Kap. 10: Gerüchte und Katastrophen

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Ich hatte Pause und wollte mir in der Cafeteria etwas zu Essen holen, da wurde ich am Arm festgehalten. >>Na, hab gehört das du es jetzt mit jedem treibst.<< Vor mir stand niemand geringeres als Owen James. Absoluter Widerling und Wichtigtuer. Er denkt, nur weil Daddy die halbe Stadt gehört, kann er sich alles leisten und er wäre der Größte. Owen grinste mich dreckig an, was mir mal so gar nicht gefiel. >>Wie kommst du darauf?<< Fragte ich betont freundlich. Er sah zu seinen Freunden, die sich hinter ihm positioniert hatten und lachte. >>Du bist doch am Samstag von der Party mit diesem Typen abgehauen. Wie heißt er noch gleich...<< Er schien zu überlegen, doch ich wusste, das alles war nur Show. >>Der Kerl der dich immer als seine Schwester bezeichnet. Ach ja... Carter Johnson. So geschwisterlich kann euer Verhältnis ja nicht sein, wenn er mit dir f*ckt.<< Sein dreckiges Lachen hätte ich ihm am liebsten aus dem Gesicht geschlagen. >>Man sollte Gerüchten nicht al zu viel Beachtung schenken. Carter und ich haben nicht miteinander geschlafen, aber ich wüsste auch nicht, was dich das angeht. Wenn du mich jetzt entschuldigen würdest.<< Ich wollte mich an ihm vorbei schieben, doch er ließ mich nicht. Er zog mich an sich und seine Grinsen wurde noch eine Spur widerlicher. >>Ach komm schon, Mia. Wir könnten ein bisschen Spaß zusammen haben. Ich weiß das du nicht so prüde bist, wie du allen weiß machen willst.<< Empört schnappte ich nach Luft. Der war doch nicht mehr ganz Dicht in der Birne. >>Lass mich auf der Stelle los.<< Sein Griff um meinen Arm wurde fester. >>Sonst was?<< Und da trat ich ihm mit viel kraft in die Weichteile. Ruckartig ließ er mich los. >>Du Schlampe.<< Als ich weglaufen wollte, hielt mich einer seiner Freunde fest. Unauffällig fischte ich mir mein Handy aus der Tasche und drückte auf die eins. Zumindest hoffte ich, die richtige Taste erwischt zu haben, da ich mich nicht traute auf das Handy zu gucken. Ich spürte aber, das ich wählte. Meinen Bruder hatte ich unter dieser Kurzwahl eingespeichert. Auf der zwei war ansonsten Sahra, auf der drei meine Eltern und auf der vier Carter. Eine dieser Ziffern musste ich doch wohl getroffen haben. Mein Handy vibrierte nicht mehr und ich hoffte, dass Jemand abgehoben hatte. Schnell hob ich es an mein Ohr und rief hinein, dass ich Hilfe brauchte. Weiter kam ich nicht, denn Owen schlug es mir aus der Hand. >>Das wirst du noch bereuen.<< Owen und sein Freund schleiften mich jetzt gemeinsam hinten aus dem Schulgebäude zu den Parkplätzen. Leider begegneten wir keiner Menschenseele. Das kann doch wohl nicht wahr sein. Auf diese Schule gingen an die tausend Schüler! Vergeblich versuchte ich, mich zu wehren. Meinen Mund hatten sie mir direkt zu gehalten. Draußen angekommen, schubsten sie mich an einen Baum. >>Was habt ihr jetzt vor?<< Fragte ich durch zusammengebissene Zähne. >>Wir werden ein paar Fotos von dir machen und diese an alle Schüler schicken. Dafür solltest du aber ein paar deiner Sachen ausziehen.<< Spinnen die jetzt völlig?! Ich hoffe, irgendwer hat meinen Anruf mitbekommen, denn alleine konnte ich mich wohl kaum gegen vier Jungen durchsetzen. Da ich mich weigerte, kamen sie jetzt auf mich zu. Owen war sich seiner Sache ziemlich sicher, aber die anderen zögerten noch. Vielleicht konnte ich auf sie einreden und so etwas bewirken. Das versuchte ich auch, doch Owen schlug mir ins Gesicht, dass ich das gleich wieder sein ließ. Männer die eine Frau schlugen waren das aller Letzte. Ich würde ihn damit nicht durchkommen lassen. Ich werte mich heftig, als sie versuchten mir meine Jacke auszuziehen. Kurzerhand zerriss einer der Jungen einfach meine Bluse. Ich konnte einfach nichts gegen sie ausrichten und so verlor ich jegliche Hoffnung. Sollte ich es einfach über mich ergehen lassen? Sollten sie doch diese Sche*ß Fotos machen. Nach einer Weile vergaßen die Menschen solche Dinge so wieso wieder. Gerade als ich also aufgab, kam ein Auto mit quietschenden Reifen zum stehen. Ich hätte heulen können vor Glück, erlaubte mir dies in der jetzigen Situation allerdings nicht. >>Carter<< Rief ich laut, damit er mich schneller finden konnte. Ich lehnte immer noch an dem Baum und wusste nicht, ob er mich gleich gesehen hatte. Schnell kam er angelaufen und riss Owen von mir weg. >>Fass sie nicht an.<< Da sah ich Sahra aus der Schule kommen. Erschrocken blieb sie stehen. Mein Handy in ihrer Hand. Vermutlich hatte Carter sie angerufen, als ich nicht mehr am Handy zu hören war und sie hatte sich mit Sicherheit auf den Weg gemacht um mich zu suchen. Die Jungen liefen weg, als ihnen klar wurde, dass Carter vor Handgreiflichkeiten nicht zurück schreckte. Ich stand einfach da und zitterte am ganzen Körper. >>Ich werde dich anzeigen, Owen.<< Da drehte er sich doch allen ernstes lachend zu mir um. >>Dann wird er aber auch mit dran sein. Er hat mich geschlagen.<< Er zeigte auf Carter und erschrocken holte ich Luft. >>Er hat mich verteidigt.<< Entgegnete ich aufgebracht. >>Wer wird dir das glauben? Ich werde die besseren Anwälte haben, verlass dich darauf.<< Dann verschwand er einfach. Würde Carter tatsächlich fälschlich beschuldigt werden und sein Eingreifen nicht als Hilfeleistung durchkommen, konnte er Eishockey vergessen. Im schlimmsten Fall schmissen sie ihn aus dem Team. Sahra stand immer noch schockiert da und Carter kam langsam auf mich zu. Vor Wut die Stirn gekraust und die Hände zu Fäusten geballt. >>Mia.<< Ganz vorsichtig sprach er mich an, als hätte er Angst mich zu erschrecken. Ich zitterte immer noch, stand vermutlich unter Schock. Mir war gerade alles zu viel. Carter zog mich behutsam in seine Arme. >>Mia, es ist alles in Ordnung.<< Erst dann erlaubte ich mir, zu weinen. Sahra musste hinter mir stehen, denn Carter sprach leise mit ihr. Ich wusste nicht genau was sie besprachen, denn ich konnte mich einfach nicht auf die Worte konzentrieren. Es war als zogen sie einfach an mir vorbei. >>Mia.<< Carter schob mich ein Stück von sich weg, um mich anzusehen. >>Magst du mir erzählen, was passiert ist?<< Ich konnte einfach nicht reden. Stumm flossen mir immer mehr Tränen über die Wange. Kurzerhand verfrachtete mich Carter zum Auto und öffnete die Beifahrertür. Als er mich dort hineinheben wollte, hielt ich ihn umklammert. >>Lass mich nicht los.<< Beruhigend strich er mir über den Rücken und flüsterte irgendetwas, dass nicht bei mir ankam. Dann öffnete er die hinteren Türen seines Pickups und setzte sich gemeinsam mit mir auf dem Schoß hinein. Er zog sich seine Lederjacke aus und legte sie mir um den Oberkörper. Das meine Bluse immer noch zerrissen war, registrierte ich nur am Rande. Es war mir gerade vollkommen egal. Mich störte eher, dass ich nicht mehr richtig reagierte. Zu schlimm war das jetzt auch nicht gewesen. Es gab Menschen die erfuhren viel schlimmeres und es war eigentlich gar nichts passiert. Ich wusste, ich stand unter Schock, konnte aber nichts dagegen tun. Mein Atem ging schnell, ich zitterte am ganzen Körper und wollte einfach weg. Einfach rennen und erst stehen bleiben, wenn ich nicht mehr konnte. Ich stand kurz vor einer Panikattacke. Carter fischte sein Handy aus der Hosentasche. Ich wusste, er sprach mit meinem Bruder, aber es war mir einfach egal. Ich saß da und tat nichts. In meinem Kopf herrschte Chaos. >>Mia, dein Bruder kommt gleich... Was kann ich tun, damit es dir besser geht? Bitte rede mit mir.<< Seine Stimme klang anders als sonst, dass sie mich aus meiner Trance riss. Beinahe ängstlich hatte er geklungen und als ich ihn jetzt ansah, sah ich Sorge in seinem Blick und Verzweiflung. >>Bleib einfach bei mir.<< Er nickte und ich ließ meinen Kopf aus seine Schulter sinken. Ich wollte vergessen und seine Nähe spendete mir auf gewisse Weise Trost. Wie viel Zeit vergangen war, konnte ich nicht sagen. Jedenfalls nahm ich erst wieder etwas bewusst wahr, als mein Bruder die Autotür aufriss und mich aus Carters Armen. >>Mia. Mein Gott. Was ist mit dir geschehen.<< Er war so aufgebracht, dass er sogar deutsch mit mir sprach. Es ist zwar unsere Muttersprache, aber wir wendeten es kaum an. Zumindest nicht wenn wir beide miteinander sprachen. Im Gespräch mit unserem Vater schon öfter. Carter sprach auf Mark ein und dieser schien wohl irgendwann einzusehen, dass ich nicht reagieren würde. Irgendwer von den beiden schnallte mich an. Als Carter neben mir aussteigen wollte, hielt ich ihn panisch an der Hand fest. >>Nein!<< Also blieb er sitzen und überließ sein geliebtes Auto meinem Bruder. Sein eigenes musste er dann halt hier stehen lassen. Das nächste Mal, als mich Carter ansprach, standen wir vor der örtlichen Polizeiwache. >>Mia, du musst da drinnen berichten, was geschehen ist.<< Schockiert vergaß ich Kurzerhand zu Atmen und schnappte dann nach Luft. >>Wenn er dich anzeigt, kannst du aus dem Team geworfen werden.<< Carter schien das alles recht locker zu nehmen. >>Mir passiert nichts. Ich habe nichts falsches getan und es ist wichtig, dass das Ar***loch bestraft wird.<< Mark öffnete neben mir die Türe und gemeinsam brachten mich die Jungen in das Gebäude. In dieser Stadt kannte jeder jeden und so wurden wir sogleich begrüßt. Erst freundlich und dann trafen mich besorgte Blicke. Carters Onkel arbeitet in der Wache und kam auf uns zu. Leise sprachen die Jungs mit ihm, während ich einfach weiter vor mich hin starrte. Man führte mich in einen Raum, doch als Carter und Mark nicht mit mir kamen reagierte ich endlich. Ich schrie und tobte, man konnte mich nicht beruhigen. Mark kam angelaufen und redete auf mich ein, bis ich mich auf einen Stuhl setzte und Ruhe gab. >>Mia, ich rufe jetzt Mama und Papa an. Carter bleibt solange bei dir und du redest mit der Frau. Das ist keine Empfehlung, sondern ein Befehl. Ich drehe sonst gleich auch durch und das möchtest du doch nicht?!<< So hatte mein Bruder noch nie mit mir geredet und es kam bei mir an. Mia, reiß dich mal zusammen. Mein Verhalten geht mir ja selbst auf die Nerven. >>Ja, das werde ich. Danke Mark.<< Er nickte und verschwand. Dann drehte ich mich zu der Frau um, die sich mir als Grace vorstellte. Sie war wohl Psychologin bei der Polizei und schien ziemlich nett zu sein. Wie versprochen erzählte ich ihr, was vorgefallen war. Weder sie noch Carter unterbrachen mich, obwohl ich Carters steigende Aggression spürte. Als ich endete, erklärte sie mir, welche rechtlichen Schritte ich einleiten konnte. Bei diesem Gespräch kam ein Polizist hinzu, der ebenfalls sehr nett war. >>Mia, wir müssen Fotos von dir machen. Sie können später als Beweise dienen und nützlich sein.<< Sprach er mich an. Sie empfehlen mir zudem, mir die Verletzungen von einem Arzt dokumentieren zu lassen. Ich hatte ein paar Schürfwunden und von dem Schlag ins Gesicht war meine Wange bereits angeschwollen. Im Moment hatte ich es ja mit Verletzungen, dachte ich zynisch. Normalerweise verschuldete ich sie selbst, weil ich gelegentlich ziemlich tollpatschig war, aber hierfür konnte ich nun wirklich nichts. Also stand ich auf, gab Carter seine Lederjacke und ließ Fotos von der zerrissenen Bluse und meinem Gesicht machen. Der Polizist versicherte mir, dass ich keine Angst haben brauchte und Carter keine Strafe drohte. >>Auch ein Owen James kann sich nicht alles erlauben.<< War sein letzter Kommentar, bevor mein Vater in das Zimmer stürmte. Meine Mutter war einfach fürchterlich aufgewühlt, dass ich meine liebe Not hatte, sie zu beruhigen. >>Ihr könnt jetzt gehen. Wahrscheinlich wird man sich in dem Fall einvernehmlich festlegen. Ich denke nicht, dass die Familie James das ganze vor Gericht bringen möchte. Vermutlich wirst du Schmerzensgeld erhalten und Owen eine Zeit lang Sozialstunden leisten. Das sind die üblichen Strafen in so einem Fall. Zum Glück kam Carter dir noch zur Hilfe und verhinderte schlimmeres. Wir sehen, was wir für dich machen können.<< Versprach der Polizist. Ich war einfach nur froh, endlich nach Hause zu dürfen. Die Psychologin wollte mich für den Rest der Woche freistellen, doch ich würde mich nicht zu Hause verstecken. Nur noch zwei Tage Schule, dann war auch schon wieder Wochenende.

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