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Ich stecke immer noch in dieser Schwerelosigkeit, aber kann wieder einigermaßen klar denken. Das Piepen ist noch immer da, doch ich versuche, es so gut wie möglich auszublenden. Mein Körper fühlt sich an, als läge er in Ketten und das erinnert mich wieder rum an eine Geschichte, die meine Mutter mir früher immer erzählt hat. Es war mein Lieblingsmärchen und Mom hat immer gelächelt, wenn ich danach gefragt habe. Und dann starben sie und Dad bei einem Autounfall. Als ich darüber nachdenke, spanne ich meinen kompletten Körper an und reiße mich mit kompletter Kraft los. Ich wirble umher und drohe zu ertrinken, aber auf einmal sind über mir ganz viele Lichtpunkte. Schnell schwimme ich schweratmend nach oben und versuche einen dieser Punkte zu ergreifen. Als ich ihn fast erreicht habe, packt mich etwas und zieht mich zu dem Leuchten hin. Ich blicke von oben auf ein Szenario hinab. Da sitzen zwei Mädchen laut lachend auf einem Sofa, während sich eine dritte vor Lachen auf dem Boden wälzt und sich den Bauch hält. Eine der Dreien bin ich. Die Andern zwei sind Thea und Lisanne. Thea meine beste Freundin und Lisanne unsere beste Freundin, die allerdings im Ausland studiert. Diese Situation entstand bei der Abschiedsparty von Lisanne. Wir drei hatten eine Flasche Sekt geöffnet und geredet. Mehr nicht. Mehr brauchten wir auch nicht. Ich vermisse die Beiden so sehr. Ich strecke meinen Arm nach ihnen aus und sehe, dass meine Finger plötzlich beginnen zu leuchten. Erschrocken ziehe ich sie zurück und drehe mich um. Hinter mir sind noch weitere dieser Lichtpunkte, allerdings ist zwischen ihnen eine gewisse Distanz, die es zu überwinden gilt. Ich nehme, so gut es geht, Anlauf und springe. Mit meinen Fingerspitzen streiche ich über die kleine Kugel, die sich einfach nur anfühlt wie eine warme Glühbirne. Dann falle ich. Ich falle runter, aber mein Arm streckt sich noch immer nach dem Licht. Plötzlich knalle ich auf eine Wasseroberfläche. Kurz gehe ich unter, aber dann steige ich wie automatisch auf und sehe unter mir einen kleinen Jungen. Er ist so etwa zwölf Jahre alt und hat ganz kurze rote Haare. Das Bild wird schärfer und ein Stich durchzieht mein Herz. Wenn ich könnte, würde ich weinen, aber die Tränen gehen in dem Meer der Bewusstlosigkeit unter. Vor mir steht mein kleiner Bruder. Mit seinen türkisen Augen und den Hasenzähnen für die er eigentlich eine Klammer tragen sollte. Er starb am gleichen Tag wie meine Eltern. Ich weiß das alles noch so genau...
Ich saß in der Straßenbahn auf dem Weg zur Uni. Über mein Handy hörte ich Radio. Den Sender den meine Eltern immer hörten. Sie kannten quasi keinen anderen. Es lief 'Nur einen Herzschlag entfernt' von Wincent Weiß. Ich hatte die Augen geschlossen und leise mitgesummt. Es hatte mich etwas aufgeheitert, denn meine Eltern und mein kleiner Bruder Eddie waren auf dem Weg zu einer Art Museum. Ich hatte so gerne mitkommen wollen, aber wir schrieben an dem Tag eine wichtige Prüfung. Ich wusste, dass Eddie wahrscheinlich auch mitsang. Gerade als das Lied geendet hatte, bekam ich einen Anruf vom Handy meiner Mutter. ,,Hey Mom. Was gibt's?", begrüßte ich sie. Doch es antwortete eine Fremde Stimme. ,,Sind Sie die Tochter von Angelika und Henry Packer?" ,,Wer will das wissen?", entgegnete ich misstrauisch. Mir gegenüber saß ein Mädchen, etwa genau so alt wie mein Bruder. ,,Kopper mein Name. Ich bin von der Polizei." Voller Panik riss ich die Augen auf. ,,Was ist passiert? Was ist mit Mom und Dad? Wo ist Eddie?", schrie ich schon fast in mein Telefon. Kurze Stille. ,,Wo sind sie gerade?" ,,In der Bahn, wieso? Warum antworten Sie nicht?" Erneutes Schweigen. ,,Kommen sie bitte zum Krankenhaus neben der Uni. Wissen Sie welches ich meine?" ,,Ja" dann legte mein Gesprächsteilnehmer auch schon auf. Eine Träne hatte sich während des Gesprächs in meine Augen geschlichen und war immer größer geworden, bis sie meine mittlerweile feuchten Wangen runtergerollt war. Das kleine Mädchen mir gegenüber hatte mir ein Taschentuch hingehalten, was ich gerne angenommen hatte. Vor dem Krankenhaus stand dann ein Polizeiwagen und ein Polizist kam mir entgegen. Der Polizist der mich vor kurzer Zeit mit einer anderen betrogen hatte. Er erklärte mir, dass meine Eltern von der Straße abgekommen seien und gegen einen Baum geprallt waren. Mom und Dad waren sofort tot, während Eddie noch künstlich am Leben gehalten wurde. Wenige Stunden später war er allerdings an seinen Verletzungen gestorben. Als der Polizist mich in den Arm nimmt, schreie ich. Ich sehe das Bild genau vor mir, kann noch sein Deo riechen. Die Falten seines Hemdes spüren, als ich mich weinend in seine Schultern gekrallt hatte. Ich schreie lauter als ich kann und lasse mich von den Schmerzen nicht unterkriegen, denn alle meine Schmerzen und Gefühle sind mir egal. Ich schreie alles aus mir raus. Doch plötzlich trifft mich ein Schmerz so heftig, dass ich verstumme. Ein Schmerz im Herz.
Stimmen ertönen. ,,Sie... was ist mit ihr?", eine helle Stimme, die nach Tulpen riecht. Thea. Weitere ertönen, welche wohl zu Ärzten und Krankenpflegern gehören. ,,Ihr Herz schlägt unregel... es wird weniger... es hört auf, ich brauche............."
Schwarz

~ 852 Wörter

Koma ~ Wincent Weiss (Abgeschlossen) Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt