Trott der Einöde

81 8 0
                                    

Torge saß an seinem Schreibtisch und füllte die Beschaffungspapiere für die Versorgungskompanie aus. Hier in den Bergen war es die meiste Zeit eiskalt und darum verwunderte es auch nicht, dass ein Großteil der Beschaffungsliste aus Wollmänteln, Schnaps und Feuerholz bestand. Nur stand jetzt auch noch der Winter bevor und darum musste an größerer Vorrat an den nötigsten Materialien angeschafft werden, denn die Pässe froren schnell zu und wurden bis zur Unpassierbarkeit eingeschneit. Bevor dies geschah, musste die Versorgungskompanie, die drei Tagesritte nordöstlich am Ufer des Klamm-Flusses ihre Basis hatte, zusehen, dass alles Nötige rechtzeitig herangeschafft und hier hoch transportiert wurde. Die zu bewachende Kreuzung befand sich direkt vor dem Haupttor der Grenzfeste, welches den einzigen Zugang darstellte. Ursprünglich gab es mehrere Fluchtwege und Geheimgänge, aber die wurden mit der Zeit entweder vergessen oder sind inzwischen von den Naturgewalten verschüttet worden. Die gigantischen und massiven Mauern beherrschten das Tal und waren so angelegt, dass den ganzen Tag die Sonne den Bereich vor den Mauern ausleuchtete, damit sich niemand heimlich an den Mauern zu schaffen machen konnte. Tatsache war jedoch auch, dass niemand mehr wusste, vor wen die Feste das nördliche Königreich beschützen sollte.

Und mittendrin saß Torge, Leutnant und Adjutant des Oberst Obrun von Fallsund, einem fetten, feisten und gierigen alten Sack und nebenbei noch derzeitiger Kommandeur der Feste von Jalta. Torge versuchte im Kerzenschein die Handschrift des Rüstmeisters zu entziffern. Mit zusammengekniffenen Augen hing er nur eine Handbreit über dem Papier und fuhr mit seinem Zeigefinger die Zeilen ab. Zwischendurch fuhr er sich immer wieder genervt durch die schulterlangen strohigen schwarzen Haare oder kratzte sich an seinem zerzausten Vollbart, dem man gut ansehen konnte, dass ihm die letzten Wochen nur wenig Pflege zuteilgeworden war.

Das Feuer im Kamin flackerte vor sich hin und badete den Raum in einem dämmrigen Licht. Über das letzte Jahr hatte es Torge geschafft, es sich hier zumindest halbwegs gemütlich einzurichten. Sein Federbett und die Möbel hatte er weitgehend selber wieder hergerichtet. Das Material dazu hatte er aus der gesamten Festung zusammen getragen. Praktisch war, dass er mit einem Feldwebel aus der Versorgungseinheit sehr gut befreundet war, was ihm eine stetige Versorgung an diversen hochprozentigen Köstlichkeiten garantierte. Genervt setzte sich Torge aufrecht hin, schmiss seine Schreibfeder auf den Tisch und rieb sich mit beiden Händen die zerfurchten Augenlider. Mit seinen knapp 26 Jahren war Torge noch recht frisch in der Einheit, aber jemand, der ihn nicht kannte, würde ihn eher auf Ende dreißig schätzen. Die Kälte war nicht gerade gnädig zu den Bewohnern der Einsamkeit. Seiner Gesundheit nicht gerade zuträglich war auch, dass er ununterbrochen von dem Fettsack Obrun schikaniert wurde. Dauernd bemängelte er, dass es der Einheit an Disziplin und Zusammenhalt mangelte, dass sie hier oben vergessen wurden, über die mangelnde Versorgung an guten Nahrungsmitteln und dass es hier keine Frauen gäbe. Torge hatte das Gefühl, dass der Alte ihm dafür die Schuld geben würde. Aber was sollte man auch von einer Einheit erwarten, die hauptsächlich aus Querschlägern, Versagern und Vollidioten bestand. Er streckte sich ausgiebig, stand auf und warf sich den abgewetzten Wollmantel über, der über der Stuhllehne hing. Langsam schleppte er sich zum Schrank, öffnete die Tür und nahm sich ein Glas und eine Flasche Pflaumenschnaps heraus. Er füllte das Glas bis zur Hälfte, hielt inne, lächelte und machte es dann doch ganz voll. Die Flasche wanderte wieder in den Schrank und Torge zum Fenster. Es war bereits Nacht, als er die Fensterläden öffnete und die kalte Luft an ihm vorbei in das Zimmer drang. Er zog sich den Mantel enger um den Körper und stützte sich mit den Ellbogen auf dem Fensterbrett ab.

Der Himmel war klar. Der Mond und die Sterne tauchten die eindrucksvollen Mauern und Bauten der Feste in ein helles Licht. Hoch aufragender schwarzer Stein, aus dem sie gebaut worden war, verschmolz beinahe mit den Schatten, den das Mondlicht durch die Felsspitzen und die hohen Türme erzeugte. Aus dem verschneiten Innenhof unter ihm drangen ein paar Schreie und das übliche Gegröle von besoffenen Soldaten.

Die Festung der VerlorenenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt