Es ist anders, als ich an diesem Morgen zur Akademie laufe, um eine letzte, kleine Trainingseinheit zu vollziehen. Der Tau liegt noch über den Feldern von Distrikt eins, die Luft dieser frühen Stunde ist frisch und klar. Noch ist die Sonne nicht aufgegangen, aber das ist es nicht, was mich anders stimmt. Es ist das Prickeln, das von meinen Zehenspitzen aus bis zum Haaransatz durch meinen Körper zieht. Heute ist nicht nur Tag der Ernte, nein, meine Intuition verspricht mir mehr. Vielleicht bin ich ja dieses Jahr schneller als die anderen Freiwilligen - es muss sein, alles andere wäre fatal. Wozu sonst habe ich zehn Jahre lang für diesen Moment trainiert? Unter den Schülern der Akademie bin ich mit meinen achtzehn Jahren nicht nur eine der ältesten, sondern auch erfahrener als die Verrückten, die schon mit fünfzehn in die Arena gehen. Aber heute ist mein Tag, das spüre ich. Ebenso wie das schmale Lächeln, das über meine Lippen huscht. Ich lächele selten, mehr ist ein listiges Grinsen, das die Leute um mich herum bemerken, wenn ich kämpfe. Oft reicht auch einfach nur der Gedanke an Kämpfen oder der Gedanke daran, endlich einen anderen Gegner vorgesetzt zu bekommen als bloß eine menschengroße Puppe aus Plastik. Ich will Blut sehen. Und wie gesagt, ich spüre, dass es heute so weit ist.
Als ich am Tor der Akademie anhalte, um das Codewort einzutippen, ist es so still, dass mein gleichmäßiger Atem das einzige ist, das man hört. Heute ist Tag der Ernte. Heute dürfen sie ausschlafen. Ein weiteres Geräusch gräbt sich durch die Stille und ich bin erleichtert, das bekannte Summen wahrzunehmen: mit leisem Quietschen öffnet sich das Tor. Leichtfüßig trabe ich hindurch, ehe es mit leisem Klicken hinter mir ins Schloss zurückfällt.
Die große Halle ist menschenleer. An der Decke flackert ein Licht; die sauberen Klingen der Messer und Schwerter blitzen mir einladend entgegen. Eine Weile stehe ich da, schließe die Augen und atme den vertrauten Geruch von Linoleumboden ein. Die Akademie ist mein zweites Zuhause; meine Mitschüler meine Familie. Sie haben mich mit aufgezogen und jetzt, da ich zu den Ältesten gehöre, kümmere ich mich um die Kleinen. Vor allem, als mein Bruder Blaze hier angefangen hat, habe ich gemerkt, wie viel Spaß es macht, anderen Menschen das Töten beizubringen. Inzwischen ist auch er schon vierzehn Jahre alt und wie alle Jungen in seinem Alter schon auf die absurde Idee gekommen, sich freiwillig zu melden. Es hat einige Zeit in Anspruch genommen, ihm das auszureden. Aber egal, wie sehr ich ihn und die anderen mag - es ist gut, dass ich jetzt allein bin. Zielstrebig und mit dem vorfreudigen Grinsen im Gesicht trabe ich auf den Messerwagen zu. Es scheint, als lachen die scharfen Klingen mich an und ich kann es kaum abwarten, die Waffen in den Händen zu halten. Ich genieße die Möglichkeit der freien Wahl und entscheide mich schließlich für ein zierliches Modell, das ich mit einer graziösen Armbewegung in die Brust der Puppe werfe. Ich liebe das Messerwerfen. Die Waffen sind leicht, nicht sperrig, sodass man sie haufenweise in der Jacke bewahren kann. Generell mag ich alles, was Kraft und Ausdauer abverlangt: Rennen, Ringen und eben Messerwerfen. Ich hab es auch schon mal mit Bogenschießen versucht, doch dafür besitze ich die nötige Geduld nicht. Die Dinge müssen schnell gehen. Und Speere sind sowieso was für Jungs. Blaze wirft einen davon locker zwanzig Meter, wie an der Schnur. Trotzdem ist er der typische Verteidiger. In der Akademie unterscheiden wir zwischen Angreifer-Typ und Verteiger-Typ, damit wir speziell auf unsere Fähigkeiten ausgebildet werden. Während ich ganz klar Angreifer bin, weil ich viel renne, im Nahkampf hervorsteche und Gefahren nicht fürchte, geht mein Bruder mehr in die Defensive. Er wäre in den Spielen einer, der in einem Versteck wartet, bis einer vorbeikommt, den er mit seinem Speer erlegen kann. Er kann zum Beispiel auch klettern. Ich kann das nicht. In den Spielen wäre ich ganz auf meine Fähigkeiten angewiesen, sowie auf die anderen Karrieros. Essbares gibt's für mich im Füllhorn und nicht an Bäumen. Aber noch hat der Tag nicht begonnen. Eine Weile werfe ich Messer aus purer Lust, dann mache ich mich ans Krafttraing. Bedauerlich, dass kein Lehrer da ist, mit dem ich ringen könnte. So passiere ich schweigend die einzelnen Pacours, bis mein grummelnder Bauch demonstriert, dass es Zeit für's Frühstück ist. Nass geschwitzt begebe ich mich auf den Heimweg. Jetzt, da die Sonne über dem Horizont hängt wie ein roter Ball, ist es schon etwas wärmer geworden. Hinter manchen Fenstern sitzen Familien schon beisammen, in den feinsten Klamotten. Bei dem Gedanken an das schöne Kleid, das gewaschen im Schrank auf mich wartet, huscht mir schon wieder ein Lächeln über die Lippen. Ein weiterer Indiz dafür, dass etwas ansteht.
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mörderisches Vergnügen - Die Tribute von Panem FF
FanfictionDistrikt eins. Ein Distrikt voller Reichtümer, voller Potential und vor allem voller mordlüsterner Jugendlicher, die alles dafür tun würden, der schnellste Freiwillige zu sein, um die alljährlichen Hungerspiele zu gewinnen. Eine von ihnen ist Sky Hu...