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Ayla
Mit vollgestopfter Tasche bringt mich Jason nachhause. Endlich bin ich aus dem Krankenhaus raus! Hätte ich noch länger bleiben müssen, wäre ich wahrscheinlich verrückt geworden. Jedoch darf ich immer noch keinen Sport treiben ...
Vor der Haustür nimmt er mich in die Arme. "Ruf an, wenn wir uns mal treffen sollen." meint er noch lächelnd und ich winke ihm, als er die Steintreppen runter zur Straße geht. Eine gute Sache hatte das Krankenhaus doch. Jetzt habe ich endlich einen richtig guten Freund gefunden.
Ich schließe die Tür auf und stelle meine Tasche ab. Aus dem Schlafzimmer meiner Eltern ertönen laute Stimmen. Streiten sie sich etwa? Als ich mich an die Tür lehnen will, um zu hören, was sie sagen, reißt meine Mum die Tür auf. Ich zucke erschreckt zusammen und sie genauso. "Kleines, du bist ja schon da. Ich wollte dich eben abholen." Sie wirkt ziemlich nervös. "Jason hat mich gebracht ..." bringe ich leise hervor. Ich will fragen was los ist, warum sie und Mama so laut waren, doch ich traue mich nicht. Sie drückt mir einen schnellen Kuss auf die Stirn und geht dann zur Haustür. "Naja, ich muss trotzdem nochmal hin. Bin heute Abend wieder da." Und mit diesen Worten ist sie schon verschwunden. Ein paar Sekunden bleibe ich angewurzelt stehen. Meine Eltern haben sich noch nie gestritten, warum jetzt? Ein leises Schluchzen dringt in meine Ohren, worauf ich vorsichtig ins Zimmer schaue. Meine Mama sitzt auf dem Bett, das Gesicht in den blassen Händen versteckt. So viele Fragen drehen sich in meinem Kopf, aber das darf ich ihr jetzt nicht antun. Sie ist nicht so stark, wie sie immer tut und da das hier etwas Ernstes zu sein scheint, muss ich jetzt für sie da sein. Mit tapsigen Schritten komme ich ans Bett und setze mich neben sie. Sie bemerkt mich und schaut mich mit großen gläsernen blauen Augen an. "Ayla, tut mir leid, dass du das mitkriegen musstest. Ich dachte, du wärst noch im Krankenhaus ..." Ihre Stimme ist heiser vom Weinen und ohne weitere Worte drücke ich sie sanft an mich. "Bitte hör auf zu weinen. Ich frag auch nicht nach, nur bitte wein' nicht."

Als meine Mama sich beruhigt hat, habe ich ihr geraten sich etwas schlafen zu legen. Sie braucht jetzt Ruhe. Damit ich sie nicht störe, gehe ich hinaus in den Garten. Das kalte Gras kitzelt zwischen meinen Zehen, während ich barfuß hindurch laufe. Ich setze mich auf die Wiese und rupfe ein bisschen von dem Grünzeugs heraus. So viele Fragen, so viele Emotionen wirbeln in mir, jedoch habe ich Angst sie raus zu lassen. Ob sie sich wegen mir gestritten haben? Vielleicht wegen der Op? Ich weiß es nicht. Das regt mich auf. Mein Blick fällt auf die alte Holzschaukel, die schon mehr durchgemacht hat, als sie eigentlich aushalten dürfte. Erinnerungen kommen in mir hoch, wie mich meine Mum angeschubst hat und ich als unbeschwertes kleines Mädchen immer fröhlich "Höher! Noch höher!" geschrien habe. Mir fällt erst jetzt auf, wie lange das schon her ist. Man hätte das Gesicht meiner Mama dabei sehen müssen. Ständig fragte sie, ob das nicht zu wild sei, denn ich war ja noch sehr klein. Darauf lachte meine Mum immer unbeschwert und warf mich als Beweis in die Luft. Wenn ich dann wieder sanft in ihren Armen landete, sagte sie immer: "Sie lebt ja noch, also alles gut." Selbst Mama lachte.
Warme Tränen fließen mir die Wangen herunter, als ich mich wieder aus meinen Erinnerungen reiße. Meine Hand greift automatisch zum Handy. "Jason? ... Nein, also doch, ja ich heule. Kannst du mich abholen? Ich hab Emotionalchaos."

Hätte ich gewusst, dass Jason auf einer Party ist, hätte ich wohl lieber doch nen' Kummerkasten angerufen. Es ist laut, als wir die Tür reinkommen. "Glaub mir, das wird mega cool!" ruft er mir durch die grölende Musik hindurch zu. Na, ich weiß ja nicht ... Ich lasse mich von ihm mitziehen und wir landen in einem großen Zimmer. An den Wänden hängen Anime Poster und überall liegen merkwürdig aussehende Plüschtiere. In der Mitte des Raumes sitzen ein paar Leute, etwa in unserem Alter. Sie lächeln uns alle an, bis auf eine. Eloise. Zwischen den anderen sieht sie ein wenig fehl am Platz aus mit ihren pechschwarzen Klamotten und dem Killerblick. Ein Mädchen mit großen Kulleraugen und schwarzen strubbligen Haaren, die an der Spitze dunkelblau sind, kommt fröhlich zu uns gehüpft. "Eine Freundin von dir?" fragt sie Jason aufgeregt, welcher nickt. "Hey, ich bin Mieze! So nennen mich alle hier." quiekt sie vergnügt und presst mich an ihre Brust. Warum muss ich auch so klein sein? Danke dafür Mama. Ich spüre immer noch Eloise's funkelnde Augen auf mir, dabei sehe ich sie in diesem Moment nicht einmal. Mieze lässt mich wieder atmen und zieht mich zu den anderen in den Sitzkreis. "Das ist Ayla, eine Freundin von Jason. Ayla, das sind ..." Doch ich höre schon gar nicht mehr zu. Mein Blick liegt auf Eloise's meerblauen Augen, die mich argwöhnisch beobachten und nicht von mir ablassen. "Ehem, hey." sage ich schüchtern und weiß nicht, wie die vielen Leute, um mich herum, heißen. Ich höre den anderen beim Reden zu, wobei es um Anime und Cosplay geht. Ich verstehe davon nichts, also kann ich nicht mitreden. Stattdessen achte ich darauf, wie mich Eloise immer noch begutachtet. Auch sie äußert sich nicht zur Unterhaltung. "Ich geh mal frische Luft schnappen." sagt sie plötzlich, steht auf und verlässt das Zimmer. Ist es wegen mir? Meine Beine drücken mich wie von Geisterhand hoch. "Ich auch." meine ich stumpf und versuche ihr heimlich hinterher zu gehen. Leichter gedacht als getan, denn das Haus ist voller besoffener Leute. Ich zwänge mich zwischen ihnen hindurch und gelange in einen großen Hintergarten, der voll mit Blumen aller Art ist. In mitten der Blumenpracht steht ein niedliches kleines hölzernes Gartenhäuschen, an dem eine Leiter lehnt. Ich klettere hinauf und sehe Eloise, die sich gerade eine Zigarette anzündet. "Was willst du?" stöhnt sie genervt. Ich kralle mich ins Holz, als ich zu ihr herüber krabbele. "Warum magst du mich nicht?" frage ich sie direkt. "Warum sollte ich dich mögen?" erwidert sie mit zickigem Unterton. "Naja ..." Was soll ich auf so etwas antworten? Innerlich verfluche ich mich für meine Ratlosigkeit. "Lass gut sein, Jungfrau." schnaubt sie und stößt dabei eine Wolke Rauch aus. Beleidigt schaue ich sie an und sie erwidert meinen Blick mit einem breiten Grinsen. "Stimmt doch, nicht wahr?"
"Kann dir doch egal sein!" motze ich und hoffe, dass ich nicht rot im Gesicht bin. "Tz, kein Wunder. Wenn du auch so frech bist." Sie zieht ein weiteres Mal an ihrer Zigarette. Ich kann dir gleich mal zeigen, wie frech ich werden kann! Mit einem Ruck ziehe ich ihr die Zigarette aus dem Mund, drücke sie auf dem Dach aus und schmeiße sie herunter. "Du solltest wissen, dass Zigaretten mehr als 3800 chemische Verbindungen beinhalten. Über 200 davon sind giftig und mindestens 40 sogar krebserregend. Manche Menschen können nicht richtig atmen und du dröhnst dir deine Lunge mit Kohlenmonoxid zu, obwohl du es kannst." Oh nein, ich reagiere über. Sie schaut mich erst ein wenig irritiert an, fängt dann aber an zu lachen. "Nicht nur eine Jungfrau, sondern auch ein Streber. Ich werde dich wohl noch Jahre Jungfrau nennen können." Ich muss irgendwie kontern ... "Dann nenne ich dich eben ... Eh ... Idiotin!" Okay, das war nichts. Sie fängt noch mehr an zu lachen. Sie hört sich an wie eine Hexe, wenn sie lacht. "Bitte übertreib's nicht mit deinen Kraftausdrücke, ich habe ein schwaches Herz." bringt sie während ihres Lachanfalls hervor. Jetzt muss auch ich lachen. "Lass uns wieder reingehen."

To the moon and backWo Geschichten leben. Entdecke jetzt