00 Vorwort: Stiftung Märchentest

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Der Tod der politischen Utopien gebiert technische. Hightechmärchen versprechen, dass jeder sich vom Aschenputtel zum Hans im Glück wandeln kann mit Hilfe der richtigen Technik. Technikmärchen unterhalten die Neugierigen und trösten die Technophoben. Sie heizen den Konsum an, schaffen neue Märkte und verändern so die Welt in ihrem Sinne. Einerseits vertuschen ihre Verheißungen wichtige Probleme. Andererseits regen sie die Fantasie an und eröffnen neue Möglichkeitsräume. Sie lassen sich nicht widerlegen oder ignorieren. Sondern nur bestaunen und genießen. Oder verreißen.

Wonniges Gedränge auf dem Basar der Zukünfte. Die Cebit verwandelt die Messehallen von Hannover alljährlich in eine Mischung aus Casino und Kathedrale. Über achthunderttausend Gläubige, Neugierige und Gierige sind zur größten Computermesse der Welt gepilgert, um sich überwältigen zu lassen von tausendundeinem Wunder der Technik aus dem Morgen-Land. "Tomorrow starts today", locken Plakate. "Nicht hier. Nicht dort", drohen die Papiertüten pickliger Kids. Oder locken sie? "Spreng die Grenzen deiner Phantasie". Sie werben für die Playstation2, eine Spielkonsole, deren Prozessor so leistungsfähig ist, dass man damit Scud-Raketen steuern könnte, angeblich. "Entdecke einen unerforschten Ort. Willkommen im third place", heißt es auf den Tüten. Lecker herausgeputzte Hostessen in Fantasieuniformen verteilen Handzettel und ihr Lächeln. Technische Fachkenntnis nicht erforderlich. Willkommen im wunderbaren Morgen-Land der hemmungslos entfesselten technischen Fantasie, die sich periodisch Bahn bricht auf Messen wie der Cebit, der Internationalen Funkausstellung in Berlin oder der Comdex in Las Vegas.

Ein fernes Donnern von Filmmusik kündigt den riesigen Pavillon von Sony an, eine Mischung aus Hirtenzelt und Kühlturm. Die beliebteste Jahrmarktsattraktion ist der kleine Aibo – nicht Mensch nicht, nicht Tier, sondern der Plastikgewordene Spieltrieb selbst. Neugierig drängt sich eine Menschentraube um den putzigen Gesellen, einen silbernen Roboterhund aus Hartplastik.

„Say hello, Aibo", souffliert der Dompteur. Auf tattrigen Sensorpfoten führt das Tier ein Tänzchen auf, schwankend wie im Rinderwahn. Dann wedelt sein Schwanz, an dem eine Diode blinkt. Eine Melodie wie am Daddelautomat erklingt, und Aibo hebt eine Pfote zum Gruß. Applaus. Nach anderthalb Stunden ist der plastikgewodene Spieltrieb erschöpft und muss zurück an die Ladestation.

Aibo ist sozusagen ein trojanischer Hund. Dieser Computer auf Pfoten erhält seinen Input nicht über eine Tastatur, sondern vor allem über spezielle Streichelsensoren an Rücken, Schnauze und Kopf erfolgt. Als Output generiert er nicht Daten, sondern Emotionen, als sei er der beste Freund des Menschen. „Ist der nicht putzig", schwärmt eine dauergewellte Mutti. „Aibo, fass!", bellt ein Bengel. Hund und Herrchen, so heißt es, nähern sich im Verlauf des Zusammenlebens immer weiter an – doch wer an wen? „Aibo" bedeutet Partner auf Japanisch. Das neueste Upgrade des Plastikpartners soll das Zusammenwachsen der beiden erleichtern: Die Software „Aibo Life" erlaubt es dem Besitzer, den Anfangs ungeprägten Hund durch Streicheln und Strafen zu erziehen. „Aibo ist lebenslustig wird er gelobt und Aibo ist ruhig wird er gescholten", heißt es im eigenwilligen Sonysprech im Internet unter der Rubrik „Beibringen von Disziplin". Der Trick: Des Pudels Kern ist eine Speicherkarte, die sich die erteilten Lektionen „merkt".

„Komm spiel mit mir", lockt auf Aibos Cebit-Stand ein Schild an der Wand, „Bitte nicht berühren", warnt ein zweites direkt an der Manege. Die beiden Befehle schließen sich nicht unbedingt aus. Denn was hier zählt, ist die Fantasie. Aus plumpen Zählmaschinen sind Erzählmaschinen geworden. Jeder Technikmythos hat seinen Preis, das gilt im Großen wie im Kleinen. An den Börsen, wo Aktien oft zu Fantasiepreisen gehandelt werden, geht es um Milliarden. Aibo dagegen sozusagen nur ein kleiner Fisch und geht für nur tausenfünfhundert Euro über den Ladentisch. Die Lernsoftware wird übrigens extra berechnet. Dennoch rissen sich die Kunden um das garantiert stubenreine Haustier, als es zum Jahrtausendwechsel auf den Markt kam, in wenigen Monaten hatten 45.000 Aibos ein neues Zuhause. Und eine Heimstatt in der kollektiven Fantasie derer, die leer ausgingen.

Hightechmärchen - Die schönsten Mythen aus dem Morgen-Land (Reloaded)Where stories live. Discover now