Lectus

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Das erste, was ich mich gefragt habe, als ich begann »Lectus« von LittleChocotella zu lesen, war, weswegen man einem Jugend-Fantasy-Roman einen Titel gibt, der aus dem Lateinischen übersetzt »Bett« bedeutet. Woher der Name nun rührt oder ob ihm im Buch eine ganz andere Bedeutung zugewiesen wird, konnte ich den dreißig bisher veröffentlichten Kapiteln nicht entnehmen.

Genau genommen weiß ich überhaupt nicht, was ich aus dem Gelesenen ziehen soll, denn es gelingt mir nicht einmal, die Namen aller Protagonisten zu memorisieren, geschweige denn, sie irgendwelchen besonderen Eigenschaften zuzuweisen und damit meine ich nicht nur Charakterzüge, sondern auch grundlegende Fakten wie das Alter. Ein stringenter Handlungsverlauf zeichnet sich ebenfalls nicht ab, wodurch sich das bisher Geschehene in wenigen Sätzen zusammenfassen lässt.

Eine große Gruppe magiebegabter Kinder wird gemeinsam von einer scheinbar alten Frau aufgezogen, die ihnen hilft, ihre Kräfte zu entwickeln, während irgendwo böse Leute böse Dinge tun und aller Wahrscheinlichkeit nach gegen irgendwen intrigieren.

Das war sogar nur ein Satz und mit diesem ist wirklich alles gesagt, denn »Lectus« mangelt es vor allem an Struktur. Die Handlung dümpelt einfach vor sich hin, wenn man Glück hat wird ein Subplot mal auf mehr als ein Kapitel ausgedehnt, scheint dann aber auch keine Auswirkungen mehr auf ein mögliches Gesamtgeschehen zu haben.

Hautsächlich gibt es Dialoge zwischen den verschiedenen Figuren, die wohl teilweise auch Love Interests unter ihren Mitbewohnern haben, Freundschaften pflegen oder sogar miteinander verwandt sind. Da ich nur ansatzweise einen Überblick über das Repertoire an Charakteren besitze, die in diesem Buch ihr Unwesen treiben, bin ich nicht in der Lage, das Figurengeflecht weitergehend zu analysieren, aber dass mir rein gar nichts in Erinnerung geblieben ist, spricht dafür, dass es äußerst oberflächlich und unübersichtlich gehalten ist.

Und, wie in so vielen anderen Büchern auch, werden Kinder absolut unrealistisch dargestellt. Kiki, die Jüngste im Bunde und heimliche Tochter Milans, (der vielleicht ein oder zwei halbwegs relevante Szenen hat) soll anscheinend ein Comic Relief sein, wirkt aber einfach nur dämlich. Es gibt einen Unterschied zwischen kindlichem und geistig zurückgebliebenem Verhalten. Die Grenze dazwischen nicht zu überschreiten, ist schwierig, wird aber auch hier offensichtlich unterschätzt. Ich kaufe es einfach keinem Kind ab, sich den Namen »Cathéa« nicht merken zu können und stattdessen viel kompliziertere Kreationen zu nutzen.

Doch nicht nur Handlung und Protagonisten fehlt es an nachvollziehbarer Ausarbeitung. Das Worldbuilding ist ebenfalls mangelhaft. So erfährt man zwar, dass es verschiedene Arten von Magie gibt, wie die Beherrschung eines der »vier Elemente« oder Gedankenkontrolle, aber wo deren Grenzen liegen oder wie die übernatürlichen Fähigkeiten gar zustande kommen, bleibt ein Mysterium und wird auch nicht hinterfragt.

Desweiteren ist lange Zeit unklar, wo die Geschichte überhaupt spielt. Dass es sich um ein fiktives Land in Europa handelt, wird im Laufe der Handlung irgendwann klar, wird aber nur durch eine Anmerkung der Autorin samt Karte bestätigt, wo »Lobra« zwischen Frankreich und Spanien liegt. Selbst, wenn die Charaktere es nicht anders kennen und schon immer in diesem Land wohnhaft sind, ist es für den unwissenden Leser dennoch unumgänglich darüber informiert zu werden. Ansonsten wird Verwirrung gestiftet und da man ohnehin schon nicht weiß, woran man mit »Lectus« eigentlich ist, wird das Buch dadurch nochmal exponentiell schlechter.

An manchen Stellen wird versucht, durch Humor noch etwas herauszureißen und Lückenfüllerkapitel etwas spannender zu gestalten, doch dieser ist bei mir zu keinem Zeitpunkt angekommen. Vielleicht ist das etwas, worüber Kinder lachen, mich spricht es jedoch gar nicht an, schreckt eher ab.

Sätze in schlechtem Französisch, die wohl dazu dienen sollen, die geografische Befindlichkeit zu unterstreichen, tun einem Buch übrigens auch nichts Gutes, sondern nehmen ihm Authentizität, anstatt diese zu geben.

Der Schreibstil schafft an dieser Stelle auch nicht mehr, noch etwas herauszureißen. Zwar lässt sich der Text flüssig lesen, es gibt wenig Wortwiederholungen und keine Stilblüten, doch die Einfachheit überwiegt. Da zudem jegliche innere Handlung gar nicht erst erwähnt und die äußere nur sporadisch beschrieben wird, fehlt einfach etwas und das Geschriebene wirkt dadurch ungelenk, was umso mehr zum Gesamtbild beiträgt.

Alles in allem habe ich hiermit wohl meine kürzeste Rezension geschrieben, obwohl ich bestimmt über einhundert Normseiten gelesen habe. Allerdings kann ich mir nur schwerlich Worte über etwas aus den Fingern saugen, das bei mir im Kopf einfach keinen Eindruck hinterlassen hat.

»Lectus« ist zum aktuellen Zeitpunkt ein Chaos aus Belanglosigkeiten, begleitet von einem Übermaß an vermeintlichen Handlungsträgern, wodurch allerdings gar keine Handlung zum Vorschein kommen, geschweige denn getragen werden kann.

Da es auch kein Alleinstellungsmerkmal gibt, sondern es sich vielmehr um eine Geschichte über magiebegabte Auserwählte auf dem Weg zum Erwachsensein handelt, wie sie schon etliche Male erzählt wurde, gibt es einfach nichts, was den Roman reizvoll macht.

Outlining vorm Schreiben und das Betrachten des Texts aus Leserperspektive sind wohl die hilfreichsten Tipps, die ich der Autorin an dieser Stelle geben kann, damit sie in der Lage ist, durch ihre Geschichte zu wachsen und nicht sogar schlechter zu werden, denn eine Abwärtstendenz ist in ihrem (vermutlichen) Erstlingswerk durchaus zu erkennen.

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