Ich bin sprachlos. Es scheint als würde die Welt still stehen. Ich halte den Atem an.
Ein Mädchen steht wenige Meter vor mir, noch halb von den Schatten der Bäume versteckt. Nun tritt sie gänzlich aus dem Schatten hervor und ich kann ihre vollkommene Schönheit bewundern. Sie sieht aus wie ein Engel.
Zarte Gesichtszüge, eine feine Nase, volle Lippen und dunkle Augen, die von dichten Wimpern umrandet sind.
Sie hat ganz blasse, fast schon weiße Haut und ebenso weißes, langes Haar, das ihr in Locken über die Schulter fällt. Außerdem trägt sie ein langes, weißes Kleid, welches ihr ein fast schon geisterhaftes Aussehen verleiht.Der Wind zerrt an ihrem Kleid und an ihren Haaren und es scheint so, als würde er versuchen ihre zierliche Gestalt mit sich zu reißen. Doch das Mädchen hat einen ungewöhnlich festen Stand. Sie steht kerzengerade und bewegt sich keinen Millimeter. Ihre dunklen Augen sehen mich ruhig und freundlich an. Sie lächelt nicht und doch scheinen ihre Augen nur so vor Freundlichkeit zu funkeln. Ich meine auch etwas Neugierde in ihrem Blick zu erkennen.
"Hallo Damian." , reißt mich ihre Stimme aus meinen Gedanken, "Ich wollte dich nicht erschrecken."
Ruckartig setzt sich die Welt wieder in Bewegung. Ich nehme wieder das Rauschen des Windes in den Blättern, sowie das Zwitschern der Vögel wahr.
Ich blinzel kurz verwirrt. Dann senke ich beschämt meinen Blick zu Boden. Es ist mir peinlich, dass ich sie so angestarrt habe. So etwas gehört sich nicht.
Ich zucke zusammen, als auf einmal ihre Füße in meinem Blickfeld erscheinen. Sie ist barfuß doch ihr bodenlanges Kleid verdeckt ihre Füße wieder, als sie vor mir zum Stehen kommt.
Sie legt ihre Finger unter mein Kinn und drückt meinen Kopf nach oben, sodass ich gezwungen bin sie anzusehen. Ihre Finger sind ganz weich und zart. Sie ist nicht wirklich größer als ich. Eigentlich sogar fast ein bisschen kleiner, doch ihre Ausstrahlung lässt sie älter und somit auch größer wirken.
Mit einem Mal fühle ich mich wieder wie ein kleiner Junge, der von seiner Mutter bei etwas verbotenem erwischt wurde. Dabei scheint sie eigentlich mehr in meinem Alter zu sein. Vielleicht 1-2 Jahre älter...
Ich weiß nicht wie oder ob ich überhaupt irgendwas sagen sollte. Doch sie nimmt mir diese Entscheidung ab indem sie ihre wunderschönen, perfektgeformten Lippen zu einem leichten Lächeln verzieht.
"So schüchtern kenne ich dich ja gar nicht.", sagt sie und bei ihrer Stimme läuft mir wieder ein Schauer über den Rücken. Ihre Stimme hat etwas bezauberndes. Etwas bestimmtes aber gleichzeitig auch so unbeschreiblich sanftes.
Sie lässt ihre Hand wieder sinken. Doch an der Stelle, an der sie mich berührt hat, bleibt ein angenehmes Kribbeln zurück.
"Ich... ich weiß nicht ganz...", stammele ich vor mich her doch ihr Lachen unterbricht mich. Was für ein Lachen. Es klingt wie eine unbeschreiblich schöne Melodie in meinen Ohren.
Ich bilde mir ein, noch niemals zuvor etwas so schönes gehört zu haben. Verlegen senke ich meinen Blick wieder und merke schon wie sich meine Wangen rot färben. Peinlich. So etwas ist mir doch seit Jahren nicht mehr passiert. Warum habe ich überhaupt gestottert?
"Ja?", hakt sie noch einmal nach und jetzt schaue ich sie auch wieder an. Ihre Stimme ist so vertraut, was ich mir einerseits nicht erklären kann, andererseits aber auch einfach mal genießen möchte. Denn momentan kommt mir jedes bisschen Vertrauen und Sicherheit gerade gelegen.
Ich nehme also meinen Mut zusammen, sortiere meine Gedanken und schaffe es doch tatsächlich einen ganzen Satz hervorzubringen.
"Wer bist du und was machst du hier?", Frage ich sie und versuche ihren festen Blick zu erwidern. Immer noch umspielt ein sanftes Lächeln ihre Lippen, und ihre Augen haben kein bisschen an Ausdruck und Tiefe verloren.
"Weißt du denn nicht Wer ich bin?", fragt sie.
"Ich bin mir nicht sicher.", antworte ich leise.
"Wie du bist dir nicht sicher?", fragt sie wieder. Forschend blickt sie mich aus ihren dunklen Augen an.
"Naja", sage ich nun mit etwas festerer Stimme, "Ich weiß nicht ob es normal ist, dass man einem Hirsch hinterherläuft und dann plötzlich vor einem Mädchen steht.", ich lächel sie schräg an.
"In der Tat.", nickt sie mir zu, "Ich glaube für mich wäre das an deiner Stelle auch seltsam." Und wieder schmunzelt sie.
Schweigend sehe ich sie an und warte, was als nächstes passiert.
"Du fragst dich sicher, warum ich dich hier her gebracht habe.", spricht sie meine Gedanken laut aus.
Ich nicke bloß als Antwort darauf.
"Nun ich habe mitbekommen, dass du bereits über meine Existenz informiert wurdest.", fängt sie an zu erklären, "also habe ich gedacht, es wird Zeit, dass wir uns kennen lernen."
Mit diesen Worten und einem grinsen auf den Lippen, reicht die mir ihre Hand. Etwas überrumpelt sehe ich sie an, bevor ich zögernd ihre Hand entgegennehme.
"Ich bin Oriana.", nennt sie mir ihren Namen, "Wer du bist, weiß ich schon." Die lächelt mich an.
"Okay...", antworte ich daraufhin. "Das ist jetzt schon irgendwie etwas gruselig.", gebe ich zu und bringe sie damit wieder zum Schmunzeln.
"Es tut mir leid, aber ich wollte dich endlich mal persönlich kennen lernen. Ich passe schon seit du klein bist, aus der Ferne auf dich auf. Da dachte ich, es ist nur fair, wenn du mich jetzt auch mal kennen lernst."
Ich nicke. Im meinem Kopf schwirren so unglaublich viele fragen herum. Gibt es noch andere Wesen wie Oriana? Wovor soll sie mich eigentlich beschützen?! Kannte die meine Eltern? Weiß sie, dass König Avelon ein Mörder ist? Kann sie mir vielleicht helfen und mir sagen, was ich tun kann?!
Mein Schädel brummt nur so vor all den Fragen.Gerade als ich anfangen möchte diese laut auszusprechen, höre ich das altbekannte Tuten eines Horns. Das Signal, das uns “Männer der nächsten Generation“, wie wir Azubis neuerdings genannt werden, dazu aufruft uns zu vesammeln.
“Du musst gehen.“, sagt Oriana und sieht mich dabei an.
Was?! Ich kann doch jetzt nicht einfach so gehen?!
“Aber ich...“, fange ich an. Doch sie unterbricht mich sogleich wieder.
“Sie werden merken, das du weg bist! Du musst dich beeilen!“
Sie dreht sich um und geht mit wehendem Haar über die Lichtung, wieder auf die dichten Bäume des Waldes zu.
“Ich habe Fragen!“, rufe ich ihr hinterher, wobei ich es nicht vermeiden kann, dass meine Stimme leicht panisch klingt und einen verzweifelten Unterton hat.
Mit dem Rücken zu mir bleibt sie stehen. Dann dreht sie sich nochmal um.
“Wir werden uns wieder sehen.“, ruft sie über die Lichtung zu mir herüber.
“Wann?!“, rufe ich ihr zu.
“Bald.“, ist ihre einfache Antwort, bevor ihre Gestalt im dichten Dickicht des Waldes verschwindet und alles was bleibt, sind ihre Worte die in meinem Kopf widerhallen. Immer und immer wieder.

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Kampf der Elemente
Abenteuer13. Jahrhundert. Damian ist ein ganz normaler 18 jähriger Junge. Sein Vater ist tot, seine Mutter ist ein psychisches Wrack. Nun liegt es an ihm, seine Mutter und seine kleine Schwester Rosie über die Runden zu bekommen. Doch dieser Frühling soll...