"Liam!!!", rief ich erschrocken.Nur das Klappern der Ketten und das Raunen der Männer waren zu hören, als Daniel Liams Handschellen ergriff und ihn daran festhielt.
Dieser stand nun bedrohlich dicht vor dem Mann, der uns die Beleidigungen zugerufen hatte. Er trug einen schwarzen Oberlippenbart und tiefe Falten zogen wie Krater durch sein Gesicht. Die schmalen Lippen hatte er verzogen und die Nase gerümpft, während er verächtlich zu Liam blickte, der jetzt, wo er vorne über gelehnt war, auf Augenhöhe mit ihm war.
Ich hatte keine Ahnung, was dort gerade los war, was Liam ihm sagte, denn mehr als ein leises Zischen kam bei mir nicht an. Alles, was ich verstand, war Daniels Darauffolgendes:
"Beherrsch dich, Liam! Bist du verrückt, deine Freilassung wegen so etwas aufs Spiel zu setzen?"Angestrengt zog er ihn wieder zurück und stieß ihn dann vor uns her weiter den Gang entlang, während die anderen Beamten damit zu beschäftigt waren, die nun wild fluchende Schar von Insassen unter Kontrolle zu kriegen. Mein Puls raste immer noch. Es waren zwar noch viel mehr Wächter anwesend, doch die Stimmung im Trakt war aufgeladen. Für einen Moment hatte ich schon gesehen, wie hier ein Aufstand und eine Massenprügelei ausbrach und ich mit gebrochener Nase irgendwo in einer Ecke landete. Wenn es nur die Nase war und nicht viel schlimmer ...
Meine Gedanken wurden unterbrochen, als wir an Liams Zelle ankamen und er diese in einer solchen Ruhe betrat, als wäre nie etwas gewesen.
Kurz bevor Daniel die Tür schloss, kreuzten seine eisblauen Augen meinen Blick und hielten ihn gefangen, bis der schwere Stahl mit dem kleinen Sichtfenster den Moment durchbrach."Tut mir leid", entschuldigte Daniel sich heute zum gefühlt hundertsten Mal, "Liam hat bisher nie Probleme gemacht. Sonst hätten wir ihn nicht mit dir reden lassen. Alle psychologischen Gutachten sprechen absolut für ihn und ich verstehe nicht, wieso er jetzt solche Rückschritte macht." Verzweifelt schüttelte er seinen Kopf und hob kurz die Schultern. Auch, wenn er streng mit den Insassen umging, war er im Herzen ein Guter und daran interessiert, dass jeder Einzelne von ihnen ab hier den richtigen Weg ging.
Ich müsste ihn auf jeden Fall in den Danksagungen erwähnen!
"Ich weiß nicht. Beim Gespräch war er ... ", nett konnte man das ja nicht nennen. Ich überlegte, "... besonnen und ruhig. Und ich hab auch nichts Böses gesagt!", ich hob meine Hände, um meine Unschuld zu zeigen und Daniel lachte kurz."Das hätte ich dir auch nicht unterstellt. Trotzdem müssen wir mal schauen, ob wir noch ein Gespräch zulassen können. Sein Verhalten gefährdet seine Freilassung."
Das wollte ich ganz sicher nicht. Dennoch mochte ich den Gedanken nicht, ihn nicht noch einmal sehen zu können. Ich hatte noch so viele Fragen. Nicht nur die, die auf meiner Liste standen. Um ehrlich zu sein, brannten mir die persönlichen sogar viel mehr auf der Zunge. Wer war Liam? Wieso hielt er sich für den Falschen, um ein Wort an die Menschen da draußen zu richten? Wie konnte so ein kluger, attraktiver Mann im Gefängnis landen? Warum hatte er die Tat begangen? Es war mir ein Rätsel. Er war mir ein Rätsel. Ein Aufregendes, zugegeben."Oh nein, ich habe noch so viel, dass ich wissen muss!", warf ich ein, "das Ganze war doch wirklich nicht Liams Schuld. Klar, er hat sich provozieren lassen, aber die, die Strafe bekommen sollten, sind die Kerle, die ihren Mund nicht halten konnten. Er war wirklich offen im Gespräch und hat mich zu keiner Sekunde bedroht oder einen gefährlichen Eindruck gemacht." Daniel seufzte resigniert und legte mir kurz die Hand auf die Schulter.
"Ich schau, was ich für dich machen kann und schreibe dir dann, in Ordnung?"
Seine Geste und seine Worte beruhigten mich ein wenig und ich atmete tief durch. "Danke", nuschelte ich und ließ mich anschließend von ihm zum Ausgang begleiten. Zum Abschied boxte ich ihm freundschaftlich gegen den Oberarm und verließ die Einrichtung mit seinem schelmischen Grinsen im Rücken.
Meine Schritte führten mich quer über den Parkplatz zu meinem bunten Polo. Und mit bunt meine ich wirklich bunt. Ich habe ihn von meinem Vater zu meinem bestandenen Abitur geschenkt bekommen, damit ich zur Uni fahren konnte. Laut seiner Aussage hatte er absichtlich ein so auffälliges Auto gewählt, weil ich damit besser von anderen gesehen wurde und er nicht jedes Mal, wenn er einen liegen gebliebenen Polo sah, Angst haben musste, dass ich es bin. Also fuhr ich nun eine mehrfarbige Schrottkarre, die ich trotz ihrer Zickerreien sehr liebte.Ich warf meine Unterlagen durch die geöffnete, gelbe Tür auf den Beifahrersitz, bevor ich selbst umständlich hineinkletterte. Auf meinem zwanzigminütigen Weg nach Hause kreiste mir das Gespräch mit Liam immer noch im Kopf herum und ich beschloss, dass ich, sobald ich zuhause ankam, dringend nach ihm googeln musste.
Ich lenkte den Wagen in die Einfahrt unseres Grundstücks und fuhr unter das Carport vor unserem kleinen Einfamilienhaus. Der graue Skoda von meinem Vater stand auch bereits dort, also würde ich nicht alleine daheim sein. Eilig nahm ich meine Unterlagen vom Beifahrersitz und stiefelte den schmalen, hell gepflasterten Weg zu der Eingangstür hinauf. Wir wohnten in einem ruhigen Viertel der Stadt, welches wenige Fahrminuten vom Zentrum entfernt war. Die Nachbarschaft war klein und man kannte sich untereinander. Umständlich kramte ich meinen Hausschlüssel aus der Handtasche und balancierte ungelenk die Notizen in meinen Armen, während ich aufschloss.
"Bin zu Hause!", rief ich in den engen Flur hinein und sah von hier aus, dass im Wohnzimmer der Fernseher lief. Mein Vater antwortete mir irgendetwas, was ich nicht verstand."Nee, ich esse später!", erwiderte ich auf gut Glück und sprintete die gewendelte Holztreppe hinauf, um sofort die Tür hinter mir zu schließen und den Laptop aufzuklappen.
Ungeduldig trommelte ich mit meinen Fingern auf meinem uralten Eichenschreibtisch herum. Das Notebook brauchte wie immer viel zu lange, um hochzufahren.
"Ein... horn ...kotze", murmelte ich konzentriert, während ich mein Passwort in den Anmeldebildschirm tippte und wartete, dass Windoof endlich gestartet hatte. Ich öffnete den Browser und rieb mir gedanklich die Hände.
"So google, verrate mir alles über 'Li...am Win..ter...feld'". Zufrieden schlug ich auf die Entertaste und wartete gespannt darauf, was mir das Internet offenbarte._______
Was wird sie über Liam herausfinden?
Und wird sie ihn überhaupt Wiedersehen dürfen?
Wenn euch das Kapitel gefallen hat, lasst uns doch ein Sternchen & euer Feedback da <3>>nächstes Kapitel : Overkill
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RETTE MICH
Mystery / ThrillerRETTE MICH - Verliebt in einen Mörder ~ Während Helena's Recherche zu ihrem Buch lernt sie den Insassen und Schwerverbrecher Liam kennen. Er weckt sofort ihr Interesse. Eigentlich wollte sie nur ein Buch schreiben, welches Verbrechern eine Stimme ve...