01 Spielen mit der blauen Murmel

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Das Märchen von der bemannten Raumfahrt und dem Ritt zum Mars

Wie der Anblick der Erde aus dem All zur Ikone für Frieden und Gerechtigkeit wurde. Wie die bemannte Raumfahrt mit ihren Stellvertreterhelden allmählich ihre Faszination verliert. Wie die Raumfahrtbehörden die bemannte Raumfahrt widerwillig vom Rittermythos zum Freizeitspaß für jedermann umbaut, mit Schulausflügen und ferngesteuerten Robotern, Boygroups und Touristen. Und wie ein paar Hobbyisten sich jede Nacht einen sportlichen Wettkampf mit geheimen Spionagesatelliten liefern – ohne die Erde zu verlassen.

Beginnen wir mit dem Ende eines Märchens. Es war sein Grinsen, breit, kindisch und stolz wie ein Schneekönig. Mit diesem Grinsen erledigte er einen uralten Mythos. Beharrlich hatte Dennis Tito seinen Jugendtraum verfolgt: einmal ein Held sein. Einmal als Astronaut stellvertretend für die gesamte Menschheit einen kleinen Schritt machen, der als großer Sprung für die Menschheit durchgeht. Und als er diesen Traum endlich erwischte, erwischte er er ihn tödlich und mit einer vollen Breitseite: mit seinem Grinsen. Er war aufgebrochen, um ein Held zu werden, und kam wieder als Clown, der unabsichtlich das Märchen, an das er glaubte, als leerlaufende Theatermaschinerie entlarvt hatte.

Dennis Tito ist Anfang sechzig, ein schmächtiger Multimillionär aus Kalifornien. Er hat sein Vermögen als Chef einer milliardenschweren Investmentfirma verdient und jobbte in den Sechzigern bei der amerikanischen Raumfahrtbehörde Nasa, um die Flugbahnen der Mariner-Sonden zu Mars und Venus zu berechnen. Nun stahl der Privatmann seinem einstigen Arbeitgeber die Show.

Die feierliche Einweihung der Internationalen Raumstation (ISS) im Herbst 2000 war ein gigantischer Flop gewesen. Desinteressiert nahm die Weltöffentlichkeit die futuristische Astronautenherberge im Orbit zu Kenntnis, die fast halb so viel Geld verschlingen wird wie der jährliche Bundesetat von Deutschland. Tommy Holloway, der amerikanische Chef des ISS-Programms, sagte, er sei "wirklich enttäuscht" vom Zuschauerschwund: „Es ist, als würden wir die ägyptischen Pyramiden in der Erdumlaufbahn errichten und keiner schaut zu!"

Unabsichtlich bringt er damit Größenwahn und Weltfremdheit der teuren Unternehmung auf den Punkt. Die fliegenden Pyramiden waren ein Spätzünder. Sie entflammten erst dann die Fantasie der Öffentlichkeit, als Tito sie als Kulisse für seine kleine Space-Opera in Szene setzte.

Am 28. April 2001 stieg der Millionär im kasachischen Weltraumbahnhof in eine Sojus-Rakete und flog hinauf zur Internationalen Raumstation, einer Art fliegenden Barackenstadt im All, mit Sonnensegeln, Labors und Schlafräumen, so groß, dass man sie mit bloßem Auge von der Erde aus sehen kann. Der Besucher filmte ausgiebig aus dem Fenster auf den blauen Planet tief unter ihm, wie es jeder Tourist tun würde, der in einem Bus durch, sagen wir, Goslar gondelt. Er schwebte stundenlang durch die Schwerelosigkeit der Kabine und hörte Opernmusik dazu. Nach einer Woche kehrte er wieder zurück. "Rummms! Tito wieder da", begrüßte ihn die "Bild-Zeitung" mit einer fetten Schlagzeile und dem Foto, das um die Welt ging: Tito, ein schmächtiger Jedermann, der fast in seinem mächtigen Raumanzug verschwindet. Und dieses breite Grinsen wie man es vom Komiker Louis de Funès kannte. Zur Begrüßung erhielt Tito Äpfel geschenkt, ein traditioneller kasachischer Willkommensgruß. Er versuchte, sie zu jonglieren, ganz der Komiker, doch die Äpfel fielen zu Boden. "Ihr seht, ich bin noch an die Schwerelosigkiet gewöhnt", entschuldigte er sich. Und wurde dadurch noch sympathischer. Was für ein Bild. Der Astronaut als Inbegriff des ritterlichen Ideals war ersetzt worden durch einen Laienschauspieler, einen Ritter von der traurigen Gestalt, einen Don Quichotte. Das macht ihn so sympatisch. Er wollte beweisen, so Tito, dass ein "ganz normaler Mensch, der kein Superheld ist, sich an den Weltraum anpassen kann." Mit Tito hat die bemannte Raumfahrt ein neues, ein menschliches Gesicht bekommen. Die fliegenden Pyramiden sind seitdem geworden, was sie schon immer waren: die teuerste Achterbahn der Welt. Titos Traum-Urlaub hat die Wahrheit enthüllt.

Hightechmärchen - Die schönsten Mythen aus dem Morgen-Land (Reloaded)Where stories live. Discover now