Kapitel 7

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Noch immer sitzen Mino und ich mit dem alten Mann an unserem Tisch. Mino ist mittlerweile auch fertig mit essen. Wir schweigen. Die Gespräche der anderen um uns herum dringen nur leise in mein Bewusstsein. Das was der Alte uns gerade erzählt hat ist einfach unglaublich. Und doch ergibt es irgendwie Sinn. Wie kann man nur so grausam sein und seinen eigenen Bruder umbringen, nur weil dieser König geworden ist?! Und das auch nur wegen dieses komischen Merkmalen. Was das nur für Merkmale sind?

Mino muss wohl gerade den gleichen Gedanken gehabt haben, denn er räuspert sich kurz und fragt dass leise an den Alten gewandt:

„Was für Merkmale sollen das denn gewesen sein?"

Der Alte schaut auf.  „Es ist ein besonderes Muttermal.", antwortet er. „Und das andere?", fragte ich nun, „Sie haben doch von mehreren Merkmalen gesprochen." Ein leichtes Lächeln bildet sich auf dem Gesicht des Alten. „Gestaltenwandler.", sagt er dann und sieht erst Mino und dann mich an. „Gestaltenwandler?", fragen wir und sehen ihn erwartungsvoll an. „Davon habt ihr noch nie etwas gehört nicht wahr?", sagt er und wirkt schon fast amüsiert darüber. Als wir mit einem Nicken bestätigen erklärt er es uns: „Gestaltenwandler sind Menschen, die sich in jegliche Art von Tieren verwandelt können. Sie begleiten und beschützen die Könige unseres Landes. So eine Art Schutzpatron." Ich runzele nachdenklich die Stirn.

Tiere? Ich muss an die weißen Tiere denken, die ich bei mir zuhause immer gesehen habe. „Weiße Tiere...", murmele ich leise vor mich hin. Da sieht der alte Mann mich plötzlich an. „Was hast du gesagt?", fragt er dann und sieht mir durchdringend in die Augen. Ich schaue ihn verwirrt an bevor ich erwidere: „In meinem alten Heimatdorf habe ich immer wieder weiße Tiere gesehen. Eine Eule, einen Hasen und einmal ist mir im Wald ein weißer Hirsch über den Weg gelaufen."

Kaum haben diese Worte meinen Mund verlassen, werden die Augen des alten Mannes groß wie Murmeln. Ich kann nicht rechtzeitig reagieren, so schnell ist er auf mich gesprungen und reißt meinen rechten Arm schmerzhaft herum. Er zieht den Ärmel meines Pullovers hoch und starrt meinen Arm an. Dann weicht er vor mir zurück, als hätte ich ihm einen elektrischen Schlag verpasst. Ich rappele mich schnell wieder auf und sehe entgeistert auf den Mann herab, der sich nun vor mir auf den Boden kniet. Mit Mino tausche ich einen ratlosen Blick aus. Die Blicke einiger Umherstehenden fallen auf uns. Doch sie scheinen sich nicht weiter für uns zu interessieren und wenden sich wieder ab.

Ich weiß nicht was ich tun soll. Ist dieser Mann verrückt?! Ich sehe wieder auf den Alten, der immer noch auf dem Boden kniet und den Blick, starr auf meine Füße gerichtet hat. Ich möchte ihm gerade aufhelfen, als er vor mir zurückweicht. Er hievt sich wieder auf die Beine und blickt mich mit großen Augen an.

„Wie ist dein Name, mein Junge?", fragt er dann. „Damian?", sage ich nach kurzem Zögern. Es klingt mehr nach einer Frage als nach einer Antwort. „Du bist es wirklich!", flüstert der Mann leise vor mich hin. Ich verstehe immer noch kein Wort. Auch Mino scheint ratlos. Da redet der alte Mann weiter. „Die Tiere.", sagt er, „es ist dein Gestaltenwandler. Und das Mal...", er bricht ab. Ich ziehe den Ärmel meines Pullovers hoch und verdrehe meinen Arm solange, bis ich fündig werde. Etwa zwei Zentimeter über meinem Ellenbogen ist ein kleines Muttermal. Mit viel Fantasie und Kreativität kann  man erkennen, dass es die Form eines verzerrten Sterns hat.


Da stürmen plötzlich haufenweise Erinnerungen auf mich ein. Ich kann mich an die Frau mit den langen schwarzen Haaren erinnern. Wie sie mir als kleiner Junge leise Dinge ins Ohr geflüstert hat. Ich erinnere mich an eine kalte Nacht, in der sie mit mir auf ihren Armen durch den Wald geflüchtet ist.

Ich erinnere mich an unzählige Stunden, die ich alleine in völliger Kälte im Wald verbracht habe. Und ganz schemenhaft kann ich mich an die Frau erinnern, von der ich 13 Jahre lang geglaubt habe, sie sei meine Mutter. Wie sie mich im Wald gefunden und mitgenommen hat. In diesem Moment bricht eine ganze Welt in mir zusammen.

Alles was ich früher geglaubt habe, über mich und meine „Familie" zu wissen, soll falsch sein? Wie konnte die Frau, die mich den Großteil meines bisherigen Lebens begleitet hat, mir jeden Tag aufs Neue ins Gesicht lügen?!

Ich kann nichts daran ändern, doch mein Herz zieht sich bei dieser Vorstellung schmerzhaft zusammen. Alles was sie mir je gesagt hat, alles was ich geglaubt habe über mich zu wissen... all das soll eine einzige Lüge sein? Doch noch schlimmer als diese Informationen ist die Erkenntnis, dass ich ganz alleine bin. Wenn das alles stimmt, und daran habe ich nun eigentlich keine Zweifel mehr, bedeutet das, dass meine leiblichen Eltern tot sind. Ermordet! Von dem Mann der sich jetzt unser König schimpft!


Plötzlich ergreift mich eine unglaubliche Wut. Nicht nur auf meine vermeintliche „Mutter", sondern am meisten auf „König" Avelon. Ich weiß nicht genau, wie ich es anstellen werde. Ich weiß nur, dass es mich viel Kraft kosten wird. Aber ich werde König Avelon stürzen. Ich werde es ihm heimzahlen, was er meinen Eltern und unserem Land angetan hat.


Kampf der ElementeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt