Nach dem Mittagessen versammeln wir uns alle im Salon zum Besprechen des heutigen Tagesablaufes. Die Sofas, auf denen wir Platz nehmen, sind golden überzogen und die Kissen schillern perlmuttfarben. An der weißen Wand hängt ein riesiger Monitor, auf dem wir uns die Punktevergabe ansehen werden. Bei dem Gedanken daran werden meine Hände ganz schwitzig vor Aufregung. "Heute", beginnt Shane, "werdet ihr den Zuschauern das erste Mal vorgeführt. Es sind viele Sponsoren unter diesen Leuten, was bedeutet, dass der Kampf ab genau dem Zeitpunkt, da eure Wagen in die Menge rollen, beginnt. Ab heute Abend ist dieses gemütliche Beisammensein vorbei." Shane hatte sich während des Sprechens vorgelehnt, aber nun gleitet sein breiter Rücken in das Kissen zurück. Er lässt seine Finger knacken. Toby und ich wechseln einen ernsten Blick - wir werden gemeinsam in diesen Kampf gehen. "Ihr kommt schon gleich zu eurem Vorbereitungsteam", sagt Meralda lächelnd. Heute trägt sie ein dunkelblaues Korsett aus Seide, das vor allem ihren Augen sehr schmeichelt. Trüge sie nicht diesen Fummel und die viele Schminke, könnte sie vielleicht sogar ganz hübsch sein. "Wieso denn jetzt schon?", entfährt es Toby. "Es ist gerade mal Mittag!" Meralda zuckt bei seinem plötzlichen Temperament nicht einmal mit der Wimper. "Nun, es dauert eine Weile, bis das Vorbereitungsteam die Tribute so weit hat, dass diese unter die Leute gehen können. Außerdem beansprucht euer Stylist noch mal eine Menge Zeit, weil ihr ein aufwendiges Kostüm tragen werdet, Schätzchen." Sie schlägt das eine Bein über das andere und reckt das Kinn wie Großmutter es immer tut, wenn eine Diskussion für sie beendet ist. Ich grinse bei dieser Ähnlichkeit in mich hinein, doch ich erstarre, als mich Mya's eisiger Blick trifft. Seit heute Morgen haben wir kein Wort gewechselt, jedoch haben mich ihre Worte ohnehin mehr als nur geärgert. Ich werde ihr zeigen, dass ich nicht bloß eine von vielen bin und wenn schon, dann eine von vielen Gewinnern. "Wie viel Zeit haben wir noch?", frage ich, um mich selbst aus den Gedanken zu reißen. "Gar keine", erwidert Meralda, "es geht jetzt sofort los."
Mit einem Ruck wird mir der nächste Wachsstreifen vom Bein gerissen und ich beiße mir auf die geballte Faust. Als Meralda sagte, dass es einige Zeit dauern würde, bis wir so weit wären, hatte ich nicht daran gedacht, dass mich eine vollständige Rasur erwarten würde. Bis auf die Haare auf meinem Kopf hat mich das Vorbereitungsteam komplett enthaart. Das Team besteht aus zwei Männern namens Silvinio und Carlos und einer jungen Frau, die sich mit dem Namen Mania vorgestellt hat. Alle drei haben bunt gefärbte Haare oder Perücken, lange, angeklebte Wimpern und farbig getuschte Gesichter. Mania hat sogar lila Kontaktlinsen in den Augen und ist somit für mich einfach nur noch lächerlich. Ich hoffe wirklich inständig, dass Toby und ich nicht so aussehen, wenn wir auf dem Wagen stehen und als erstes Paar den Kampf eröffnen. "Das waren alle", sagt Silvinio, nachdem er einen weiteren Wachsstreifen von meinem Bein gerissen hat. Ich seufze erleichtert auf und als Mania meine gereizte, prickelnde Haut mit kühler Salbe einreibt, entspannen sich meine verkrampften Muskeln. "Und jetzt?", frage ich rau. "Jetzt schneiden wir dir die Haare und die Nägel." Der kleine, kräftige Carlos hüpft mit einer Schere zu meinen Füßen und vermacht sich an meinen Fußnägeln. Ich schaue ihn entsetzt an. "Meine Haare bleiben so!" "Entspann' dich", kichert Mania, die einen sehr ausgeprägten Kapitol-Akzent besitzt. "Ich schneide nur den Spliss raus." Ich will etwas erwidern, da höre ich einen erstickten Schrei. Erschrocken drehe ich meinen Kopf zu dem grauen Vorhang zu meiner Rechten, wo der Schrei herkam. "Was war das?" Silvinio nimmt meine Hand, um die Nägel zu schneiden. "Ein Tribut, der wohl nicht so gut mit Beinrasur umgehen kann." Ich lege meinen Kopf auf das Polster zurück. "Es tut wirklich höllisch weh", sage ich, "aber schreien sollte man nicht." Das ist ein Zeichen von Schwäche, setze ich in Gedanken hinzu, spreche es aber nicht aus. Verbissenheit ist bei meinem Vorbereitungsteam unangebracht. "Na ja." Mania zuckt mit den Schultern, dann beginnt sie meine Spitzen zu schneiden. "Ist schon öfter vorgekommen." Die Spiele kommen jedes Jahr vor, denke ich bei mir.
Eine halbe Stunde später befinde ich mich in einem Nebenraum des eigentlichen Raumes und warte allein auf meinen Stylisten oder meine Stylistin. Es fühlt sich komisch an, nackt auf einer Liege zu sitzen; ich fühle mich entblößt und verletzlich, irgendwie ungeschützt. Als dann die Tür aufgeht, und eine kleine, alte Frau den Raum betritt, sind diese Gefühle wie ausgewaschen. Vor einer alten Frau muss ich mich nicht schämen. "Hallo, Sky", sagt sie in einer überraschend jugendlicher Stimme und ergreift spontan meine Hand. Ihre Augen, so dunkel blau, dass sie fast schwarz erscheinen, tanzen über meinen nackten Körper, bis sie auf meinen ruhen bleiben. "Ich heiße Clarisse. Ich bin deine Stylistin." Nachdem ich mich von Clarisse' beeindruckenden Augen losgerissen habe, werfe ich einen Blick auf den Rest ihres Körpers. Sie hat weißes, dickes Haar, das ihr glatt wie Wasser auf die Schultern herab hängt. Sie trägt ein Kleid aus weißen Federn, sodass sie in mir automatisch das Bild eines Engels hervorruft. Ich glaube nicht an Engel, aber Blaze tut das. Er meint, dass jeder Mensch einen eigenen hätte, der auf ihn aufpasst. Erst jetzt wird mir klar, dass diese Engel auch menschlich sein könnten, wie Clarisse. Aber noch kenne ich sie nicht. Das Angst einflößende an ihr ist, dass sie, obwohl sie sehr alt sein muss, keine Falte im Gesicht hat. Sie wirkt so makellos. Erst, als sie lächelt, erscheinen Lachfältchen an ihren Augen. "Du kannst den hier anziehen." Sie reicht mir einen Bademantel aus mintgrünem, dünnem Stoff. Rasch schlüpfe ich hinein. "Reden wir ein bisschen. Es gibt Kuchen." Clarisse führt mich aus dem Raum hinaus, in einen weitaus gemütlicheren mit rotem, flauschigem Teppich, der mich an Zuhause erinnert. Seufzend setze ich mich an den runden, kleinen Tisch, auf dem Kuchen und heiße Schokolade serviert stehen. Es gibt Kirschstreusel. Clarisse schiebt sich ein kleines Stück in den Mund, kaut, schluckt, dann sagt sie:"Samson und ich wollen dieses Jahr etwas neues ausprobieren." Ihre dunkelblauen Augen lächeln freundlich, obwohl sich ihre Mundwinkel keinen Deut heben. Ich kaue meinen Kuchen. "Was heißt das?", frage ich forsch. "Das heißt, dass wir uns Gedanken gemacht haben, wie wir euch besonders einnehmend und begeisternd darstellen können. Dabei hatte Samson eine Idee." Ich mustere Clarisse abschätzend. "Samson ist Toby's Stylist?" "Ja genau", sagt sie nickend, "das ist er. Jung, klug, witzig. Ein netter Mann. Auf jeden Fall hatte er die grandiose Idee, die Leute neugierig zu machen. Er meinte, sie sollten über euch nachdenken." Ich nicke langsam, während ich mein Spiegelbild in der silbernen Gabel betrachte. "Macht Sinn. Und was bedeutet das für Toby und mich?", sage ich schließlich. "Wir zeigen eure Gesichter nicht. Ihr bekommt Masken, die mit Edelsteinen besetzt sind, lange dunkle Kleider, sodass die Menge weder weiß, wie ihr ausseht, noch wie ihr euch verhaltet." Mir fällt die Kinnlade herunter. "Dürfen wir nicht einmal winken?", frage ich entrüstet. Clarisse schüttelt den Kopf. "Nein, das dürft ihr nicht. Ihr werdet geheimnisvolle, unbekannte Tribute aus Eins sein und das Kapitol wird sich die Mäuler darüber zerreißen. Glaub mir, sie werden es lieben", sagt sie ruhig. Missmutig schiebe ich den Rest Kuchen beiseite. Ich hatte mir die Eröffnungsfeier wirklich anders vorgestellt. Ich träumte davon, teure, wallende Kleider zu tragen, zu winken, Luftküsse zu verteilen - aber nicht versteckt unter einer Maske und völlig unbewegt auf dem Wagen zu stehen. Mya würde jetzt sagen, dass ich das nicht zu entscheiden habe, weil es nicht meine Spiele sind. Aber ganz richtig ist das nicht: Ich könnte diese Spiele zu meinen machen, wenn ich mich darstellen dürfte, wie ich bin.
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Ich fahre heute in den Urlaub und deswegen könnt es etwas dauern, bis es weiter geht. Aber falls es euch bos hierher gefallen hat, schreibt es bitte in die Kommis. ♥♥♥
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mörderisches Vergnügen - Die Tribute von Panem FF
FanfictionDistrikt eins. Ein Distrikt voller Reichtümer, voller Potential und vor allem voller mordlüsterner Jugendlicher, die alles dafür tun würden, der schnellste Freiwillige zu sein, um die alljährlichen Hungerspiele zu gewinnen. Eine von ihnen ist Sky Hu...