Kapitel 6

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Ich muss es wissen!
Ich muss wissen was es mit ihm auf sich hatte.
Den ganzen Weg zur Schule überlegte ich wie ich es angreifen würde, was ich zu ihm sagen würde, wie er reagieren würde und wohin ich auswandern würde, wenn da nichts ist.
Ich trat ins Klassenzimmer und setzte mich ganz still auf meinen Platz. Die Luft im Klassenzimmer roch nach Schweiß und Müll und war beängstigend eng. Ich musste immer wieder tiefe Atemzüge machen um nicht zu ersticken, doch ich wusste, dass es nichts mit dem Geruch zu tun hatte, die Vorstellung, dass Morris jeden Moment ins Klassenzimmer kommen könnte war beängstigender und erstickender als jede noch so schlechte Luft, die es auf dieser Erde gab.
Meine Klassenkameraden sagen mich an also wäre ich vom Himmel gefallen und meine Lehrerin machte einen besorgten Ausdruck.
"Geht es dir nicht gut?" Fragte sie mich mit leiser Stimme und streichelte mir sanft über die Hand, doch ich schüttelte nur den Kopf und starrte weiter die Tür an.
"Vielleicht solltest du noch ein paar Tage daheim bleiben und dich ausruhen, du siehst sehr erschöpft aus!" Fuhr meine Lehrerin fort und fing an meine Sachen in meine Büchertasche zu packen.
Sie war meine Lieblingslehrerin. Nicht nur weil die unglaublich hübsch war, sondern weil sie nett war und ersuchte sich mit den Schülern auseinanderzusetzen und aufbaue einzugehen. Alle Schüler der Schule liebten sie und wählten sie jedes Jahr aufs Neue zur hübschesten, witzigsten und nettesten Lehrerin der Schule. Die Tatsache, dass sie von allen Schülern so hochgelobt wurde, missbilligten den älteren Lehrern an der Schule natürlich über die Maße und so erfuhren wir immer wieder, dass unsere Lieblingslehrerin von anderen Lehrern dumm von der Seite angemacht wurde. Für so eine Tat gab es die Höchststrafe und ein Lehrer nach dem anderen wurde bis aufs Übelste aus der Schule gemobbt.
Ich schaute sie an und verspürte sofort eine leichte Wärme in mir und etwas Beruhigendes, ich fühlte wie meine Kraft langsam aus dem Loch in dem sie sich versteckt hatten hervorkroch und sich umsah.
"Nein es geht! Danke! Ich war jetzt schon drei Tage krank und muss sonst zu viel aufholen! Ich bekomme das schon hin!" Sagte ich mit netter Stimme und versuchte sie anzulächeln.
"Gut dann bleibst du eben hier! Aber wenn es dir schlecht geht dann hast du meine Befreiung!" Antwortete sie und ging dann zur Tür um sie zu schließen. In diesem Moment bemerkte ich, dass Morris nicht da war, es war keine Spur von ihm zu sehen und kein Anzeichen, dass er noch in die Schule kommen würde und Morris kam nie zu spät in die Schule, er war sogar fast immer der erste, der an seinem Platz saß und seine Hausaufgabe noch einmal überdachte. Wieder fiel mir ein, was ich eigentlich vor hatte und ich im Stande war meinen Plan schon wieder einmal über den Haufen zu werden. Mir wurde schlecht, ich fing an zu zittern, würgte und sofort danach übergab ich mich quer über meinen ganzen Tisch.
"Oh du lieber Gott, Scott! Bitte holt ein paar Tücher und einen Eimer mit heißem Wasser!" Rief Mrs Grimm und wuselte um mich herum.
"Du gehst jetzt besser doch nach Hause!" Sagte sie mit strengerem Ton zu mir, sodass ich nicht widersprechen wollte. Ich stand auf, nahm einen Lappen und fing an meine Kotze aufzuwischen.
"Lass das! Das mache ich! Du bewegst dich jetzt ganz schnell nach Hause!" Der mütterliche, strenge Ton beruhige einen und zwang einen genau das zu machen was sie gesagt hatte. Man wollte nicht widersprechen oder protestieren, man wollte einfach nur das machen was sie sagte.
Ich lief aus dem Schulgelände raus, aber statt nach Hause zu gehen bog ich rechts ab und lief über die Felder am Waldrand entlang. Die leicht kühle Luft wehte mir spielend um die Nase und roch nach frischem Tau und Regen. Irgendetwas sagte mir, dass ich irgendwo in den Wäldern auf Morris stoßen würde, ich wüsste nicht warum aber ohne meine Gedanken anzustrengen oder sie zu hinterfragen, führten sie mich immer weiter am Waldrand entlang und bogen irgendwann in den Wald hinein. Zum einen wollte ich alleine sein und zum anderen wollte ich Morris treffen und ihn zur Rede stellen, ich könnte mich nicht entscheiden, aber ich fühlte, dass es irgendwann dazu kommen würde. Ich wusste, dass ich ihn oder er mich fand, aber was danach geschehen würde, das konnte ich mir nicht ausmalen.
Nach langem laufen stand ich plötzlich auf einem Felsvorsprung. Stolz und majestätisch ragte er von Bäumen umgeben aus dem Wald hervor. An seiner Spitze ging es leicht fünfzig Meter steil nach unten in ein steiniges kleines Tal, es sah aus, als hätte ein Riese mit seiner Hand eine Furche in den Boden gegraben.
Wieder einmal stand ich in einem Abschnitt des Waldes den ich nicht kannte und sofort hatte ich das Gefühl, dass ich nicht alleine hier war. An meinem Rücken lief es kalt nach unten, ich schüttelte mich und drehte mich sofort um und schaute in den Wald hinein. Ein Schrei zuckte durch den Wald und ich fuhr mit aller Wucht zusammen und ich fiel auf den Boden. Ich atmete schnell und stockend, bis ich bemerkte, dass es einfach nur der Spitze Schrei eines Falken war der aus einer der Baumkronen seinen laut von sich gab.
Langsam beruhigte ich mich wieder und ich fühlte wie mein Herz langsam wieder anfing zu schlagen. Ich schaute auf den Boden und zupfte ein paar Grasbüschel aus um mich abzulenken, dann schaute ich nach oben wieder in den Wald hinein. Dies wiederholte ich gefühlte Stunden und nie bewegte oder regte sich etwas in dem Wald.
Ich spürte wie es langsam kälter wurde und sich der Himmel verdunkelte und mir wurde bewusste, dass ich nichts anderes gemacht hatte, als den Wald und den Boden anzustarren. Enttäuscht und verwirrt von meiner eigenen geistigen Dummheit, stand ich auf und schaute noch ein letztes Mal den Felsvorsprung hinunter. Langsam wirkte er bedrohlich und sein Schatten spannte sich weit in die Tiefe hinunter.
Mir war klar, dass ich diesen Ort nicht mehr wieder sehen würde, auch wenn ich mir Wege schnell merken konnte, aber diesen Weg hatte nicht ich bestimmt, dieser Platz wurde einzig und alleine von meinen Gedanken und Gefühlen gefunden. Wiederum enttäuscht, dennoch aber auch ein Stück weit befriedigt atmete ich die Luft ein und schloss meine Augen um noch einmal kurz die Stille zu genießen. Dann drehte ich mich um und mein Herz gefror zu Eis. Genau vor den Bäumen im Schatten der Zweige der großen Tannen stand die Gestalt die mir in meinen Träumen regelmäßig begegnete und schaute mich wieder einmal ohne die kleinste Bewegung und mit leicht schräg gehaltenem Kopf an.

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