Teil 15 (Sklavin)

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Ich wippe vorsichtig vor und zurück. Meine Augen gehen auf und wieder zu. Alles hat diesen beängstigenden gleichmäßigen Takt. Ich möchte aufstehen, doch es geht nicht. Mir gegenüber sitzt Marie. Ihre Augen sind noch ganz rot vom langen weinen. Ich konnte sie nicht trösten. Schließlich war es meine Schuld, dass alles so gekommen ist. Ich bin so müde, doch ich kann jetzt nicht schlafen. Vier Stunden, seid vier Stunden sind sie jetzt schon weg. Dabei haben sie gesagt, sie würden so schnell wie möglich wieder zurück sein.

"Sie werden sich nicht dran halten ..."

Ich hebe meinen Kopf ein kleines Stück. Er ist so schwer. Woran werden sie sich nicht halten. Ist doch alles meine Schuld? Ich kann doch nichts dafür! Ich will das alles nicht, oder doch? Ich kann nicht verlangen, dass jemand jetzt versteht, warum ich meinen Mund nicht aufmache. Ich wollte doch nie eine Sklavin sein. Ich wehre mich doch dagegen! Wieso sage ich dann jetzt nichts? Wieso sträubt sich nicht das kleinste Bisschen in mir? Ich habe versagt.f

"Sie sind weg!!!"

Marie's Geschrei geht mir auf die Nerven. Sie trommelt mit ihren Fäusten gegen die Wand und schreit immer wieder den selben Satz. Es hört sich an als würde sie gleich ersticken. Sie ist meine Freundin, oder? Warum tue ich dann nichts? Ich wippe immernoch vorsichtig vor und zurück. Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie der Sekundenzeiger gleichmäßig tickt. Tack, Tack, Tack. Es hat etwas beruhigendes, dieses Geräusch.

"Schweig doch endlich!"

Ich war nicht gemeint, ganz sicher nicht. Das einzigste Geräusch in diesem Raum ist das von der Uhr. So sehr sie mich beruhigt, so sehr beunruhigt sie mich. Mit jeder Sekunde sind die beiden anderen eine Sekunde länger weg. Warum machen wir uns solche Sorgen? Sie wollten erst heute Nacht wiederkommen. Dabei haben wir erst kurz nach elf.

"Sie werden es nicht wagen ..."

Meine Stimme bricht ab, doch scheinbar hat mich Marie auch so verstanden. Sie lässt sich neben mich fallen und zieht auch die Beine an. Gleichmäßig schwingen wir vor und zurück. Ja, sie werden es nicht wagen. Sie dürfen es nicht wagen. Niemals darf so etwas wieder passieren. Verstehen sie den überhaupt nichts? Ich habe Angst. Meine Hände verkrampfen sich. Eine Gänsehaut zieht sich über meine Arme. Neben mir fängt Marie an zu zittern. Plötzlich springt sie auf und wirft die Uhr an die gegenüberliegende Wand. Jetzt ist es still. Ich höre nur noch Marie's hektischen Atem. Sie lässt sich neben mich fallen.

"Ich habe Angst."

Kaum hat sie es ausgesprochen, wird das Geühl überwältigend. Die Wände scheinen zu atmen. Die Stille frisst uns auf, doch ich kann mich nicht bewegen. Ich möchte schreien, doch nur ein kleines Lächeln umspielt meine Lippen. Es ist grußelig, aber es ist wahr. Ich kann mich nicht mehr wehren, beginne zu Tanzen. Ich dehne und drehe mich ganz von selbst. Meine Augen füllen sich nicht mit Tränen, da ist nichts. Nur dieser tiefe Selbsthass. Ganz tief verankert in mir drinnen.

"Was tust du da?"

Ich kann ihr nicht antworten. Was isch tue? Ich tanze für meinen Herren. Ich werde solange tanzen, bis er zu mir zurückkommt oder ich einen neuen finde. Das ist mein Schicksal. Ich weiß nicht, wie lange ich mich noch dagegen wehren kann. Vielleicht sollte ich einfach damit aufhören zu kämpfen und mich meinem Schicksal fügen, doch noch ist dieses kleine Bisschen Überlebenswille in mir. Ich werde es nicht einfach gehen lassen.

"Bitte, hör auf. Das macht das ganze nur noch grußeliger."

Ich zwinge mich gewaltsam stehen zu bleiben. Mich zusammen zu rollen und vor und zurück zu wippen. Wovor haben wir den bitte Angst? Es gibt nichts. Hier ist nichts. Meine Hände sind immernoch verkrampft. Ich passe meinen Atem dem von Marie an. Ein, Aus, Ein Aus ... Wir müssen ruhig bleiben. Wir müssen vertrauen.

"Hörst du das?"

Ein Auto nähert sich. Der Kies knirscht unter den Reifen. Mein Atem stockt. Marie greift nach meiner Hand. Wir schleichen uns in die Küche. Die digitale Uhr am Backofen zeigt 12:00 Uhr. Mitternacht. Von weiter weg hören wir das Läuten einer Kirchenglocke. Einsam schallt der Ton durch die stille Gegend. Elf, Zwölf. Geisterstunde.

"Ich habe Angst."

Etwas macht sich an der Tür zu schaffen. Marie springt mir in die Arme. Meine Arme geben nach. Geräuschlos sinken wir zu Boden. Mit dem letzten bisschen Energie kriechen wir unter den Esszimmertisch. Die Haustür schwingt auf und schwarze Schuhe erscheinen in unserem Blickfeld. Jemand hebt die Tischdecke. Schreiend klammern wir uns aneinander.

Wie ich rauskam...Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt