Heimat

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Sasuke

Schnell sprangen wir zwischen den Bäumen voran. An diesem Morgen waren wir besonders hastig aufgebrochen, da wir heute an dem See ankommen sollten.

Die Worte von Naruto gestern gingen mir nicht mehr aus dem Kopf. Vielleicht wäre es besser gewesen, nicht in's Dorf zu kommen. Ich hätte genauso gut plötzlich am Ort des Geschehens auftauchen können, so wie ich es immer tat. Ich hätte Kakashi schreiben können, dass ich dort hinkäme anstatt, seiner Anweisung zu folgen. Aber ich hatte es mir nicht entgehen lassen können, in meine alte Heimat reinzuschneien, kurz so zu tun, als würde ich dort leben, als wäre ich in Konoha zu Hause.

Was für ein dummer Gedanke. Zu Hause.

Sicher, Konoha war einmal mein Zuhause gewesen, doch ich hatte mich einst dazu entschieden, es zu verlassen und nun wusste ich nicht, ob ich dieses Dorf jemals wieder mein zu Hause nennen konnte. Ob ich überhaupt jemals wieder ein richtiges Zuhause haben würde.

Entschlossen stieß ich mich vom nächsten Ast ab und wischte den Gedanken beiseite. Es war besser so. Ich hatte schließlich eine Mission, auf die ich mich konzentrieren musste.

Während wir durch den Wald dahin flogen, sagte keiner ein Wort, was ich als ungewohnt empfand. Normalerweise würde Naruto seine Freude über die Mission in die Welt hinaus rufen und von Sakura eine Kopfnuss verpasst bekommen. Doch offenbar wahr jeder in seine eigenen Gedanken vertieft.

Auch wenn ich es mir kaum anmerken ließ, war mir aufgefallen, wie sehr die beiden sich verändert hatten. Naruto war nicht mehr der kleine, nervige Junge, den jeder als Bestie abstempelte. Nun war er der Held des Dorfes sowie der fünf Shinobi-Reiche und führte eine ernsthafte Beziehung mit Hinata. Vermutlich wurde daraus bald mehr, aber die freudige Nachricht wollte ich ihn verkünden lassen. Außerdem würde er irgendwann Hokage werden.

Sakura war zu einer außergewöhnlich starken, jungen Frau und einer großartigen Heilerin herangewachsen. Irgendwann wird sie wahrscheinlich auch Tsunade übertreffen. Mir fiel auf, wie viel stiller sie geworden war. Früher hatte sie alles und jeden kommentieren müssen, aber jetzt beschränkte sie sich während Missionen auf das nötigste. Ich fragte mich, ob auch sie jemanden gefunden hatte, der ehrliche Gefühle für sie hegte. Vielleicht Lee? Dummer Gedanke.

Ich weiß nicht, was mir lieber wäre: Dass Sakura ihre Gefühle für mich hinter sich gelassen hat oder sie sie noch immer nicht überwinden konnte.

"Wir sind fast da", rief Naruto zu und befreite mich von meinen Gedankengängen. Er war schon seit einer Weile im Sage-Modus und spürte das Chakra des Sanbi. Er sprang weiter voraus, Sakura und ich hinterher.

Ich verstand immer noch nicht so ganz, wieso Kakashi mich für diese Mission ins Dorf beordert hatte. Naruto und Sakura könnten den Bijuu-Geist auch ohne meine Hilfe überwältigen, Naruto sogar allein. Erwartete Kakashi feindliche Ninjas? Einen Überraschungsangriff? Welche Gefahr könnte so groß sein, dass der Hokage sein altes Team gemeinsam auf Mission schickte? Immerhin waren wir die Nachfolger der drei legendären Sannin, nur viel stärker.

Ein paar Äste weiter hielten Sakura und Naruto an und schauten in die Ferne. Ich landete neben ihnen. Wir blickten auf einen großen See, der von Nebelschwaden umgeben wurde. An den Ufern erstreckten sich die Wälder von Kirigakure.

Schnell wurde mir bewusst, dass ich diesen Ort kannte. Nicht weit von hier lag eins von Orochimarus verstecken, in dem er früher Gefangene hielt.

"Da kommen Erinnerungen hoch, nicht war?", sprach Naruto das aus, was ich dachte. Doch im Stillen vermutete ich, dass wir verschiedene Dinge meinten. Waren er und Sakura schon einmal hier gewesen?

Wieder einmal wurde mir bewusst, wie viel ich in den letzten Jahren verpasst hatte.

Naruto stieß sich kraftvoll von dem Ast ab, auf dem wir standen uns landete sanft auf der Wasseroberfläche des Sees, in dem sich der Dreischwänzige verbarg.

"Lass dich nicht wieder verschlingen!", rief Sakura ihm nach. Dann wandte sie sich ab und machte sich auf den Weg zum gegenüberliegenden Ufer, um ein Lager aufzuschlagen. Stumm folgte ich ihr, während ich mit meinem Sharingan die Umgebung noch einmal absuchte. Schließlich fanden wir einen geeigneten Platz und beobachteten von dort aus durch die Nebelschwaden, wie sich ein riesiger Panzer und drei knorrige Schwänze aus dem Wasser erhoben.

"Ihr wart schon einmal hier", stete ich fest.

Sakura nickte. "Ein paar ANBU, die Informationen über Orochimarus Versteck gesammelt hatten, wurden hier ermordet. Als wir nach ihnen suchten, stießen wir auf Guren, eine Anwenderin des Kristallverstecks, und Kabuto. Er führte zu Orochimarus Zwecken Experimente an einem Jungen durch, der womöglich als einziger das Chakra des Dreischwänzigen kontrollieren konnte. Er wollte ihn zu einem Jinchuuriki machen und die Kraft eines Bijuu unter seine Kontrolle bringen."

Ich hörte ihr zu und schaute weiter über den See. Eine Weile herrschte Stille.

Erneut wanderten meine Gedanken nach Konoha und zur Suche nach Heimat. Würde ich je wieder eine Heimat finden? Heimat. Was war das überhaupt? Hatte ich jemals eine richtige Heimat gehabt?

"Was ist Heimat?", fragte ich in das Schweigen hinein.

Sakura sah zu mir herüber, ich blickte abwartend in ihr Gesicht. Erst jetzt, wo ich sie genauer betrachtete, viel mir auf, wie erwachsen und hübsch sie geworden war. Das karoförmige Siegel auf ihrer Stirn bildete einen farblichen Kontrast zu den strahlend grünen Augen. Ihre rosanen Haare waren wie immer mit ihrem roten Stirnband zusammen gebunden und fielen ihr bis zum Kinn.

Als sie bemerkte, wie ich sie musterte, schluckte sie schwer und wandte sich wieder von mir ab.

"Heimat ist der Ort, an den du immer zurückkehren kannst, an dem du Hilfe und Glück findest", sagte sie. "Das hat Naruto dem kleinen Jungen, an dem experimentiert wurde, damals gesagt. Ich finde, er hatte recht."

Naruto hatte schon früh damit angefangen andere zu belehren, das wurde mir bei Sakura's Worten nur noch bewusster. Obwohl er viel Blödsinn gemacht hatte, war er sich als Junge schon über Dinge im klaren, die andere als selbstverständlich nahmen und bis heute nicht erklären konnten. Manch einer würde ihn sogar als weise bezeichnen.

Heimat ist der Ort, an den du immer zurückkehren kannst.

Ich schaute noch einmal zu Sakura und dachte auch an Naruto. Und dann begriff ich: Sie waren meine Heimat.

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Uff leute, dieses Kapitel war wirklich eine Menge Arbeit. Mal etwas tiefgründigeres... Ich hoffe, es hat euch gefallen!

LG Julie



Shinobitränen || Naruto [Pausiert]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt