Unglück im Glück

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Zeitsprung

Juliette und ich sassen auf meinem Bett im Mädchenschlafsaal in der Beauxbatons-Akademie. «Ich glaub's nicht. Wir müssen nie wieder hier zurück. Hach, bin ich froh», meinte ich zu meiner Schwester. Wir hatten schon am Vorabend gepackt und warteten nur noch darauf, bis unsere Vertrauenslehrerin uns holte, um uns zum Apparierfeld zu bringen (das natürlich sehr weit von der Schule entfernt ist). «Wirst du es hier denn gar nicht vermissen?», fragte meine Schwester. «Hmm...lass mich überlegen. Nö. Du etwa?» «Naja, wir hatten hier Freunde, mussten uns nicht um die Zukunft und das Geld Sorgen machen.» «Aber jetzt müssen wir nie wieder diese hässliche Schuluniform tragen, uns nicht mehr fragen, ob wir nun die richtige Gabel für den Salat in der Hand halten, dürfen verrückte Sachen machen und, vor allem, können wir endlich nach England.» «Joelle, du weisst, dass das im Moment nicht geht. Nicht nachdem du-weisst-schon-wer wieder da ist. Ich habe es dir letztes Jahr ja gesagt, dass er zurückkommen wird. Und zwar bald. Und das ist leider passiert.» «Ja allerdings. Schande über dich und deine hellseherische Gabe», witzelte ich, doch dann sah ich unsere Vertrauenslehrerin mit bedrücktem Gesicht auf uns zumarschieren und meine Stimmung sank unter den Kellerboden. Auch Juliette hat sie gesehen, sprang auf und fragte ängstlich: «Was ist passiert?» Die Vertrauenslehrerin sah nur von Juliette zu mir und wieder zurück und deutete uns, ihr zu folgen. Sie führte uns in einen grossen Raum, in dessen Mitte ein sehr grosser Bürotisch stand, der über und über von Intarsienschnitzereien bedeckt war. Dahinter stand ein wirklich grosser Sessel, in dem Madame Maxime sass. «Oh, meine armen, armen Täubchen», sagte sie auf Französisch und für mich war es eine Herausforderung, sie zu verstehen, da ich mich eben noch mit meiner Schwester auf Englisch unterhalten habe. Doch schon beim nächsten Satz verstand ich sie wieder perfekt. «Ich habe eine sehr schlimme und traurige Nachricht für euch, meine Mädchen. Gerade eben hat uns ein Mitarbeiter des Zaubereiministeriums mitgeteilt, dass es einen Anschlag auf euer Haus gab. Eure Eltern waren bedauerlicherweise zuhause und wurden, nun ja, sie wurden von den Todessern ermordet.» Madame Maxime sah uns traurig und mütterlich an. Meine Schwester heulte auf und klammerte sich an mich. Auch ich musste anfangen zu weinen. Wir waren Weisen. Von heute auf morgen... puff...waren wir allein. Was sollten wir denn jetzt machen? Durch den Tränenschleier und Juliettes haselnussbrauen Haare sah ich, wie Madame Maxime aufstand, auf uns zutrat und uns kurz drückte. Sie musste sich, aufgrund ihrer Grösse, ziemlich weit nach unten beugen. «Es tut mir wirklich sehr leid», beteuerte sie immer wieder, während meine Schwester und ich uns gegenseitig Halt gaben. Ein leises Räuspern seitens unserer Vertrauenslehrerin trennte Juliette und mich, trotzdem hielten wir uns an der Hand. «Wie geht es jetzt weiter?», erkundete ich mich mit tränenerstickter Stimme. «Ihre Eltern haben Ihnen einen Batzen Geld hinterlassen. Da Sie die einzigen Kinder von Mme und M. Lupin sind, sind Sie deshalb die alleinigen Erben. Aber das ist nicht das Einzige, das Ihre Eltern Ihnen vermacht haben. Diesen Brief fand man in der Umhangstasche Ihrer Mutter. Er war mehr als verständlich an Sie beide adressiert», erklärte Madame Maxime und unsere Vertrauenslehrerin reichte uns einen dicken Umschlag. «Was steht drin?», fragte meine Schwester leise. «Es steht uns selbstverständlich nicht zu, diesen Brief zu lesen. Doch ich nehme an, darin steht, wie es nun weitergehen soll. Gehen sie ruhig zurück in Ihren Schlafsaal. Ich versichere Ihnen, dass sie diesen leer vorfinden werden und so nicht gestört werden, während sie diesen Brief lesen und alles verarbeiten.» Damit beendete Madame Maxime vorzeitig unser Gespräch und die Vertrauenslehrerin geleitete uns wieder in den Schlafsaal zurück. Sie schloss die Tür mit den Worten: «Lassen Sie sich ruhig Zeit.» Mit einem leisen Schlag schloss sich die Flügeltür. Meine Zwillingsschwester und ich sahen uns an und fielen uns wieder in die Arme. «Sie sind weg. Für immer. Joelle, sie sind einfach weg», schluchzte mein Zwilling. «Ja, sie sind weg.» Auch meine Stimme zitterte. Genau wie meine Hände. Nach einer Weile setzten wir uns wieder auf mein Bett und starrten den Brief an. «Sollen wir ihn wirklich aufmachen?» Unsicherheit schwang in meiner Stimme mit. Sachte nahm Juliette mir den Brief aus der Hand und öffnete ihn. Vorsichtig faltete sie ihn auf und begann laut zu lesen:

«Liebe Joelle, liebe Juliette

Es tut uns leid, wenn ihr diesen Brief öffnen und lesen müsst. Mamman und Papa haben euch ganz doll lieb, bitte vergesst das nicht. Egal was passiert, das dürft ihr nie vergessen. Wenn ihr dies lest, werden sie uns gefunden und getötet haben, aber wir werden immer da sein. Wenn auch nicht mehr in Fleisch und Blut, sondern in euren Erinnerungen und Herzen. Seid nicht allzu traurig, weil wir uns nicht mehr verabschieden konnten, doch das haben wir auf eine andere Art und Weise. Lebt weiter. Gebt euch keine Schuld, denn alles was wir taten, taten wir freiwillig. Bestimmt fragt ihr euch jetzt, was wir taten. Früher, in der ersten Machtperiode von Lord Voldemort waren wir Mitglieder einer geheimen Organisation, die mit Albus Dumbledore als Oberhaupt gegen die Todesser kämpften. Doch wir hatten Angst um euch. Wir wussten von Zauberer und Hexen, die gegen Lord Voldemort kämpften und deren Familien ausgelöscht wurden. Das wollten wir euch nicht antun. Es mag zwar feige klingen, doch damals erschien es uns als die beste Möglichkeit. Nach dem angeblichen Fall von Lord Voldemort glaubten wir nicht, dass er für immer verschwunden war, was sich als richtig erwies. Die Todesser mögen uns zwar in Frankreich gefunden haben, dennoch dürft ihr nicht nach England zurückkehren. Dort ist es noch viel gefährlicher als in Frankreich. Bitte geht nach Italien. Wir haben bereits vorgesorgt und für solche Fälle ein kleines Haus in einem süditalienischen Mugglestädtchen erworben. Im Umschlag findet ihr noch Geld, mit dem ihr es zwei Monate schaffen solltet, zu leben. Sucht euch eine Arbeit und fallt nicht auf. Wenn der Krieg vorbei ist, dann macht euch auf den Weg zu Papas Cousin Remus Lupin. Er wird euch weiterhelfen.

Viel Erfolg und möge das Glück mit euch sein.

Wir werden euch immer lieben,

Mamman und Papa

P.S.: Passt auf euch auf. Und bitte, sollte euch jemals ein Todesser über den Weg laufen, bringt ihn nicht um, sondern löscht ihm das Gedächtnis. Wir wollen nicht, dass ihr zu Mördern werdet.»

Einen Moment herrschte Totenstille zwischen uns. Juliette liess den Brief sinken und ich sagte: «Sie haben es gewusst. Sie haben es das ganze Jahr gewusst, dass sie uns nie wiedersehen werden und doch haben sie uns nicht besucht. Wollten, dass wir in den Ferien in Beauxbatons blieben. Wie konnten sie?» «Joelle, sie haben uns so das Leben gerettet. Überleg mal, sie wurden ermordet, als sie zuhause waren. Die Todesser mussten sie also observiert haben. Wären sie uns dann besuchen kommen oder wir sie, hätten die Todesser gewusst, dass sie Kinder haben und hätten uns auch umgebracht.» «Wieso hast du es denn nicht gesehen? Man hätte sie retten können. Man hätte...». Ich brach in Tränen aus. Ich war wütend auf meine Schwester. Sie hätte das doch sehen müssen. Sie sah die Wiederauferstehung eines psychisch gestörten Serienmörders, aber den Tod unserer Eltern nicht? Das war so ungerecht. «Wir sollen uns keine Schuld geben. Du hast es doch gehört. Was würde Mum sagen, wenn sie uns so streiten sähe.» Damit lenkte Juliette meine Gedanken wieder zu unseren Eltern. 

Die Leere in unseren HerzenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt