9. Engelszunge

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»Und wie heißt du wirklich? Entschuldige die Frage, aber ich bin nun mal neugierig«, hakte das Wunderkind nach und vergaß vollkommen, die Autorin zu siezen. Die Angesprochene zuckte erschrocken zusammen, Angst und Schrecken lag in ihren Augen. Ihre Haut war noch blasser als sonst und wirkte in dem fahlen Licht der Straßenlaternen beinahe grau.

Dann ging eine Veränderung durch die Autorin. Die Verspannung löste sich, die eingezogen Schultern hingen wieder locker herunter, der Schrecken verschwand aus ihrem Blick. »Weiß ich nicht mehr«, gab sie achselzuckend zurück. Sie hinterfragte nicht einmal die Ursache ihrer Antwort.

»Und als was arbeitest du? Wofür das Pseudonym? Ich darf dich doch duzen, oder?«

»Ich bin Pastor, mein Kind, nein ... Geschäftsmann. Falsch, ich arbeite auf dem Fischmarkt ...«, verhaspelte sich Susan Clark, als die Stimmen wieder unerträglich laut wurden. Hey, Clark, es kann doch nicht so schwer sein, auch nur ein einziges Mal eine richtige Konversation zu führen. Weißt du, meine Liebe, das hat etwas mit Rhetorik und Linguistik zu tun. Dinge, die dir eigentlich bekannt sein dürften, ach, was rede ich da, die dir bekannt sind. Lass mich mal reden, ich kann das. Oder hat dich da etwa jemand aus dem Konzept gebracht? Heath Johnson lächelte selbstgefällig, dann hörte die Autorin sich sagen: »Ich bin ein Mörder, Süße, ein gefallener Engel. Verraten habe ich sie, sie alle. Und in der Hölle schmoren werde ich für all diejenigen, dessen Leben ich nahm.«

Heath, jetzt treibst du es aber zu weit, erwiderte die mollige Hausfrau und rieb sich die Hände furchtlos an der Schürze ab. Sie sah den Mörder eher als Sohn, als dass sie dachte, er sei ein Verräter. Du verschreckst das Schätzchen ja vollkommen. »Es tut mir leid, Mademoiselle Rion. Ich weiß selbst nicht was mit mir geschehen ist, vielleicht ist der Teufel mit mir durchgegangen. Eigentlich bin ich nichts weiter als eine verwitwete Hausfrau mit zwei erwachsenden Kindern.«

Du hast es also wirklich mit dem Teufel höchstpersönlich getrieben, Clark. Respekt, Respekt. Ich bin beinahe dazu angehalten den Hut vor dir zu ziehen – beinahe. Heath Johnson hielt sich lachend den Bauch.

»Du kannst niemals zwei erwachsene Kinder haben. Nein, jetzt mal ehrlich, was bist du wirklich von Beruf?«, fragte Amélie Rion nun schon lachend, das leichte Zittern ihrer Stimme versteckend. Sie konnte es sich nicht erklären, aber auch wenn sie Angst hatte vor dieser Frau, sie mochte sie.

Hey, mein Engel, eigentlich ist es ganz einfach. Der Mörder grinste charmant und einnehmend. Sage einfach, du seist Autorin. Auch wenn ich der Meinung bin, dass alle Schriftsteller unter der Guillotine ihr Leben lassen sollten, diese scheiß Mörder, die sich aufführen, als wären sie Götter. Aber es ist nun mal deine kleine, traurige Wahrheit, du gehörst zu dieser Sorte jammernder, bemitleidenswerter Menschen – ach was rede ich da – Kreaturen, die sich Autoren nennen. Es ist an der Zeit, sich der Wahrheit zu stellen, Clark. Er nickte, sich selbst zustimmend.

»Autorin«, presste sie verängstig hervor. Nun schweigend, senkte sie den Kopf. Stille breitete sich zwischen den beiden aus, als die Frauen ihren eigenen Gedanken nachgingen. Es gab eine Zeit, da war sie stolz darauf gewesen, zu den Geschichtenerzählern zu gehören – aber das war alles vor der Zeit, in der sie den vermeintlichen Helden erschuf.

Jetzt hast du sie verschreckt, stellte Heath Johnson kühl fest.

Ach, ich soll sie also verschreckt haben, ihr wart es, ihr elenden Bastarde, antwortete sie und knirschte leicht mit den Zähnen, was von der Violinistin nur mit einem interessierten Blick quittiert wurde.

Meine Eltern wurden in Gottes Segen verheiratet, mich einen Bastard zu nennen, verbitte ich mir!, mischte sich nun auch der Pastor ein, der alles wieder persönlich nehmen musste.

Seelenblut *on hold*Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt