Kapitel 8

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Während mein Vorbereitungsteam die letzten Änderungen an meinem Kleid vornimmt, betrachte ich mich in dem mannshohen, schweren Standspiegel, der an der glatten Wand lehnt, die regelmäßig die Farbe verändert und mich beruhigen soll. Pah! Von wegen Beruhigung. Mein Herz donnert  schmerzlich fest gegen meinen Brustkorb, mein Gesicht juckt vom vielen Make-up und meine kahlen Beine zittern aufgrund der kühlen Klimaanlage. Ich trage ein bodenlanges, schwarzes Kleid, das auf der rechten Seite ab dem Schenkel aufgeschnitten ist und meine schlanke Taille betont. Außerdem wirke ich darin größer als ich bin. Über meinen Schultern liegt ein weinroter Schal aus teuerstem Samt und über meinen Augen prangt eine schwere, mit Edelsteinen besetzte Maske. Der Rest meines Gesichtes ist so geschminkt, dass meine Haut leuchtet, als sei sie aus Gold. Meine Haare sind auf dem Kopf aufgetürmt. Sie fühlen sich so schwer an, dass ich Angst habe, die Frisur könnte einfach umkippen, wenn ich mich bewege. Wahrscheinlich ist das ein Geheimtrick von Clarisse, damit ich tatsächlich still auf dem Wagen stehen bleibe, wie sie und Samson es von Toby und mir erwarten. Ich rümpfe die Nase. Ich bin immer noch bitter enttäuscht, dass uns die aufwendigen Kostüme vorenthalten werden und wir so wenig Charakter zeigen dürfen, wie nur irgend möglich. Die Tür hinter meinem Rücken geht auf; im Spiegel sehe ich Clarisse. "Ist sie so weit? Die Pferde stehen bereit." Ich drehe mich energisch um. "Ja", sage ich heftig. "Ja, ich bin so weit! Kann ich hier raus?" Ohne eine Antwort abzuwarten, stürme ich zur Tür. "Liebes, du hast deine Schuhe vergessen!", tönt Mania hinter mir. Augenrollend bleibe ich stehen und lasse mir die goldenen Sandalen überstreifen. Danach zwänge ich mich an Clarisse vorbei, doch bevor ich im Dunkel verschwinden kann, hält sie meinen Ellbogen fest. Ihre Finger sind kurz und warm, die Haut zart und beinahe knittrig, wie altes Papier. "Was?", brause ich. "Sky, bitte." Ich hebe fragend die Schultern. "Bitte spiel mit", flüstert Clarisse. "Ich weiß, dass du wütend bist, aber glaubst du nicht, dass Samson und ich besser über das Thema Bescheid wissen?"Ich stoße einen verächtlichen Laut hervor. "Ich denke nicht, dass die Favoriten des Kapitols diejenigen sind, die ihr verstecken solltet, Clarisse. Sie erwarten Distrikt 1 mit umwerfenden Kostümen - es wäre kein Problem, wenn die Außenseiter sich versteckten." Ich recke das Kinn und krause meine Nase, arrogant wie ich bin. Clarisse schließt kurz die Augen, dann atmet sie tief ein. "Euer Kostüm ist  umwerfend. Und auf die außen liegenden Distrikte achtet sowieso keiner, es wäre gemein, sie zu allem auch noch zu verstecken." "Was ist daran bitte umwerfend?", fahre ich sie an und deute auf mein Kleid. Aus nicht allzu naher Ferne höre ich das Gejohle der Masse auf dem großen Platz. Quietschende Reifen auf Asphalt, Pferde, die wiehern oder ungeduldig mit den Hufen scharren. Lachen. Ich verziehe das Gesicht. Bestimmt stammt das Lachen von anderen Karrieros, die sich über ihre bunten Kleider freuen. "Du wirkst bescheiden und hübsch. Du hast eine sehr tolle Figur, Sky. Man will automatisch wissen, wer sich hinter dieser Maske verbirgt", raunt Clarisse mir zu. Aus dem Schatten treten Shane und Mya, gefolgt von Toby und seinem Stylist Samson. Samson hat rotes Haar, das ihm in Korkenzieher-Locken auf die Schultern herabfällt und trägt eine grün-schwarze Uniform. Mya mustert mich ohne einen wirklichen Ausdruck im Gesicht. Kaum ist sie in der Nähe, fühle ich mich klein und in die Enge gedrungen. Es ist unmöglich, ihre Anwesenheit zu ignorieren. "Warum zeigen wir ihnen dann nicht gleich, wer ich bin?", zische ich Clarisse aufgeregt zu. "Das raubt die Spannung." Sie schüttelt ihr dickes Haar und gibt mir einen Klaps auf die Schulter. "Irgendwelche Probleme?", fragt Mya mit ruhiger Stimme. Wir setzen uns langsam in Bewegung, folgen einem Avox, der uns zum Wagen bringt. "Sky hat offenbar Schwierigkeiten damit, sich bescheiden und verschlossen zu verhalten", zwitschert Clarisse ohne Scham oder Rücksicht auf mich. Wütend knirsche ich mit den Zähnen. "Das überrascht mich nicht", höre ich Mya sagen und widerstehe der Versuchung, mich umzudrehen. "Sie hat es sich anders vorgestellt." Anscheinend will Clarisse mich doch in Schutz nehmen. Zu spät,  denke ich patzig, denn ich weiß, das würde noch ein Nachspiel haben. "Der junge Mann findet die Idee sehr gut", erklingt eine hohe, wenn auch männliche Stimme. Samson. Ich seufze. Es war ja klar, dass Toby, der perfekte, zuvorkommende Toby, keinerlei Widerstand leisten würde. Auf einmal komme ich mir versetzt vor, ausgeschlossen. "Sie sind furchtbar, was?", tönt Toby's Stimme neben mir. Anstatt zu antworten, verschnellere ich meine Schritte. Was soll das jetzt? Meint er wirklich, ich kaufe ihm diese Masche ab? "Sky?" Er hält mit mir Schritt. "Warum tust du das?", frage ich heftig. Die anderen sind so in ihr Gespräch vertieft, dass sie uns nicht hören. "Glaubst du ernsthaft, ich fände diese Idee gut?" Toby kichert leise. "Ja." Sein Lachen erstirbt. "Sky, wir sind Karrieros. Wir sind Kampfmaschinen. Es ist total dämlich, die Geheimnisvollen zu spielen, obwohl man seine Gegner am liebsten einschüchtern würde." Er holt Luft. Eine Weile hört man nur das Geräusch unserer Schritte auf dem Asphalt. Dann sage ich:"Ehrlich gesagt weiß ich nicht, wer du bist, Toby." Er runzelt die Stirn, anscheinend verlangt er eine Erklärung. Seufzend zupfe ich an dem Samttuch auf meinen Schultern und sehe in seine kohlegrauen Augen, die in der Dunkelheit glänzen. "Bist du ein Freund? Bist du ein Verbündeter oder ein Gegner? Hältst du zu mir oder zu ihnen? Kämpfst du, oder ziehst du dich zurück? Bist du laut oder leise?" Ich rüttele an seinem dünnen Arm. "Sag es mir, Toby!" Toby lächelt schwach und dünn. Ist er enttäuscht...? "Natürlich bin ich dein Verbündeter." Mehr sagt er nicht. Na toll.  Bevor ich nachhaken kann, haben wir die Fackeln und die Wagen erreicht und die anderen konzentrieren sich voll auf uns. Der klitzekleine Moment Zweisamkeit ist vorbei. Ich werfe Toby ein trauriges Lächeln zu, ehe ich auf den Wagen steige. Er ist schnittig und schwarz lackiert, die dunklen Pferde, die vorn angespannt sind, haben Zügel, die mit Diamanten besetzt sind. Auch die Stange, an der wir uns fesrhalten sollen, besteht aus funkelnden Rubinen. Wenigstens lassen sie uns etwas majestätisches; immerhin muss auch das Hauptmerkmal des Distriktes widergespiegelt werden. In 1 sind das nun mal Luxuswaren, ob Samson und Clarisse wollen oder nicht. Shane hilft Toby auf den Wagen, dann drückt er uns beiden eine Fackel in die Hand. "Wofür?", rufe ich über die allgemeine Lautstärke hinweg. "Ihr solltet die Fackeln selber halten", antwortet Shane. "Das hat etwas..." Er schnipst mit den Fingern, während er nach dem richtigen Wort sucht. "Etwas mächtiges, schon klar", kommt Toby ihm zuvor. Seine Stimme klingt jetzt matt und ich frage mich, ob meine Worte an ihm nagen. Leidtun tun sie mir jedenfalls nicht - wenn er sich dadurch schon verletzt wird, hat er sich zur falschen Zeit freiwillig gemeldet. "Sonst noch was?", frage ich Shane. Er schüttelt den Kopf. "Das würde zu viel preisgeben." Mit einem Ruck setzt sich unser Wagen in Bewegung, von ganz allein traben die Pferde davon. "Viel Spaß!", brüllt Shane. Und dann rollen wir um eine Kurve und die volle Wucht der Menge trifft uns mit einem Schlag.

Ich muss blinzeln - von trüber Finsternis in dieses Licht, das schmerzt in den Augen. Im nächsten Augenblick überwältigt mich die Anzahl der Zuschauer - tausende müssen es sein, abertausende, wenn nicht million. Bunte Menschen so weit das Auge reicht und über ihnen zeigt sich eine blaue, sternenklare Nacht. Hier sind Sponsoren. Auch die Menschen sehen uns jetzt und jubeln umso tosender. "Sky!", höre ich sie brüllen,  "Toby!" - sie kennen ja unsere Namen von der Ernte. Ich muss mich zusammenreißen, um nicht zu lachen. Nicht, weil ich sie lustig finde, sondern weil ich stolz bin und dankbar, dass ich hier sein darf, auf diesem Wagen, der über den legendären Platz fährt. Unser Weg wird gesäumt von Männern mit Pauken, die einen regelmäßigen, wilden Rhytmus trommeln, der zu der Hymne passt, die ohrenbetäubend durch die Nacht schallt. Mir ist zum Tanzen zumute. Die Leute strecken die Arme nach uns aus, sie feiern, doch Toby und ich stehen da wie in Stein gemeißelt, obwohl uns ein unbeschreibliches Gefühl durchflutet. Es lässt mich beben. Um nicht völlig auszurasten, konzentriere ich mich auf die kraftvollen Bewegungen der Pferde, die unseren Wagen ziehen. Eine halbe Sekunde später braust die Menge erneut auf - Distrikt 2 fährt ein. Ich erinnere mich an das Engelsmädchen aus der Zusammenfassung. Und im Gegensatz zu uns höre ich die beiden aus 2 rufen und lachen und schreien. Verärgert beiße ich mir auf die Lippe. Ich halte das nicht aus! Ich spüre, wie Toby im Verborgenen nach meiner Hand tastet, als fühle er wie aufgewühlt ich bin. Als ich seine Finger fasse, merke ich, dass sie verschwitzt sind. "Ich kann das nicht", sage ich mit zusammengebissenen Zähnen. "Bring es einfach hinter dich." Seine Stimme ist ruhig und samtig, wie das Tuch auf meinen Schultern. Jetzt flattert es im Fahrwind und ich muss es festhalten, um es nicht zu verlieren. Aus den Augenwinkeln sehe ich, wie hunderte von Armen sich strecken - vielleicht fangen sie den Luftkuss des Mädchens aus 2. Mürrisch starre ich auf die Rose, die in unseren Wagen regnet. "Wir sind ungefähr so spannend wie ein graues Haus in einer bunten Straße", zische ich. 3 und 4 rollen auf den Platz und die Menge schreit auf. Uns scheint keiner mehr zu beachten und wir haben nicht mal die Hälfte des Weges hinter uns. Kein gutes Zeichen. "Sie haben einen Plan", sagt Toby leise. "Ich denke nicht, dass die Leute sich Gedanken über uns machen - sie vergessen uns." Nervös kaue ich auf meiner Unterlippe. Wagen 5 kommt hinzu. Das wunderbare Gefühl von eben ist vorbei - und ich verspüre Druck. Ich muss Eindruck schinden, ich muss! Kurzerhand reiße ich mir die Maske vom Gesicht und schwenke sie grinsend über meinem Kopf. Toby neben mir holt tief Luft, während die Menge begeistert applaudiert. "Sky!", zischt Toby. "Scheiß auf unsere Stylisten." Ich hole Schwung und pfeffere die Maske zu den Zuschauern, dann reiße ich seine an mich. "Hör auf!" Doch ehe er etwas unternehmen kann, habe ich sie ebenfalls fort geworfen. Ich verteile überschwänglich Luftküsse, dann schwenke ich mit dem Samttuch. Die Leute rasten völlig aus, was mich wieder aufleben lässt. Ich werfe mir das Tuch wieder über die Schultern und lege dann einen Arm um Toby's schlanke Mitte. Es ist das erste Mal, dass ich ihm so nahe bin, aber ich denke nicht darüber nach. Sein Bauch ist stählern und hart, wie sein Gesicht. "Mach mit", raune ich ihm zu. Er lächelt gequält, während er mit seiner Linken winkt. "Wir werden so einen Ärger bekommen." Er schüttelt den Kopf, aber ich gehe gar nicht erst auf ihn ein. Wir haben das Ende der Strecke fast erreicht und werden dann mit unseren Gegnern in einem Halbkreis vor dem Präsidentenpalast stehen. "Lass uns die Fackeln überkreuzen", sage ich eifrig. "Was?", fragt Toby gepresst und verständnislos. Ich halte meine Fackel schräg in seine Richtung und da scheint er zu verstehen und macht es mir gleich. Als wir vor dem Palast zum stehen kommen, sehen wir ausgelassen und ein klein bisschen verrückt aus: Wir liegen uns in den Armen, lachen, aber halten das Feuer angriffslustig über Kreuz. Meine Frisur hat sich gelöst und hängt zottelig meinen Rücken hinab, wir beide haben Striemen von den Masken im Gesicht. Mit Sicherheit wirken wir verrückt - so verrückt, wie die Menschen uns Karrieros womöglich ohnehin schon finden - aber wenigstens haben wir so für Gesprächsstoff gesorgt. Wir hinterlassen mehr Nachdruck, als wenn wir "mysteriös" geblieben wären. Und dann dröhnt Snow's tiefe, kehlige Stimme über den Platz: "Tribute, Willkommen im Kapitol."

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Hm :/ Mögt ihr das Kapitel? ♥ Schreibt es in die Kommis! ^^

mörderisches Vergnügen - Die Tribute von Panem FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt