tür hereinkommt. Ich gehe zu ihr. Sie sieht müde und fertig aus. Sie arbeitet in einer Wäscherei doch die Bezahlung ist mehr als nur schlecht. Ich möchte gerade etwas sagen, das hören wir von draußen Hufgetrappel. Meine Mutter runzelt die Stirn und dreht sich wieder zur Tür herum. Wir sehen Männer in Rüstungen, gefolgt von einem Wagen, heran reiten. Es sind Soldaten des Königs. Meine Mutter reißt die Augen auf. Sie schaut sich suchend um. Als sie meine Schwester erblickt, die gerade aus der Küche kommt, rennt sie zu ihr. „Rosie!", ruft sie hektisch, „Geh ins Zimmer und mach die Tür hinter dir zu!" „Aber Mama", setzt Rosie an. „Kein Aber!", schneidet meine Mutter ihr energisch das Wort ab. Daraufhin verschwindet Rosie im Zimmer.
„Das ist nicht gut.", höre ich meine Mutter leise sagen.

Die Soldaten sind währenddessen an unserem Haus angekommen. Einer der Männer steigt ab, nimmt ein Schreiben aus seiner Satteltasche und schreitet auf uns zu. Er ist stattlich gebaut und auf seiner Rüstung prangt das Wappen des Königs. Er stellt sich vor meine Mutter und mich und beginnt mit fester Stimme zu lesen:
„Hiermit fordert seine Majestät, König Avelon, die Herausgabe aller jungen Männer ab dem Alter von 16 Jahren. Diesem Befehl ist mit sofortiger Wirkung und ohne jeden Wiederspruch Folge zu leisten."
Meine Kehle wird trocken. Ich habe das grausame Gefühl zu ersticken. Als hätten diese Worte alle Luft aus meinen Lungen gepresst. Meine Hände werden feucht. Panik steigt in mir auf. Ich sehe zu meiner Mutter, der alle Farbe aus dem Gesicht gewichen ist.
„Nein", höre ich sie leise flüstern. „Nein!", sagt sie nun etwas lauter, „Das können sie nicht machen!" Die Verzweiflung in ihrer Stimme ist nicht zu überhören.

Ich bin wie erstarrt. Kann mich nicht bewegen. Die Welt um mich herum bleibt stehen. Ich sehe wie in Zeitlupe wie zwei Männer auf mich zukommen. Sie packen mich grob an den Armen und ziehen mich auf den Wagen zu. Ich kann bekannte Gesichter anderer Jungen aus unserem Dorf in dem Wagen erkennen.
Ich sehe wie meine Mutter anfängt zu kreischen. Sie sinkt in sich zusammen, stützt ihr Gesicht in ihre Hände und beginnt zu weinen.

Als hätte jemand einen Schalter in meinem Kopf umgelegt, setzt sich die Welt um mich herum wieder in Bewegung. Ich spüre das Adrenalin in meinem Blut. Mein Puls rast. Ich wirbele herum, reiße meine Arme hoch und kann einen davon befreien. Ich ramme dem anderen Soldaten meine Faust ins Gesicht. Ein hässliches Knacken ist zu hören. Er taumelt zurück und fasst sich schreiend an seine Nase.
Ich nutze den Überraschungsmoment, gebe dem ersten Soldaten einen Kinnhaken und trete ihm die Beine weg. Ich renne zu meiner Mutter zurück und schließe sie in meine Arme, genieße diesen kurzen Augenblick. Sie klammert sich an mich. Ihre Tränen durchnässen meine Kleidung.
Ich kann sie nicht alleine lassen! Ich darf nicht! Wer wird sich um sie und Rosie kümmern?
Ich halte meine Mutter fest in den Armen. Ihr Körper bebt bei jedem Schluchzen. Ich atme tief ihren Duft ein und verspreche mir selbst diesen Geruch nie zu vergessen.
Im Augenwinkel sehe ich wie sich die Wachen um uns herum aufgestellt haben und mit ihren Waffen auf uns zielen. „Keine Bewegung!", hallt die Stimme einer Wache in meinem Kopf wieder. Meine Mutter hebt den Blick. Ihre Hände zittern als sie sie mir an die Wangen legt. „Pass auf dich auf meine Junge." Ihre Stimme ist fast nur noch ein Hauchen. „Ich liebe dich.", sagt sie fester und lässt ihre Hände wieder sinken. Schmerzlich kneife ich meine Augen zusammen sodass eine einzelne Träne aus meinem Augenwinkel entrinnt.
Ich will gerade etwas erwidern, da schlägt mir etwas mit voller Wucht gegen den Hinterkopf. Die Welt beginnt sich zu drehen und schwarze Flecken benetzen meine Sicht. Ich höre einen Schrei, weiß aber nicht, ob ich es war, der geschrien hat. Dann umhüllt mich vollkommene Dunkelheit. Nur ein dumpfes Pochen in meinem Kopf bleibt zurück sowie das Gefühl der Umarmung meiner Mutter. Denn dies sollte der letzte kurze Moment der Geborgenheit sein, den ich verspüren durfte.
Für eine lange, ungewisse Zeit.

Kampf der ElementeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt