Kapitel 5

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"Hier wohnst du." Die nette Betreuerin öffnete die Tür zu einem mittelgroßen Raum, indem drei Betten standen. "Oh nein! Bitte keine Gemeinschaftsräume!" Doch ich kannte die Antwort schon, denn ich sah, dass ein Bett schon bezogen war und Sachen herumlagen. NICHT meine Sachen.

Na großartig.

Bis jetzt hatte ich nie in den Jugendknast gemusst und nur ein paar Geschichten von Leuten die ich mal getroffen hatte gehört. Jetzt wo meine Mutter mich rausgeworfen hatte konnte ich von ihr wohl auch keine sehr große Hilfe erwarten. Jetzt war ich ganz auf mich alleine gestellt und musste sehen wie ich mich hier am besten durchschlage. Ich ging zum Fenster und schaute auf den kahlen trostlosen Innenhof des Gebäudes, in dem ich wohl mindestens die nächsten paar Wochen meine Zeit verbringen würde.
Als ich hörte wie sich die Tür öffnete, drehte ich mich um und blickte in das blasse Gesicht eines Mädchens. Ihre Haare waren komplett abrasiert, bis auf einen breiten Streifen in der Mitte, der von vorne bis hinten hellblond und rot gestreift war. Dieser Haarstreifen ging ihr fast bis zum Arsch, was ziemlich lustig aussah, und sie war ein wenig breiter als normal. Sie hatte eine schwarze Leggins und ein rotes Top mit einem großen schwarzen Totenkopf an. Über ihrer Augenbraue hatte sie einen kleinen schwarzen Ring.
"Hey. Willkommen im Jugendknast.", sagte sie sarkastisch. Oh ja, wir würden uns verstehen. Wir hatten sogar die gleichen Schuhe an: Doc Martens, nur dass ihre rot mit schwarzen Rosen waren und meine andersherum, wie ich nach einem Blick nach unten bemerkte.
"Ich bin Rosamunde. Ich weiß, der beschissenste Name auf der Welt und wenn du lachst, hau ich dir eine rein!" Ich konnte mir ein Grinsen leider nicht verkneifen. Sie machte einen Schritt auf mich zu, doch ich kam ihr einfach entgegen. Damit rechnete sie nicht. "Ich bin Alicia. Aber bitte nenn mich nicht so." Sie zog die Augenbrauen hoch.
"Okay, ich nenn dich Rosa und du mich Icy, wie wär's?"
"Icy? Wegen deinen Augen, hmm?" Sie lächelte. Wenn sie lächelte, war sie sogar ganz hübsch. Auch wenn ich die Haare etwas gewöhnungsbedürftig fand. Aber der Character
war ja schließlich alles was zählte. "Wir teilen uns ein Zimmer. Wenn du mich nicht nervst, nerve ich dich auch nicht. Das bezieht sich auch auf unnötige Fragen, warum ich hier bin. Verstanden?"
"Mhm." Unbeeindruckt guckte ich mich im Zimmer um. Sie hatte das Bett am Fenster schon für sich belegt. Also schnappte ich mir das Bett daneben. In dem Zimmer gab es einen Schrank neben jedem Bett, eine Kommode und ein großes Regal für uns alle. Dann gab es drei Schreibtische und das wars. Ich nahm mir meine Beats und mein Tagebuch und da ich keine Lust hatte, mein Bett zu beziehen, legte ich mich einfach so hinein. Das Kopfkissen stellte ich mir ans Kopfende und lehnte mich mit dem Rücken dagegen. Und fing an zu schreiben. Das machte ich ab und zu mal, um mich zu beruhigen. Ich beschrieb die letzten Tage von Anfang bis zum Ende. Wie ich den Bus verpasst hatte. Wie meine Mutter mich rausgeworfen hatte. Und wie die Polizei aufgrund meiner Vorstrafen entschieden hatte, mich in einen Jugendknast zu schicken. Nach ungefähr dreißig Minuten, in denen wir uns gegenseitig völlig in Ruhe ließen, tippte sie mich an, weil ich anscheinend nicht auf ihre Rufe reagiert hatte und sagte mir, es sei Zeit fürs Abendessen. Jetzt würde ich die ganzen Leute kennen lernen.
Na toll.
Wir gingen zusammen runter in den Speisesaal und holten unser Essen ab. Es gab Spaghetti Bolognese.
Sehr einfallsreich.
Wir setzten uns an einen Tisch, an dem noch vier Plätze frei waren. Wir nahmen zwei nebeneinander und wurden von für mich fremden Leuten umringt. Die meisten von ihnen gaben ein Spaghetti-geprägtes "Hey" von sich. Ich fragte mich, ob die neuen... -hmm keine Ahnung, wie nennt man uns? Knasties?-hier wohl öffentlich vorgestellt wurden. Hoffentlich nicht. Also ich hatte zwar keine Angst davor, aber ich hatte keine Lust dazu. Ich schaute hoch und realisierte, dass mich alle an meinem Tisch erwartungsvoll anschauten. Ups, da hatte ich wohl was verpasst. " Wasn?", nuschelte ich. Sie hatten mich gefragt, wie ich hieße, wie alt ich wär und warum ich hier wär. " Ich heiße Alicia, bin sechzehn Jahre alt und bin hier wegen Drogenkonsums. Und ihr so?" Unbekümmert schaute ich in die Runde. Der Junge neben mir antwortete als erstes. "Hey, ich bin Jakob. Und achtzehn." Er wollte anscheinend nicht darüber reden, warum er hier war. Jakob sah echt gut aus. Er hatte blonde Haare, ganz hellbraune Augen und war ziemlich muskulös. Er schaute mir prüfend in die Augen, wahrscheinlich wartete er darauf, dass ich ihn weiterhin nervte. Wow, sein Blick ging echt tief. Schnell schaute ich zum nächsten am Tisch. Oder besser gesagt zur Nächsten. " Amelie. Siebzehn. Der Rest geht dich 'nen feuchten Dreck an." Okaaay... die hatte definitiv ein zu großes Ego. Ihr Haare waren blond gefärbt und sie war stark geschminkt. Ihrem Auftreten nach wusste sie, dass sie hübsch war. Ich hielt mich gar nicht erst lange mit ihr auf sondern wendete mich wieder dem nächsten zu. Er war schwarzhaarig und hatte einen schwarzen Ohrring im linken Ohr. Als ich seine Stimme hörte, zuckte ich erstmal zusammen. Noch nie hatte ich so eine tiefe Stimme gehört. "Ich bin Zane." Er hatte so ein freches Grinsen im Gesicht. "Ich bin auch achtzehn und bin hier, weil ich gestohlen hab. Mehrmals." Oh mein Gott. Ich war hin und weg. Vor allem, als ich sah, wie Amelie besitzergreifend einen Arm um ihn legte. Hmm... Ich spürte seinen Blick auf mir ruhen und als ich wieder hoch schaute, sah ich ein fettes Grinsen auf seinem Gesicht. Konnte er Gedanken lesen? Das wär irgendwie peinlich. Die anderen am Tisch stellten sich noch als Gregor und Lucie vor. Sie waren unübersehbar zusammen.
Krass, dass die Leute hier so gechillt drauf waren. Das hätte ich nicht erwartet. Ich hätte eher gedacht, die wären hier alle kurz davor, sich gegenseitig umzubringen. Aber eigentlich ging es hier zu wie in einer Schule. Naja, jedenfalls bei dem, was ich bis jetzt so erlebt hatte. Ich fing gerade an zu essen (das Essen war wirklich in Ordnung), als ich hörte, wie zwei Tische weiter ein Tumult losbrach. Ein Junge und ein Mädchen mit einer außergewöhnlich tiefen stimme hatten angefangen, sich Beleidigungen an den Kopf zu werfen. Nach den der Junge sich von dem Mädchen eine gefangen hatte, fingen sie an, sich richtig zu prügeln. Aber nicht lange, denn schon kamen Security-Leute und rissen die beiden Streithähne grob auseinander. Dann wurden sie hinaus begleitet.
"Wow. Was war das denn?"
"Ach,", sagte Amelie abfällig, "Die kriegen sich immer in die Haare."
"Wer sind sie?"
"Das sind Bruce Hammilton und Linda Falk. Sie verstehen sich überhaupt nicht und immer wenn es was zum Streiten gibt, streiten sie sich"
Lucie hatte eine ganz sanfte Stimme und immer ein kleines Lächeln im Gesicht. Wie eingraviert. Ich fragte mich, wie jemand wie sie hierherkam. Und musste einfach fragen. "Warum bist du hier? "
"Ich hab gesehen, wie meine Mutter umgebracht wurde." Oh nein. Mitfühlend schaute ich sie an. "Und dann habe ich ihre Mörderin erstochen."


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