Raven erschien heute nicht in der Schule. Ich fühlte mich unwohl, fühlte Kälte und schmerzlich brennende Wärme zugleich. Ohne sie war ich furchtbar einsam. Ich konnte mich nicht davon abhalten gleich nach dem Schulklingeln mein Handy aus der Hosentasche zu klauben und sie anzurufen.
„Moon." Deutlich konnte man die Besorgnis in meiner Stimme heraushören. „Wie fühlst du dich?"
„Alles gut." Sie sprach zu monoton um ihr Glauben schenken zu können. Ich spürte, dass sie nicht mit mir reden wollte, dass sie sich augenblicklich nicht im Stande dazu fühlte.
„Es ist okay, dass du anders bist, Raven." Fester umklammerte ich mein Smartphone. Angst brannte in meinem Blut, die Sorge um sie.
„Vielleicht." Sie legte auf. Lange erschallte der unangenehme Freisprechton in meinem Ohr.
Es kränkte mich, traf mich zutiefst – die Tatsache, dass sie mir zu wenig vertraute, dass ich ihr nicht genug wichtig war. Ich akzeptierte meine einseitige Liebe, ich akzeptierte selbst den kleinen Rest an Misstrauen, den sie mir gegenüberbrachte.
Kalte Tränen bahnen sich den Weg über meine Wange, tropfen von meinem Kinn nieder in den Stoff meiner Hose, wo sie zu einem dunklen Fleck verlaufen. Rotz, der in ekligen Schnüren zu meiner Nase hinausließt und auf meine Hand tropft, jene zitternd das blaue Teppichmesser umklammert. Ich fühle die Schärfe der Messerspitze sich leicht in meine Hautschicht bohren. Ich könnte es hier und jetzt beenden, mein armseliges, sinnloses Leben. Oft genug wurde mir verdeutlicht, wie schwach ich bin, dass ich ein lächerlicher Versager bin mit Hoffnung auf einen Sieg, der niemals eintreffen wird. Oft genug wurde mir ins Gesicht gesagt, dass die Welt ohne mich besser wäre. Ich habe es akzeptiert, ich bin lediglich ein unsichtbares Gespenst, ohne Beobachtung und ohne Erfolg, dennoch scheine ich ein Störfaktor zu sein. Ich habe es eingesehen, dass es das Beste wäre, wenn ich verrecke, spurlos von dieser Welt verschwinde und in Vergessenheit gerate, als hätte ich niemals je existiert. Wer würde meinen Tod schon interessieren, wenn ich doch ein Niemand bin.
Ich ziehe das Messer in Richtung meiner Armbeuge, jedoch ohne Druck darauf auszuüben, sodass ich nicht mal eine rote Träne vergieße. Wieder war ich zu feige, die vergebliche Hoffnung loszulassen.