1. Todesrosen

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Kälte umfing sie, als sie in der Dunkelheit auf dem noch feuchten Boden des regnerischen Spätsommerabends kniete. Die Rose, welche in ihrer Hand lag war einmal schneeweiß, doch jetzt zierten einzelne, dreckige Schlieren die zarte Blüte. Mit einem undefinierbaren Blick, einer Mischung aus Trauer, Verwirrung und Wahnsinn, betrachtete die junge Autorin die dreckige Rose.

Sie kannte das Bild der weißen Rose. Sie war sieben Jahre alt, als sie zum ersten Mal eine in der Hand hielt. Eine Rose des Lebens, weiß und unschuldig - wie sie selbst. Damals war noch alles gut bei Susan Clark, das war vor allem. Sie war glücklich. Sie hatte eine fröhliche Kindheit.

Dann, an ihrem achten Geburtstag bekam sie von ihrem Vater einen Füller geschenkt, einen Füller und eine weiße Rose. Der Anfang vom Ende, die Autorin lachte verbittert auf und drehte die Blüte in ihren Händen.

Weiß, die Farbe deiner Seele, sagte der Mörder in ihrem Kopf. Oder besser, so wie sie einmal war. Siehst du die dreckigen Sprenkel? Siehst du sie, meine Liebe?

Susan Clark zuckte merklich zusammen, schaute sich hektisch um, doch sie war alleine. Der Mann war nur in ihrem Kopf. Dann nickte sie verängstigt. Sie würde sich nie daran gewöhnen können.

Sehr gut. Dann weißt du auch, dass deine Seele schon lange nicht mehr rein ist. Du hast das Mädchen umgebracht. Du hast sie getötet. Du wirst zusammen mit mir in der Hölle schmoren. Ich höre schon, wie das Feuer geschürt wird, höre das Fleisch brutzeln, die Flammen züngeln. Nicht mehr lange, dann wirst du diesen Abgrund betreten, werden wir ihn betreten. Und glaube mir, ich bin bereit. Aber bist du es?

Der Schock in den Augen der Autorin wurde immer größer. Ihre Pupillen weiteten sich, ihre Züge waren wie versteinert. Ihre Hand krampfte sich um den Stängel der Rose, den Schmerz der Dornen in ihrer Haut ignorierend.

Möchtest du, möchtest du nicht?, ließ sich eine helle Mädchenstimme im Unterbewusstsein hören. Lasse sie fallen, wirf sie weg, wie du es mit mir auch getan hast. Sie ist nur Dreck. Das Mädchen in ihrem Kopf war tot, Susan Clark hatte sie von einer Brücke springen lassen. Dies war nun fünf Jahre her und Susan war damals sechszehn. Damals war es dann endgültig. Damals hatten sich die Tore der Hölle für sie geöffnet. Der Füller war ein Werkzeug des Teufels, ich hätte niemals, auch nur ein Wort mit ihm schreiben sollen. Trauer machte sich in der jungen Frau breit.

Hörst du mich nicht, Clark? Das Mädchen in ihrem Kopf spuckte ihr den Namen nur so vor die Füße. Purer Abschaum und Ekel lagen in ihrer Stimme.

Die Autorin lachte einmal verbittert auf, ehe sie sich erhob und mit der Rose in der Hand weiterging. So ist gut, immer weiter, immer fort aus dem Wald, rein in die Stadt, raus aus dem Park. Gehe dorthin, wo sie starb, wo du meine Schwester hast springen lassen, plagte nun auch die Jungenstimme das Unterbewusstsein der jungen Frau. Sie konnte nicht schwimmen, sie ist ertrunken, die Alster hat sie verschluckt. Wir haben doch nur gespielt. Wieso musste es auch kalt sein, wieso war niemand dort, der meiner Schwester helfen konnte?

Hektisch blickte sich Susan Clark um. Ihre Gedanken schweiften wieder zu dem kleinen, unschuldigen Mädchen, dass sie einmal gewesen war. Gerade acht Jahre alt - dazu bestimmt Großes zu erschaffen. Aber sie war schwach. Dieser Füller nahm ihr ihre Unschuld, beschmutzte ihre Seele, so wie die Rose, die sie damals bekam. Denn die Blüte verwelkte, trocknete und zerfiel langsam zu Staub.

Susan Clark erschuf Großes, doch dann fing auch sie an langsam zu sterben.

Sie stolperte mehr als dass sie ging. Zitternd zog sie ihren dünnen Mantel weiter um ihren Körper. Sobald die Sonne verschwand wurde es kalt in den Straßen Hamburgs. Gassen und Straßen zogen an ihr vorbei, jedoch würdigte die Autorin ihrer Umgebung keines Blickes, zu oft war sie diesen Weg schon gegangen. Jeden Abend denselben Weg, jeden Abend eine neue Rose. Jedes Mal weiß. Sie versuchte ihre Seele zu retten, versuchte sich von der Schuld zu befreien, die sie auf sich lud, als sie das Mädchen hatte springen lassen. Das erste Mal war so schwer. Es hat sie Überwindung gekostet, lebe wohl zu ihrem kleinen Charakter zu sagen. Die weiteren Morde waren einfach - beinahe wie fliegen.

Seelenblut *on hold*Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt