Hinter den Seelenspiegeln

480 43 3
                                    

TenTen

"Warum?" 

Meine Lippen bebten, als ich meine Frage wiederholte. "Warum, Hinata? Warum hat er nie etwas gesagt?"

Schweigen.

Außer der summenden Geräuschkulisse des kleinen Cafés war es still. Hinata hatte es schließlich geschafft, mich zu überreden, vom Friedhof zurückzukehren. Das war auch besser so, denn ohne sie würde ich wohl immer noch heulend vor Neji's Grabstein sitzen und mich zu Tode frieren.

Jetzt klammerten sich meine Hände an eine Tasse Tee, die mir Hinata spendiert hatte. Die Gänsehaut auf meinen Armen bemerkte ich erst gar nicht. Alles was ich wollte, war eine Antwort auf meine Frage.

Noch immer zweifelte ich an der Aussage, die sie vorhin ausgesprochen hatte. Konnte das wahr sein? Wusste Neji von meinen Gefühlen? Konnte er wirklich genauso gefühlt haben? Und wenn ja, warum hatte er nie darüber gesprochen?

Hinata nahm einen Schluck von ihrem Tee bevor sie sagte: "Er hat dich sehr geliebt, TenTen." Sie sah mich mit festem Blick an.

Ich starrte auf den Boden meiner Tasse und wusste noch immer nicht ob ich ihr glauben konnte. Woher konnte ich wissen, ob dies nicht nur ein verzweifelter Trostversuch war. Hinata war eine der wenigen, die meinen wahren Schmerz kannten. Wenn ich Kunden in meinem Waffengeschäft hatte, setzte ich immer ein freundliches Lächeln auf, aber Hinata hatte das falsche Lächeln sofort durchschaut. Ebenso wie Sai, der nun immer besser darin wurde Gefühle zu erkennen.

Nach einer Weile schaute ich wieder auf. Meine Augen glitten durch das kleine Café und trafen schließlich Hinata's. Ihr Blick war immer noch so durchdringend und fest wie vorhin. Da wusste ich, dass sie die Wahrheit sagte, oder zumindest selbst dachte, es sei die Wahrheit.

Seufzend schaute ich erneut in meine Tasse und betrachtete die übrig gebliebenen Teeblätter. Konnte das wahr sein? Der Gedanke an einen Neji, der mich heimlich geliebt hatte, ließ mein Herz höher schlagen.

"Wo-Woher weißt du das so sicher?", fragte ich dann und ärgerte mich selbst über meine bebende Stimme.

"Er hat es mir erzählt."

Vor erstaunen schoss mein Kopf hoch. Hinata lächelte mich sanft an.

"Es ist schon eine Weile her. Ich glaube, es war kurz vor den Chuunin-Auswahlprüfungen in Suna. Wir.. hatten ein Gespräch über Liebe. Dass wir über so etwas redeten, kam nicht besonders oft vor."

Das konnte ich mir gut vorstellen. Früher hatte Neji Hinata verachtet, da sie zur Hauptfamilie der Hyuuga gehörte, für die sich sein Vater geopfert hatte. Er selbst stammte aus dem Nebenzweig der Familie, der auf ewig dazu verpflichtet war, den Hauptstamm zu schützen. Bei seinen ersten Chuunin-Auswahlprüfungen hatte Naruto ihm dann ziemlich den Kopf  gewaschen.

Ich schmunzelte. Naruto konnte zwar immer noch ein ziemlicher Idiot sein, doch er hatte schon immer ein Händchen dafür gehabt, die Emotionen anderer zu verstehen und ihnen ein Licht in ihrer eigenen Dunkelheit zu zeigen, mal abgesehen davon, dass er früher nicht zwischen freundschaftlicher und romantischer Liebe unterscheiden konnte.

"Damals hatte er mich auf Naruto angesprochen. Ihm war nie ganz wohl dabei, dass ich mich ausgerechnet in ihn verguckt hatte. Er wollte wissen, wie ehrlich und stark meine Gefühle für ihn waren." Hinata machte eine kleine Pause und lies den Tee in ihrer Tasse kreisen. 

"Ich hab ihm natürlich die Wahrheit gesagt. Nachdem ich ihm meine und Naruto's Geschichte erzählt hatte, befürchtete ich, er könnte wütend oder enttäuscht sein. Aber zu meiner Überraschung war dem nicht so. Er verstand mich. Und ich wollte natürlich wissen wieso. Als er mir schließlich gestand, dass er auch verliebt sei, konnte ich es mir nicht nehmen lassen, jedes Detail aus ihm heraus zu kitzeln."

Sie kicherte. "Du hättest ihn mal sehen sollen. Das war das einzige Mal, dass ich Neji richtig verlegen erlebt habe."

Ich stellte meine Tasse auf den Tisch und schaute nachdenklich aus dem Fenster. Konnte er mich wirklich geliebt haben?

"Er hat mir nie deinen Namen verraten, aber mir war sofort klar, dass er von dir sprach."

Ich schluckte schwer und spürte, wie meine Augenwinkel feuchte wurden. Ich wollte etwas sagen, doch alles was meiner Kehle entfuhr, war ein leises Wimmern.

Hinata, der dieser Laut nicht entgangen war, erhob sich und stellte nun auch ihre Tasse ab. Einen Moment später lag ich ihr auch schon heulend in den Armen.
Sie strich mir beruhigend über den Rücken während ich verzweifelt versuchte, nicht völlig die Fassung zu verlieren und mein Gesicht an ihrer Schulter verbarg.


Gegen Mittag begleitete Hinata mich nach Hause. Vor meinem kleinen Laden umarmte sie mich noch einmal zum Abschied, während ich mich ausgiebig für ihren Trost bedankte. Sie murmelte etwas von "Selbstverständlichkeit..." und machte sich letzten Endes auf den Heimweg. Naruto würde sie vermutlich schon vermissen, obwohl sie ihm extra einen Zettel hinterlassen hatte, damit er sich keine Sorgen machte.

In der folgenden Nacht saß ich lange vor meinem Fenster und beobachtete den Mond. Er schien fast so unergründlich wie die Augen eines Hyuuga. Neji Hyuuga. 

Shinobitränen || Naruto [Pausiert]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt